Buchbesprechung | Veröffentlicht in MIZ 3/14 | Geschrieben von Christoph Lammers

Rezension von Richard Saage: Zwischen Darwin und Marx

Zur Rezeption der Evolutionstheorie in der deutschen und der österreichischen Sozialdemokratie vor 1933/34

Richard Saage: Zwischen Darwin und Marx. Zur Rezeption der Evolutionstheorie in der deutschen und der österreichischen Sozialdemokratie vor 1933/34. Böhlau Verlag, Wien 2012. 280 Seiten, gebunden, Euro 35.-. ISBN 978-3-205-78803-4

Als Thilo Sarrazin 2010 sein Buch Deutschland schafft sich ab veröffentlichte, fragten sich viele Kommentator_innen, wie es um die deutsche Sozial­demokratie bestellt sei und ob jemand wie Sarrazin, der ein biologistisches Menschenbild vertritt, dort etwas zu suchen habe?

Richard Saage, emeritierter Profes­sor an der MLU Halle-Wittenberg, nahm dies zum Anlass, sich einmal näher mit dieser Frage zu befassen – allerdings aus historischer Perspektive. Er wollte wissen, welche Rolle Darwins (r)evolutionäre Gedanken für dessen Rezeption innerhalb der deutschen und österreichischen Sozialdemokratie spielten.

Dass auch ein renommierter For­scher wie Saage nicht ohne Vorurteile ist – im Hinblick auf Darwins Evolu­tionstheorie keine Seltenheit – zeigt ein Eingeständnis gleich zu Beginn seines Buches. Er sei davon ausgegangen, so Saage, „dass der auf die Gesellschaft angewandte Darwinismus dem rechten Lager zuzuordnen sei, der sich insbesondere im Dritten Reich, aber auch schon während des Imperialismus vor dem Ersten Weltkrieg um seinen moralischen Kredit gebracht hatte“. Und weiter schreibt Saage, „Jetzt musste ich einsehen, dass es auch einen ‘Darwinismus von links’ gab (...)“ (S. 7).

In vier Kapiteln (Bedingungen und
Strukturen sozialdemokratischer Darwin-Rezeption; Die sozialdemokrati­sche Auseinandersetzung mit dem anti
sozialistischen Darwinismus; Kontro­verse innerhalb der Sozialdemokratie zwischen Linksdarwinisten und marxistischem Zentrum; Anthropologische Aspekte im Selbstverständnis der SDP [sic!] und der SDAP bis 1933/34) widmet sich der Autor diesem Thema und bietet so einen interessanten Einstieg in die ambivalenten Diskurse der damaligen Zeit. Er zeigt auf, dass es intensive Diskussionen über Darwins Theorien und deren Anwendbarkeit auf
die Gesellschaft gab. Marxismus und
Darwinismus wurden in der Sozialdemokratie als objektive Bewegungs­gesetze der Geschichte verstanden. Was nicht verwunderlich war, standen doch Marx und Engels „auf dem Boden der Naturgeschichte des organischen Lebens (...), wie Darwin sie (...) entfaltet hatte“ (S. 32). Dass dieser Diskurs auch problematische Züge hatte, insbesondere im Hinblick auf rassehygienische Optionen, wie sie im Nationalsozialismus praktiziert wurden, verschweigt Saage nicht und bleibt dabei kritisch und objektiv.

Saages Buch, mit einem reichhaltigen Anhang ausgestattet, ist ein äußerst interessantes Einführungswerk in die Rezeptionsgeschichte des Darwinismus in der deutschen und österreichischen Sozialdemokratie zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Gerade weil es ihm gelingt, das Spannungsverhältnis zwischen Links- und Rechts-Darwinisten auszuloten, ist es gewinnbringend. Dem Autor ist es daher zu wünschen, dass das Buch über den Wissenschaftsbereich hinaus zur Kenntnis genommen wird.