Thomas Großbölting: Der verlorene Himmel. Glaube in Deutschland seit 1945. Göttingen 2013. Vandenhoeck & Ruprecht, 320 Seiten, gebunden, Euro 29,99, ISBN 978-3-525-30040-4
In den letzten Jahren ist sehr viel und sehr ausführlich über die Frage disku tiert worden, welche Rolle den Religionen in der so genannten postsäkularen Gesellschaft zukommt. In erster Linie wurde das Thema von den Sozialwissenschaften aufgegriffen, wobei das Interesse der religiösen Dynamik außerhalb Europas galt. In diesem Kontext entstanden Forschungsgruppen, wie das Münsteraner Exzellenzcluster „Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und der Moderne“.
Einer der Mitarbeiter des Clusters ist der Münsteraner Zeithistoriker Thomas Großbölting, der mit seinem Buch Der verlorene Himmel erstmals eine umfassende Darstellung zur Geschichte des Glaubens in der Nachkriegszeit vorlegt. Großbölting gilt als (junger) Shootingstar in der Geschichtswissenschaft.
Im Mittelpunkt seines Buches steht, wie in der Einleitung formuliert, die Geschichte des geglaubten Gottes, das Verhältnis zwischen Kirchen und Gesellschaft sowie der innerkirchliche Wandel. In drei Kapiteln arbeitet der Historiker diese Thematik aus und führt eine Vielzahl an Quellen an. Dabei geht Großbölting an vielen Stellen kritisch mit den Kirchen ins Gericht und mahnt eine neue Ausrichtung in der Gesellschaft an. Hervorzuheben ist denn auch die Darstellung der unmittelbaren Nachkriegszeit und die Entwicklung der 1950er und 1960er, wenngleich Großbölting immer wieder ein sehr verklärendes Bild des Staat-Kirchen-Verhältnisses entwirft.
Großböltings Buch ist, trotz seines überaus interessanten Ansatzes, ein typisches Beispiel der deutschen Zeitgeschichte, deren bekannteste Vertreter/innen ihre hochschulpolitische Karriere auch ihrer Kirchentreue verdanken. Kein Wunder, dass dann solche Sätze zu hören sind wie: „Die Kirchensteuerregelung in Deutschland ist ein für beide Seiten gewinnbringendes Arrangement, welches man nicht in Frage stellen sollte“, so Großbölting in einem Interview mit seinem Verlag.
Diese immer wiederkehrende Behauptung einer Win-Win-Situation, er weist sich längst als das eigentliche Problem: Indem beide Staatskirchen bis heute vom Staat massiv subventioniert und damit gegenüber anderen Weltanschauungsgemeinschaften privilegiert werden, verunmöglicht der Staat eine moderne Religionspolitik, die auf strikte Laizität achtet. Diese Pro blematik war in Ansätzen bereits in den 1950ern bekannt, als der Verfassungsrechtler Rudolf Smend feststellte, dass den Kirchen Freiheitsrechte gewährt worden seien, ohne ihre „gleichzeitige grundsätzliche Begrenzung durch die staatliche Souveränität“ zu definieren.
Für interessierte Gläubige erweist sich dieses Buch als überaus interessant. Für Konfessionslose hingegen ist dies einmal mehr ein Beleg für die kirchennahe Zeitgeschichtsschreibung, zumal die größte Schwachstelle des Buches die Rolle der Konfessionslosen in Deutschland ist. Auf eine sachlich neutrale und zugleich aufgeklärt-kritische Darstellung muss weiter gewartet werden.