Buchbesprechung | Veröffentlicht in MIZ 2/17 | Geschrieben von Christoph Lammers

Rezension von Gilles Kepel: Terror in Frankreich

Der neue Dschihad in Europa

Gilles Kepel: Terror in Frankreich. Der neue Dschihad in Europa. Verlag Antje Kunstmann, München 2016. 304 Seiten, gebunden, Euro 24.-, ISBN 978-3-95614-129-4

Im Sommer 2016 eskalierte der Streit 
zwischen den beiden französischen Islamexperten Olivier Roy und Gilles Kepel um die folgende Frage: Ist Gewalt ein Bestandteil des Islam und damit ursächlich für den europäischen Dschihadismus verantwortlich oder nicht? Oder mit ihren Worten ausgedrückt, handelt es sich um eine „Islamisierung der Radikalität“ oder um eine „Radikalisierung des Islam“?

Der mitunter scharf und beleidigend geführte Disput um das reziproke Verhältnis von Religion und Gewalt hat seinen Ursprung in den Anschlägen von Paris, Nizza und Brüssel. Gilles Kepel, einer der führenden Islam- und Terrorismusmusexperten in Europa, nahm die Anschläge zum Anlass, um eine Milieu-Studie zur Entwicklung des Dschihadismus in Frankreich zu verfassen und um damit seine Theorie, die Radikalisierung des Islam, zu untermauern. Während in den Medien und in der Politik der Terrorismus als ein Ausdruck des Krieges zwischen dem Westen und dem Islam verstanden wird, ganz im Sinne Samuel Huntingtons These vom Kampf der Kulturen, ist Kepel davon überzeugt, dass der Terror als gezielter Anschlag auf die westliche Lebensweise zu verstehen sei.

Kepels Grundgedanke im Buch lautet: 2005 vollzog sich mit dem „Aufruf zum weltweiten islamischen Widerstand“ eine Wende des Dschihadismus. In dem Aufruf kritisierte der syrische Dschihadist Abu Musab Al-Suri die Anschlläge des 11. September als Hybris, als Überheblichkeit Osama Bin Ladens. Er rief stattdessen dazu auf, westliche Gesellschaften direkt anzugreifen und dafür „schlecht integrierte“ Jugendliche zu rekrutieren. Kepel nennt diese jungen europäischen Muslime die „dritte Generation der Dschihadisten“. Ihre Aufgabe sei es, die europäischen Gesellschaften durch ihren Terror zu spalten und in kriegsähnliche Zustände zu versetzen.

Zwar führt Kepel den Terror in seiner Studie auf den Islam und seine radikalste Form, den Salafismus, zurück. Gleichzeitig benennt er das Versagen der Politik und zeigt die verheerende Bedeutung gesellschaftlicher Missstände. Die wochenlangen Unruhen in den Banlieues, den trostlosen Vororten französischer Großstädte, wo Arbeits- und Perspektivlosigkeit den Alltag vieler Jugendlicher prägen, zählt der Autor zu den Schlüsselereignissen von 2005.

Kepels Analyse lebt von einer dystopischen Vorstellung, die nicht alle teilen wollen. „Man hat das Gefühl, dass sich ein Bruch vollzieht. Ein omnipräsenter Argwohn, der Gefahr läuft, durch die Provokationen auf allen Seiten zu einer Art verkapptem Bürgerkrieg zu werden“, so der Autor in seinem letzten Kapitel. Wer jedoch verstehen will, wie sich der Dschihad über Europa hat ausbreiten können und was man gegen diese Entwicklung tun muss, kommt an seinem Buch über die Genese des Dschihadismus nicht vorbei.