Peter Rüttgers: Religiös verfolgt im Herkunftsland und in Deutschland. „Als hätte ich mein Heimatland nicht verlassen!“. Münster 2023, LIT Verlag. 84 Seiten, kartoniert, Euro 16,90, ISBN 978-3-643-15383-8; E-Book Euro 11,90, ISBN 978-3-643-15383-2
Flüchtlinge aus islamischen Ländern werden oft als Muslime wahrgenommen. Diese verzerrte Sicht blendet aus, dass viele gerade deshalb fliehen, weil sie es nicht sind. Unterdrückung und Verfolgung durch islamische Regime, aber auch die Bedrohung durch nichtstaatliche islamistische oder ultrakonservative islamische Akteure gehören zu den Hauptfluchtursachen. Betroffen sind auch Menschen, die mit dem Islam gebrochen haben. Dass diese sogar nach gelungener Flucht nicht sicher sind, verdeutlicht Peter Rüttgers am Beispiel nach Deutschland geflüchteter atheistischer Ex-Muslim:innen.
Zunächst geht er auf die Situation in den Herkunftsländern ein und zeigt, wie dort der politische Islam an Boden gewinnt, eine verstärkte Islamisierung bzw. Re-Islamisierung stattfindet, die dann Menschen, die nicht schariakonform leben, insbesondere Frauen, Homosexuelle oder eben Nichtreligiöse, zur Flucht zwingt. Islamisierungsbestrebungen sind aber ebenso in westlichen Ländern zu beobachten, wobei vor allem aus Katar gesponserte Netzwerke der Muslimbruderschaft eine Schlüsselrolle spielen. Die Folge sind umfassende, von Politikern oft geförderte parallelgesellschaftliche islamistische Strukturen auch in Deutschland.
Für nach Deutschland geflüchtete religionslose Ex-Muslim:innen ergibt sich eine Situation, in der diese nach wie vor der Gefahr islamistischer Verfolgung und Bedrohung ausgesetzt sind. Die Protagonist:innen des Buches beschreiben die Zustände in ihren Herkunftsländern, erzählen, wie sie an ihrem Glauben zu zweifeln begannen und schließlich mit diesem brachen, wie sie sich angesichts der oft lebensbedrohlichen Gefahr, in die sie infolgedessen gerieten, schließlich zur Flucht entschlossen.
In Sicherheit sind sie dennoch nicht. In Flüchtlingsunterkünften sind sie Drohungen und physischen Angriffen durch strenggläubige muslimische Bewohner ausgesetzt. So berichtet der ägyptische Flüchtling Hisham Nofal, wie er in einem Flüchtlingsheim geschlagen wurde und sich einmal nur durch einen Sprung aus dem Fenster retten konnte. Von den Behörden werden die Betroffenen oft im Stich gelassen. Auch außerhalb von Flüchtlingsunterkünften setzen sich die Bedrohungen fort. Als die Irakerin Worood Zurair in einem Volkshochschulkurs den Koran kritisierte, wurde sie von muslimischen Kursteilnehmer:innen beschimpft und physisch bedroht. Die Lehrkräfte haben weggeschaut.
Rüttgers geht von einer hohen Dunkelziffer von Menschen aus, die nach ihrer Flucht weiterhin religiös verfolgt werden. Religionsfreien Geflüchteten müsse eine Stimme gegeben werden, Religionslosigkeit und Apostasie müsse als Fluchtgrund anerkannt werden. Dazu gehöre auch, diese Menschen vor weiterer Verfolgung zu schützen.
Das Buch gibt einen lehrreichen Einblick in deren wenig bekannte Lebenssituation.