Eine Frage, die Historiker wie Theologen bis heute gleichermaßen fasziniert und um deren Beantwortung sich zahllose Mythen ranken, lautet: Wie war es möglich, dass eine kleine jüdische Sekte am äußersten Rand des römischen Imperiums zur einflussreichsten Religion aufsteigen konnte?
Unterschiedliche Interessensgruppen schrieben sich im Laufe der Zeit ihre eigene Geschichte und leisteten so den falschen Vorstellungen Vorschub. Eine quellenkritische und zugleich nüchterne Betrachtung des Gegenstandes war lange Zeit nicht möglich bzw. musste, wie im Falle von Karlheinz Deschner, mit allen Mitteln unterbunden werden. Eine Kriminalgeschichte des Christenums? Unmöglich, waren die (frühesten) Christen doch vom heiligen Geist geradezu beseelt.
Der Althistoriker Manfred Clauss, ein profunder Kenner der Antike, lässt in seinem neuen Werk Ein neuer Gott für die alte Welt die Quellen für sich sprechen und ermöglicht so einen gegen den Strich gebürsteten Blick auf die damalige Zeit. Seine Hauptthese lautet: die frühen Christen waren keinesfalls sanftmütige und friedliche Gläubige. Mit dem (absoluten) Wahrheitsanspruch des Christentums ging ein Modus der Aggressionsbereitschaft einher, mit welchem Häretiker, Anders- und Nichtgläubige diffamiert und verfolgt wurden. „Recht zu haben war seit den Anfängen das konstituierende Element der neuen Religion“, so Clauss in seinem fulminanten Werk. Gerade diese für jede (monotheistische) Religion typische Haltung der absoluten und letzten Wahrheit führte im Laufe des frühen Christentums zu einem grausamen Kampf gegen alle, die sich nicht dem christlichen Gott unterwerfen wollten. Tempel, wie der pagane Tempel in der Stadt Gaza, wurden ebenso zerstört wie Synagogen. In ihrer Hasssprache und Aufwiegelung unterscheiden sich die frühen Christen kaum von den heute so wirkmächtigen Krieger Allahs. Die Bereitschaft zum Martyrium war weit verbreitet, teilten doch viele frühe Christen eine krankhafte Todessehnsucht nach Erlösung. Das frühe Christentum also ein Vorreiter des Islamischen Staates (IS)? Fakt ist, dass nach der Lektüre dieses Buches nichts mehr übrig bleibt von dem Mythos der Nächstenliebe.
Was Clauss’ Arbeit wohltuend von so vielen anderen Arbeiten zu dem Thema unterscheidet, ist nicht nur die Tatsache, dass er dem Christentum nicht mit dem, für Historiker und Theologen typischen, verklärenden Blick begegnet, wonach die Urgemeinde des Christentums die Friedfertigkeit quasi erfunden haben muss. „Mag das Christentum auch religiöse Gefühle angesprochen haben [...], entscheidend war meiner Einschätzung nach die Gewalt, mit der die Christen ihren Glauben durchsetzten.“
Diese, der Aufklärung verpflichteten Haltung, ist selten geworden, da sie nicht den Weg der Bequemlichkeit geht und schreibt, was die Öffentlichkeit hören will, sondern Quellen zu Wort kommen lässt, die die unangenehmen Tatsachen zu Tage fördern. In diesem Sinne sei dieses Buch wärmstens empfohlen.