Die Ereignisse in der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof sind derzeit in aller Munde: Männer, die gemeinschaftlich Jagd auf Frauen machen, sie sexuell belästigen und bestehlen. Zum Kotzen, gar keine Frage.
Nach aktuellem Ermittlungsstand sind die Täter Männer mit Migrationshintergrund. Eine Tatsache, die plötzlich Verteidiger von Frauenrechten in politischen Lagern zum Vorschein kommen lässt, in denen wahrlich niemand mit ihnen gerechnet hätte: Biodeutsche Bajuwaren, die noch vor gar nicht allzu langer Zeit dagegen stimmten, dass Vergewaltigung in der deutschen Ehe ein Straftatbestand wird, fordern Gesetzesverschärfungen für migrantische Frauenmisshandler und leben Zuzüglern aus anderen Kulturkreisen jedes Jahr das rechte Verhalten auf dem Oktoberfest vor, wo – wie die Autorin aufgrund eigener Feldforschungen weiß – kaum ein zivilisierter mitteleuropäischer Herr den Damen unters Dirndl greift, an den Busen grabscht oder mit seinen primären Geschlechtsmerkmalen ungebührlich nähert. Aber auch außerhalb Bayerns gibt es viele besorgte Bürger,die sich nun um „unsere Frauen“ sorgen. Wie viele von diesen gutbürgerlichen Großdeutschen mögen wohl die Auffassung ihrer reaktionären Muslim-Brüder im Geiste teilen, dass eine Frau an den Herd gehört? Wie viele von ihnen mögen wohl ausschließlich etwas an der Stellung der Frau verändern wollen, wenn sie als Sextouristen nach Thailand fahren?
Besorgt durch die Übergriffe in Köln zeigte sich auch ein weiterer unerwarteter Befürworter von Frauenrechten, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Marx. Am 8. Januar 2016 verkündete er in einer Pressemitteilung:
„Diese neue Form von Gewalt und vor allem der menschenverachtende Umgang mit Frauen können nicht hingenommen werden. (…) Als Kirche werden wir dabei unseren Beitrag leisten, an einer Gesellschaft mitzuwirken, die in Respekt und gegenseitiger Achtung lebt.“
Es ist wahrlich erstaunlich, in welchem Tempo die römisch-katholische Kirche derzeit Reformprozesse durchläuft. Erst am 27. Dezember 2015 hatte Braulio Rodriguez Plaza, Erzbischof von Toledo und Primas von Spanien, seinen Schäfchen verkündet, dass Frauen selbst schuld seien, wenn sie von ihren Männern körperlich misshandelt würden, weil sie ihren Männern eben nicht gehorchten oder gar die Unverfrorenheit besäßen, um eine Scheidung zu bitten. Und dann, schon dreizehn Tage später, das donnergrollende Wettern gegen den menschenverachtenden Umgang mit Frauen durch Kardinal Marx:
„Die Exzesse in Köln und anderen Großstädten sind für unsere Gesellschaft zutiefst verstörend und können in keiner Weise toleriert werden. Wir brauchen eine genaue Aufklärung und eine deutliche Antwort des Rechtsstaates.“
Ein echter Wandel also im Denken der katholischen Altherren-Führungsriege? Oder war das Marx’sche Donnergrollen vielleicht nur der Versuch, in Zeiten besorgter Bürger einen PR-Bonus einzuheimsen? Oder noch schlimmer: Vielleicht war seine Pressemitteilung nur ein Täuschungsmanöver, um von ganz anderen verstörenden Exzessen abzulenken?
Auffällig ist jedenfalls, dass an eben jenem 8. Januar, an dem Marx seine Stellungnahme zu den Ereignissen in der Silvesternacht veröffentlichte, in Regensburg eine Pressekonferenz stattfand, auf der enthüllt wurde, dass der Missbrauchsskandal bei den Regensburger Domspatzen wesentlich umfangreicher ist, als bisher von der katholischen Kirche eingeräumt. Das Bistum hatte 72 Missbrauchsopfer seit 1953 ermittelt. Laut dem jetzt vorgestellten Zwischenbericht des unabhängigen Ermittlers Rechtsanwalt Ulrich Weber liegt die Zahl der Missbrauchsopfer jedoch um rund das zehnfache höher. Damit wurde in den Jahren 1953 bis 1992 jedes dritte Kind bei den Regensburger Domspatzen Opfer von körperlichem oder sexuellem Missbrauch.
„Alle gesellschaftlichen Kräfte müssen gemeinsam daran arbeiten, solche Vorkommnisse zu verhindern und Sicherheit zu gewährleisten“, hatte Kardinal Marx in seiner Pressemitteilung über die sexuellen Übergriffe in der Silvesternacht verlauten lassen. Ein Satz, der angesichts der zahreichen Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche wie Hohn klingt.
Aber obwohl ich zu Kardinal Marx und den Seinen üblicherweise eine Armlänge Abstand halte, muss ich ihm bei dieser Aussage ausnahmsweise Recht geben: Sexuelle und körperliche Gewalt, egal ob gegen Kinder, Frauen oder Männer, muss verhindert werden – sei es am Kölner Hauptbahnhof oder innerhalb der Pforten der katholischen Kirche.