Buchbesprechung | Veröffentlicht in MIZ 1/22 | Geschrieben von Viola Schubert-Lehnhardt

Rezension von Pollack / Rosta: Religion in der Moderne

Detlef Pollack / Cergely Rosta: Religion in der Moderne. Ein internationaler Vergleich. 2. aktualisierte und erweiterte Auflage, Campus Verlag Frankfurt am Main 2022, 641 Seiten, gebunden, Euro 39,95, ISBN 978-3-593-51211-2

Beide Autoren waren im Exzellenz­cluster der Universität „Religionen und Politik: Dynamiken von Tradition und Innovation“ in Münster tätig, auf dessen Ergebnisse und Zusammenarbeit mit den beteiligten KollegInnen sie sich im vorgelegten Werk stützen. Gegenüber der ersten, sieben Jahre zuvor erfolgten, Auflage finden hier Tendenzen der Säkularisierung auch in so hochreligiösen Ländern wie Polen, Italien oder USA stärker Beachtung.

Zunächst einmal ist das Buch ein Eldorado für LiebhaberInnen von Statistiken: Angefangen von Tabellen über Religionszugehörigkeit, kirchliche Formen der Religionsausübung (wie Taufen, Hochzeiten, Kirchgang, Bestat­tungen etc.) bis hin zu außerkirchlichen Formen der Religiosität, Wanderungs­bewegungen zwischen den Religionen und der säkularen Szene, Vergleichen zu Glaubensinhalten und deren jeweiligen Gewichtung, Korrelationen zwischen Wirtschaftsentwicklung und Religion, Frauenrollen, Veränderungen in gemischten Partnerschaften, etc., gibt es nicht nur alles, was das Herz an Zahlen und Fakten begehrt, sondern im Text dann auch stets eine ausführliche Analyse dazu.

Gegliedert sind die Länderbereiche nach Untersuchungen zu „religiösem Niedergang in Westeuropa?“ (West­deutsch­land, Italien, Niederlande), „Renaissance des Religiösen in Ost­europa?“ (Russland, Ostdeutsch­land, 
Polen) und Religiösem Wandel im außereuropäischen Raum (USA, Süd­korea, Brasilien). Bevor die Autoren dazu Stellung nehmen, erläutern sie in Auseinandersetzung mit anderen AutorInnen die Begriffe „Moderne“ und „Religion“. Im Text gehen sie dann bei der Erläuterung der vorgestellten Fakten und Statistiken immer wieder darauf ein, inwiefern religiöse Veränderungen mit Prozessen der Modernisierung verbunden sind. Bezüglich des Religionsbegriffes, den sie für ihre Einschätzungen zu Grunde legen, arbeiten sie drei Aspekte heraus: die Identifikations- und Zugehörig­keitsdimension, die religiöse Praxis und die Dimension der religiösen Über­zeugung und Erfahrung.

Das Buch überzeugt auch durch die ausführlichen historischen Abhand­lungen zur Entwicklung von Religion und Kirchen in verschiedenen Ländern. Unter aktuellem Aspekt dürften da gerade Russland und die Erläuterung zum religiösem Aufschwung nach 1990 interessant sein. In keinem anderem Land Europas genieße die Kirche so hohes Vertrauen wie in Russland. Für Länder wie Polen und die neuen Bundesländer wird dagegen schwindendes Vertrauen in kirchliche Repräsentanten und Institutionen nach den gesellschaftlichen Veränderungen konstatiert. Gerade der erwartete, jedoch nicht eingetretene Zuwachs an Kirchenzugehörigkeit in Ostdeutschland wird ausführlich begründet – gefehlt hat hier bei den vielfältigen Analysen jedoch die Diskussion um Militärseelsorge. Dieser Aspekt wird leider bei den Analysen zu allen Ländern ausgespart. Auf Grund der breiten Erörterung anderer sozialer, wirtschaftlicher und politischer Faktoren, ist dies eher als Anregung für die dritte Auflage zu verstehen, denn als Kritik.

So wie eingangs breit auf Diskus­sionen zu den Begriffen Moderne und Religion Bezug genommen wird, ist es im Text wiederholt die Auseinan­dersetzung mit Säkulari­sie­rungs­theorien, die zur Erläuterung bestimmter Phänomene herangezogen werden. Neben diesen wird immer wieder die Markttheorie herangezogen und auf Plausibilität geprüft. Wie das Beispiel USA zeigt, reicht auch diese nicht aus, bestimmte Phänomene zu erklären. Gerade die Fokussierung auf eine Theorie zur Erklärung bestimmter Entwicklungen, habe die religionssoziologische Debatte der letzten Jahre eher eingeschränkt denn befruchtet. Letzteres tut dieses Buch – in geradezu exzellenter Form!