Rupert Sheldrake: Der Wissenschaftswahn. Warum der Materialismus ausgedient hat. O.W. Barth Verlag, München 2012. 491 Seiten, gebunden, 24,99 Euro, ISBN 978-3-426-29210-5
Totgesagte leben länger. Das dies auf Rupert Sheldrake zutreffen würde, hätte in den letzten Jahren kaum jemand für möglich gehalten. Sheldrake galt manchem als der kommende Star in der Biochemie. Dies änderte sich jedoch abrupt mit den in den 1980ern formulierten Überlegungen zu so genannten morphogenetischen Feldern, welche die Formbildung in der Natur beeinflussen sollen. Seine Thesen fanden keinen Abnehmer in der naturwissenschaftlichen Fachwelt. Sie wurden verrissen und Sheldrake galt danach lange Zeit als verbrannt. Bei denen, und hier sei insbesondere der deutsche Physiker Hans-Peter Dürr genannt, die seit langem ein Zusammendenken von Naturwissenschaft und New Age propagieren, galten Sheldrakes Überlegungen jedoch als sinnstiftend und zukunftsweisend.
In den 1990ern wurde es merklich still um Rupert Sheldrake. Zwar gab es hier und da Versuche, seine Überlegungen fortzuführen, doch ohne Erfolg. Das naturalistische Denken verfestigte sich zunehmend in den Naturwissenschaften, allen voran in der Biologie. Es ist in gewisser Weise eine Ironie der Geschichte, dass mit der Zunahme der wissenschaftlichen Erkenntnisse leider auch diejenigen zu profitieren scheinen, die Visionen statt Fakten propagieren. Und einer dieser Visionäre ist Sheldrake allemal. Doch leider steckt hinter der Fassade des hochgelobten „visionären Entdeckers“ (New Scientist) nichts, was sich näher zu betrachten lohnt. Sein neues Werk Der Wissenschaftswahn ist kein Meilenstein der Wissenschaftsgeschichte. Es bleibt völlig unklar, zu welchem – wenn man mal den finanziellen Aspekt außen vorlässt – Zweck dieses Buch überhaupt publiziert wurde. Erkenntnisgewinn kann nicht im Vordergrund gestanden haben, denn seine Kritik an dem naturalitsischen Fundament der Naturwissenschaften – Sheldrake spricht von Dogmen – ist weder neu noch bringt sie die Naturwissenschaft ins Wanken. Hierzu zählen u.a. folgende Punkte: Die Natur wird von festen Gesetzen und Konstanten beherrscht; es gibt keine Zwecke oder Ziele in der Natur; der Geist befindet sich im Kopf – ist lediglich Gehirnaktivität oder auch Außersinnliche Phänomene wie z.B. die Telepathie sind eine Illusion, denn sie sind unmöglich.
Auch wenn seinen Überlegungen innerhalb der Naturwissenschaften kein Erfolg beschieden sein wird, gibt es dennoch zwei Aspekte, die in der Wissenschaftscommunity meiner Ansicht nach diskutiert werden müssen. Das eine ist ein grundsätzliches Problem, auf welches Sheldrake gleich zu Beginn seines Buches aufmerksam macht: „Der größte Wahn der Wissenschaften besteht in der Annahme, sie wüssten bereits die Antworten. Zwar müssten Details noch ausgearbeitet werden, aber im Prinzip seien die Grundprobleme gelöst.“ (S. 15) Tatsächlich ist nicht von der Hand zu weisen, dass es eine Form reduktionistischen Denkens innerhalb der Naturwissenschaft gibt. Es ist nicht nur falsch und naiv davon auszugehen, dass beispielsweise die Genetik alles erklären könne, dieses Denken fördert zudem wachsende Ablehnung gegenüber wissenschaftlichem Denken innerhalb der Gesellschaft. Leider ist es aber auch so, dass die Vorbehalte durch die Berichterstattung von so genannten wissenschaftlichen Bigpoints forciert werden. Allzu gerne sonnen sich Wissenschaftler_innen in dem vermeintlichen Erfolg, das verbliebene Missing Link gefunden zu haben. Dies gilt es kritisch zu reflektieren.
Der zweite Aspekt schließt daran an und hat mit der Funktion des Autors zu tun. Sheldrake scheint sich berufen zu fühlen, den Widerpart zu Richard Dawkins einzunehmen. Während Dawkins, als Vertreter eines naturalistischen Ansatzes, dem blinden Uhrmacher nachspürt und die Geschichten vom Ursprung des Lebens erzählt, ist Sheldrake längst auf den Hund gekommen, interessiert sich für die Wirksamkeit der chinesischen Medizin und für das Wesen des Bewusstseins. Der Erfolg des Buches lässt den Schluss zu, dass viele Menschen der Wissenschaft Dogmatismus und Unfreiheit unterstellen und es, nicht nur innerhalb der Eso-Szene, einen Wunsch nach Holismus gibt. Will man einem gegenaufklärerischen Zeitalter entgegenwirken, so ist es nötig, dass sich die Vertreter_innen der (Natur)Wissenschaften mit den Meinungen, Kritiken und Bedürfnissen der Menschen auseinandersetzen. Tun sie dies nicht, leisten sie der Wissenschaft einen Bärendienst.
In dieser Hinsicht kann das neue Buch von Sheldrake, wenn schon nicht zu einem Erkenntnisgewinn, so doch zu einem Reflexionsaufruf beitragen, welcher allen Wissenschaftler_innen gut zu Gesicht stünde. Je mehr sich die Wissenschaft von der Gesellschaft entfernt, umso größer ist die Gefahr, dass sie sich ihr eigenes Grab schaufelt.