Staat und Kirche | Veröffentlicht in MIZ 1/21 | Geschrieben von Corinna Gekeler

Verbohrt + unsozial = Caritas + Diakonie

Die Caritas hat einen branchenweiten Tarifvertrag für die Alten­pflege verhindert. Caritas und Diakonie halten die Ideologie vom Dritten Weg aufrecht, koste es Andere was es wolle. Betroffene, ver.di und andere an den Verhandlungen Beteiligte sind stinksauer und starten Aktionen, damit der Beschluss zurückgenommen wird.

Fast zehn Jahre verhandelten ver.di und Wohlfahrtsverbände mit der Bundesvereinigung der Arbeitgeber in der Pflegebranche (BVAP), um Mindeststandards in der Altenpflege per Tarifvertrag festzulegen. Obwohl Diakonie und Caritas einbezogen waren, hat die Arbeitsrechtliche Kommission (Bundeskommission) der Caritas ihre Zustimmung am 25. Februar 2021 überraschend verweigert. Im Anschluss hat sich die Diakonie weggeduckt, indem sie gar nicht erst abgestimmt hat. Gemeinsam verteidigen sie die Ideologie des Dritten Wegs auf dem Rücken der Pflegekräfte – und die privaten Lohn-Dumper freuen sich.

Dank Caritas und Diakonie erreichen Pflegefachkräfte nun doch nicht branchenweit bis 2023 einen Stundenlohn von mindestens 18,75 Euro. Stattdessen bleibt es für den Großteil der Beschäftigten beim Mindestlohn 15 Euro (ab Juli 2021), was 25 Prozent weniger macht. Zudem war geplant, den Tarifvertrag von der Altenpflege aus auf die ganze Pflegebranche auszuweiten, d.h. durch die Ablehnung sind die Hoffnungen in weiteren Berufszweigen gestorben.
Pflegekräfte sind also weiterhin dem Lohn-Dumping vor allem privater Träger ausgeliefert. Auch die Diakonie wird weiter von niedrigen Löhnen profitieren. Die Caritas zahlt immerhin dort mehr, wo sie in Konkurrenz mit anderen Trägern damit Fachkräfte gewinnen und halten kann.
So schob die Caritas als ein Argu­ment für ihr Nein vor, die Pflegekassen hätten ihre Abweichung nach oben nicht mehr vergütet. Ver.di widerlegt in einem Faktencheck1 mit dem Titel „Scheinheilig“ alle Caritas-Argumente und kommentiert mal mit „zutiefst unseriös“, „perfide Caritas-Logik“ oder „Die Caritas verkauft die Öffentlichkeit und ihre eigenen Beschäftigten schlicht­weg für dumm.“

Dritter Weg

Caritas und Diakonie geht es um den sogenannten Dritten Weg und eine behauptete Selbstbestimmung, die bislang vom Bundesverfassungsgericht leider nicht abgeschafft oder zumindest beschnitten worden ist. Die Privilegien erstrecken sich im kollektiven Arbeitsrecht auf Einschränkungen bei Mitbestimmung und Streikrecht (das Betriebsverfassungsgesetz gilt nicht). Da ist so ein verbindlicher Tarifvertrag natürlich eine unerwünschte „Einmischung in eigene An­gelegenheiten“.

Der Dritte Weg geht mit dem ideologischen Konstrukt einer Dienst­gemeinschaft einher. Selbst kirchliche Klinikkonzerne betonen die religiöse Dimension ihres „Wirkens in der Welt“ und „das Erfüllen des Sendungsauftrags Jesu“. Glaubenssache ist dann auch, dass Christen_innen ihrer „Gottesliebe in ihrem Tun gemeinsam Ausdruck verleihen“. Und deshalb kann es, wie jüngst auf einer Tagung der Humanistischen Union zum Kirchenarbeitsrecht von einer katholischen Funktionärin hervorgehoben wurde,2 gar keine Interessen­konflikte geben. Und wenn es doch etwas „zu regeln“ geben sollte, geschieht dies in Gremien, in denen „konsensuale Verfahren“ zur „friedlichen Ergebnisfindung“ beitragen. So etwa in besagter Arbeitsrechtlicher Kommission, deren Beschlüsse eine Art Empfehlungen an die alles entscheidenden Diözesanbischöfe sind.

Im individuellen Arbeitsrecht möchten Caritas und Diakonie weiterhin auf Kirchenmitgliedschaft ihrer Mitarbeitenden bestehen dürfen; in der Caritas ergänzt durch unerwünschte Homosexualität und Zweitheirat. Das Bundesarbeitsgericht schloss sich 2018 und 2019 zwei EuGH-Urteilen an und ordnete die kirchlichen Sonderrechte der dem Schutz vor Diskriminierung (Berliner konfessionslose Bewerberin als Diakonie-Referentin) und dem Recht auf Privatsphäre (wiederverheirateter Chefarzt in katholischer Klinik) unter. Dagegen legte die Diakonie beim Bundesverfassungsgericht Wi­derspruch ein, ein Termin steht noch aus.3

Die Arbeitsteilung sieht so aus: Beim individuellen Arbeitsrecht macht die Diakonie die Drecksarbeit, beim kollektiven die Caritas. Und beide zusammen erledigen die der privaten Anbieter.

Noch zu retten?

Es wird behauptet, am Dritten Weg hielten nur noch verbohrte Kirchen­funktionäre fest. So kritisieren katholische Sozialethiker_innen und Profes
sor_innen in einer gemeinsamen Stel­lungnahme den aktuellen Beschluss.4 Dieser untergrabe „die Gemein­wohl­orientierung der gesamten Caritas und all ihrer Einrichtungen. Zugleich setze sich die Caritas in einen ekla­tanten Widerspruch zu grundlegen­den Maßstäben der kirchlichen Sozial­verkündigung“. Der Dritte Weg wird darin nicht kritisiert.

Caritas und Diakonie verhin­dern 
seit Jahren auch in der Pflege­min­dest
lohnkommission von Bundes­gesund­heitsminister Spahn Fortschritte. Trotzdem verspricht die Caritas jetzt Verbesserung durch eine von Spahn angekündigte Pflegereform. Doch die wird längst als weder durchsetzbar noch als weitreichend genug kritisiert. „Die Ankündigung von Herrn Spahn entpuppt sich als Reform, die sogar die Löhne drücken könnte, statt sie zu erhöhen“, heißt es dazu in einem offenen Brief von ver.di an die Arbeitsrechtlichen Kommissionen von Caritas und Diakonie. Der Brief (vom 29.3.2021) bekräftigt die Forderung, die Ablehnung erneut zu besprechen und zurückzunehmen. Parallel laufen Aktionen von Campact und zahlreichen anderen Organisationen für eine sofortige Beschlussrücknahme.

Anmerkungen

1 ver.di: Scheinheilig. Caritas-Arbeitgeber zerstören Hoffnung von hunderttausenden Pflegepersonen auf bessere Bezahlung
2 Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen im Lichte aktueller Rechtsprechung zum kirchlichen Arbeitsrecht, Zweitägige Konferenz in Berlin und online, 27.-28.11.2020
3 MIZ 4/2018: Gekeler: Privilegien für kirchliche Arbeitgeber wanken
4 Alexandra P. / AG Christliche Sozialethik: Sozialethische Stellungnahme zur Weigerung der deutschen Caritas, einem einheitlichen Tarifvertrag Altenpflege zuzustimmen, 4. März 2021