Benjamin Ziemann: Martin Niemöller. Ein Leben in Opposition. Deutsche Verlagsanstalt, München 2019. 637 Seiten, gebunden, 39 Euro. E-Book 35,99 Euro
Unter den Helden des frühen westdeutschen Pazifismus nimmt Pastor Martin Niemöller eine besondere Rolle ein, wandelte er sich doch vom treuen Anhänger des Führers und der Deutschen Christen zum Hitler-Gegner. Nach 1945 wird er stets im Zusammenhang mit der Ablehnung der Wiederaufrüstung genannt. Nun aber ist eine neue Biographie des in Sheffield lehrenden Historikers Benjamin Ziemann erschienen, die zahlreiche bisher unbekannte Details zutage fördert und ihn in neuem Licht erscheinen lässt.
Niemöller, Pfarrerssohn im westfälischen Land, wuchs in einem spartanischen, völkisch-militaristischen Umfeld auf, das sich mit den Idealen des wilhelminischen Imperialismus identifizierte. Mit 18 trat er in die Marine ein, 1918 brachte er es zum U-Boot-Kommandanten. Da er der republikanischen Regierung nicht dienen wollte, schied er aus der Marine aus. Überraschend kam sein Entschluss Theologie zu studieren, was er 1934 (Vom U-Boot zur Kanzel) als die „geradlinige Fortsetzung meines alten Offiziersberufs“ deutete. Ziemann weist aber nach, dass die Überlegung ausschlaggebend war, als Pfarrer über ein gesichertes Einkommen zu verfügen.
Bis 1932 blieb Niemöller dem nationalprotestantischen Milieu im Umfeld der antisemitischen Deutschnationalen Volkspartei treu. Wie etwa 80 Prozent der deutschen Protestanten begrüßte er Hitlers Machtergreifung. Die „Treue zum Führer“ müsse „in uns allen lebendig“ sein, predigte er.
Wie bei vielen Kirchenfunktionären (z.B. beim völkisch-nationalen Pater Rupert Mayer) wuchs seine Distanz zum NS-Staat nur deshalb, weil dieser seine Versprechungen gegenüber den Kirchen nicht einhielt. Selbst als Niemöller wegen seiner Proteste ins KZ kam, meldete er sich nach dem Überfall auf Polen freiwillig zur Wehrmacht, denn der NS-Staat müsse für den „Existenzkampf“ des deutschen Volkes gerüstet sein. Spätere Behauptungen, seine Meldung zur Wehrmacht habe allein dem Ziel gegolten, sich dem Widerstand des 20. Juli anzuschließen, deckt Ziemann als eine von zahlreichen Beschönigungen auf.
Nach dem Krieg war dem stellvertretenden EKD-Ratsvorsitzenden die Schuld der Besatzungsmächte wichtiger als die der Nazis, wobei er eine Kollektivschuld des deutschen Volkes grundsätzlich ablehnte. Stattdessen lag ihm die christliche Tugend der Vergebung besonders am Herzen.
Laut Ziemann blieb Niemöller bis zu seinem Tod 1984 Nationalist. Besonders wichtig sind deshalb die Erkenntnisse über seine Einstellung nach 1945, die der SZ-Rezensent am 11.11. so auf den Punkt brachte: „Doppelbödig waren auch Martin Niemöllers Angriffe auf Adenauers Wiederbewaffnung und Westanbindung. Ihnen lag keine pazifistische Haltung zugrunde, vielmehr wollte er eine nationale, deutsche Armee und keinen Beitrag für eine europäische Armee.“
Alles deutet darauf hin, dass sich christliche Pazifisten für ihre Heiligenverehrung nach einem neuen Schutzpatron umsehen müssen.