Daniel Stahl: Nazi-Jagd. Südamerikas Diktaturen und die Ahndung von NS-Verbrechen. Wallstein Verlag, Göttingen 2013. 430 Seiten, gebunden, Euro 34,90, ISBN 978-3-8353-1112-1
Eines der (vielen) unrühmlichen Kapitel der europäischen Geschichte ist die bis heute nicht abgeschlossene Aufarbeitung des Nationalsozialismus im 20. Jahrhundert. Hierzu zählt insbesondere die Verfolgung der NS-Funktionäre und Holocaust-Täter, die unmittelbar nach Kriegsende nach Südamerika fliehen konnten – nicht zuletzt mit der Unterstützung von Kirchenfunktionären (siehe dazu das profunde Werk Persilscheine und falsche Pässe des vor kurzem verstorbenen Journalisten Ernst Klee).
In der Frage des Umgangs mit den Tätern standen sich in erster Linie zwei Gruppen gegenüber, die seit den 1950ern unterschiedliche Interessen verfolgten. Auf der einen Seite die Journalisten und Nachfahren von Opfern, deren Impulse maßgeblich dazu beitrugen, dass strafrechtliche Konsequenzen gezogen wurde. Auf der anderen Seite konservative Politiker und Beamte, die, wenn nicht aus der Nazi-Zeit direkt in den Staatsdienst übernommen, so doch mehrheitlich mit geringem Interesse an der Aufarbeitung ausgestattet waren. Eine der wenigen Ausnahmen bildete der Frankfurter Oberstaatsanwalt Fritz Bauer, dessen großes Verdienst es war, den Frankfurter Auschwitz-Prozess mitinitiiert zu haben.
Daniel Stahls Buch, welches in der Reihe Beiträge zur Geschichte des 20. Jahrhunderts von dem Jenaer Historiker Norbert Frei herausgegeben wurde, nimmt sich der verschiedenen Perspektiven an und versucht die Gemengelage zu entschlüsseln. Dabei wagt Stahl den Blick über die nationale Grenze hinaus. „Einerseits nimmt die Studie den Wandel im Umgang mit den während des Zweiten Weltkriegs begangenen Verbrechen in den Blick, der sich in Europa zwischen 1945 und der Jahrtausendwende vollzog (...). Andererseits geht es in dieser Studie darum, auf welche Resonanz die Nazi-Jagd in Südamerika stieß (...).“ (S. 11f.)
Insgesamt vier Kapitel verwendet Daniel Stahl dazu, um den beiden Aspekten auf den Grund zu gehen. Zudem gibt es, neben Einleitung, Quellen- und Literaturverzeichnis, Abkürzungen und Personenverzeichnis einen Überblick über wichtige Fahndungs- und Auslieferungsverfahren.
Dass Geschichte sich mitunter wie ein Krimi nachzeichnen lässt, wird durch Stahls Arbeit einmal mehr deutlich. Das Zusammenspiel von Interessen, Diplomatie und Verschleierung hätte auch einem Krimi eines John le Carré entnommen sein können. Daniel Stahl legt mit seiner Dissertation ein überaus aufschlussreiches und interessantes Werk über die Frühzeit der Bundesrepublik Deutschland vor. Wenngleich in seiner Sprache oftmals sehr komplex formuliert, sei es doch jedem ans Herz gelegt, der sich vertiefend mit dieser Thematik auseinandersetzen möchte. Es ist in soweit ein Verdienst von Daniel Stahl, die verschiedenen Fäden dieser Epoche – Diplomatie, Vergangenheitsbewältigung, Vergangenheitsverschleierung, Ermittlung, Deutung und nationale wie internationale Interessenpolitik – zusammengefügt zu haben.