Franz Höllinger / Thomas Tripold: Ganzheitliches Leben. Das holistische Milieu zwischen neuer Spiritualität und postmoderner Wellness-Kultur. Transcript Verlag, Bielefeld 2012. 301 Seiten, kartoniert, 29,80 Euro, ISBN 978-3-8376-1895-2
Die Esoterik-Szene ist aus der Buchhandlung nicht mehr wegzudenken. Kaum ein Marktsegment des Buchhandels hat sich in den letzten zwanzig Jahren finanziell so rasant entwickelt. Leider bieten die unzähligen Werke nahezu ausschließlich Verdummungs- und Verführungspotential, jedoch kaum wissenschaftliche Grundlagenforschung. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass sich die bisher vorliegenden kritischen Arbeiten in erster Linie auf Kritik der Szene und der gesellschaftlichen Verhältnisse beziehen. Aber die eigentliche Frage, warum Menschen derlei Angebote in Anspruch nehmen, wurde im deutschsprachigen Raum bisher nicht näher analysiert. Das Buch der beiden österreichischen Soziologen Höllinger und Tripold, Mitarbeiter der Grazer Karl-Franzens-Universität, versuchen, diese Forschungslücke zu schließen.
Das Buch ist in zwei Teile eingeteilt. Vor der eigentlichen Studie, die im zweiten Teil des Buches ausführlich dargestellt und erörtert wird, widmen sich die Autoren im ersten Teil dem, wie sie es nennen, holistischen Milieu, „die Gesamtheit der alternativen therapeutischen und spirituellen Aktivitäten und die sozialen Kreise, in denen diese ausgeübt werden“ (S. 12). Sehr ausführlich gehen sie anhand verschiedener Fragestellungen der Sache auf den Grund. Sie diskutieren beispielsweise Religiosität/Spiritualität, stellen Überlegungen zu der Frage an, ob es sich hier um eine Gegenkultur handelt und versuchen sich an der Analyse von Religion, Magie und deren Wirkungen. Überaus informativ ist ebenfalls der historische Abriss des ganzheitlich-spirituellen Denkens von der Romantik bis zur New Age-Bewegung.
Der Hauptteil der Studie bietet einen detaillierten Überblick über spirituelle Erfahrungen und Werthaltungen der Studienteilnehmer_innen. Auch wenn der Fokus der Studie auf Österreich liegt – zwei exemplarisch ausgewählte politische Bezirke Österreichs und eine Oversample-Befragung von Teilnehmer_innen holistischer Gruppenaktivitäten –, muss bzw. kann davon ausgegangen werden, dass die Ergebnisse auf den gesamten deutschsprachigen Raum übertragen werden können, vor allem deshalb, weil esoterisches Denken an Grenzen nicht Halt macht. Die Ergebnisse selbst lassen kaum Überraschungen zu, wenngleich den Autoren ein differenziertes Bild der Esoteriknutzer_innen gelungen ist. So unterscheiden sie zwischen einem holistischen Rand und einem holistischen Kern, wo sich deutliche Unterschiede aufzeigen lassen. Während die Randgruppe esoterische Angebote eher „aus praktischen Gründen und aus Neugier in Anspruch“ nehmen, zeigt der Kern „eine klare Affinität zu ökologischen und linksliberalen politischen Ideologien“ (S. 126, 211).
In ihrer Bewertung zeigen sich die Autoren sehr wohlwollend und üben deutliche Kritik an, wie sie es meinen, eher einseitigen Vorverurteilung seitens der Skeptiker. So zählen sich die Autoren denn auch zu der Gruppe der Forschenden, die dem holistischen Ansatz konstruktive Ansätze abgewinnen können. In der Bewertung ihrer Untersuchung kommen sie sogar zu dem Schluss, dass „die Mehrheit der Anbieter seriös arbeitet und bemüht ist, den selbst gesetzten ethischen Ansprüchen zu genügen“. (S. 279) Doch die Frage muss an dieser Stelle erlaubt sein, was ist seriös? Und reicht die Studie tatsächlich aus, um eine solche Bewertung wirklich vornehmen zu können?
Wenngleich das umfassende Datenmaterial, die Lesbarkeit der Studie, die Einführung ins Thema und die Einbindung der Interviews gelungen ist, bleibt gerade im Hinblick auf die Aufgeschlossenheit der Autoren gegenüber dem esoterischen Denken ein fader Beigeschmack. Nichtsdestotrotz lohnt es sich, die Studie zu lesen.