„Ja, da kommt jetzt aber ein besonders sozialer Mensch“, schallt es mir entgegen. Es ist Freitagabend, halb acht. Ich komme aus dem Buchladen, hab nach Ladenschluss noch Kasse gemacht und mein Gesichtsausdruck dürfte mit mürrisch noch wohlwollend beschrieben sein. Dreißig Sekunden später ist mir klar, warum mich die gut aussehende, adrett gekleidete junge Frau mit dem Klemmbrett unterm Arm angeflötet hat. Es geht um Geld. Mein Geld, das ich dem Malteser Hilfsdienst spenden soll.
Ich bin nicht überrascht angesprochen zu werden, denn mir waren die Drücker bereits am Nachmittag bei einem Blick aus dem Fenster hinaus auf die Fußgängerzone aufgefallen. Und einer katholischen Hilfsorganisation möchte ich keine Spende zukommen lassen: „Nö, bei euch gilt das Kirchliche Arbeitsrecht, ihr beschäftigt keine Konfessionslosen, keine Homosexuellen, keine Geschiedenen, die wieder geheiratet haben. Da gibt’s von mir kein Geld.“
Die junge Frau stutzt nur kurz, hat schnell eine Antwort parat: „Ja, aber wir helfen denen.“ Ich verweise freundlich darauf, dass das ja wohl selbstverständlich sei und der Rettungswagen des Malteser Hilfsdienstes kaum wieder abfahren könne, wenn die Sanitäter feststellen, dass das Unfallopfer konfessionslos ist. Und auf den Einwand: „Aber wir tun doch so viel Gutes“, entgegne ich, dass andere Organisationen wie das Rote Kreuz das auch tun – ohne Konfessionslose und Andersgläubige zu diskriminieren.
Rückblende: Es ist Mittwoch. Eine Kollegin geht in ihrer Mittagspause die Fußgängerzone hinunter. Eine junge, adrett gekleidete, gut aussehende Frau mit einem Klemmbrett unter dem Arm tritt ihr strahlend in den Weg und fragt, ob sie die wohltätige Arbeit des Malteser Hilfsdienstes kenne und mit einer Spende unterstützen möchte. Die Kollegin antwortet, dass sie die Organisation kenne und ganz bestimmt nicht spenden wird, weil dort das Kirchliche Arbeitsrecht gilt und keine konfessionslosen oder homosexuellen Menschen eingestellt werden. Die junge Frau ist irritiert, meint, das könne ja wohl nicht sein, ruft einen Drückerkollegen zu Hilfe. Auch der ist offenbar zum ersten Mal mit einem Einwand dieser Art konfrontiert.
Zwei Tage später sind die Spendeneintreiber offenbar auf die neu aufgetretene Argumentation spendenunwilliger Passanten vorbereitet. Und dann wird die junge Frau vertraulich: „Ich bin ja auch aus der Kirche ausgetreten.“ Ist das ein letzter plumper Versuch, mich doch noch zu einer Gabe zu bewegen? Ich verzichte darauf, mir ihre Kirchenaustrittsbescheinigung zeigen zu lassen, denn es könnte nämlich stimmen, was die junge Frau behauptet. Auch wenn sie stets von „wir“ gesprochen hat, setzt der Malteser Hilfsdienst für die Akquisition von Spenden offenbar kein eigenes Personal ein, sondern nimmt die Dienste professioneller Spendensammler in Anspruch. Und anders als bei Ärztinnen, Hausmeistern, Krankenpflegern, Erzieherinnen, Spülhilfen, Reinigungskräften usw. usf. spielt die Konfession dann augenscheinlich keine Rolle. Wenn’s ums Geld geht, definiert sich „Glaubwürdigkeit“ auf katholisch halt anders...