Axel Meyer: Adams Apfel und Evas Erbe. Wie die Gene unser Leben bestimmen und warum Frauen anders sind als Männer. Bertelsmann Verlag, München 2015. 416 Seiten, gebunden, 19,99 Euro. ISBN 978-3-570-10204-6
Die Diskussion um die Rolle der Geschlechter in unserer Gesellschaft ist voll entbrannt. Der öffentliche Raum befindet sich sozusagen im Ausnahmezustand. Die Verteidiger des so genannten christlichen Abendlandes blasen zum Kampf gegen die, wie sie es nennen, Gleichschaltung durch den Gender-Wahnsinn. Für sie gilt auch im 21. Jahrhundert die natürliche Ordnung der Familie – Mann, Frau und Kind(er). Eine gute Gelegenheit, sich der Sache anzunehmen, dachte sich der renommierte Evolutionsbiologe Axel Meyer und sieht sein Buch als eine Reaktion auf die Gender-Forschung, von der er bis vor kurzem noch gar nichts mitbekommen hätte. Wörtlich sagte er der Stuttgarter Zeitung, „Die meisten Biologen wissen gar nichts davon.“
Diese Perspektive überrascht einerseits, denn kaum ein Thema wird in den Medien so kontrovers diskutiert wie das Gender Mainstreaming. Andererseits lässt sie sich durch eine Haltung erklären, die sich durch die 15 Kapitel des Buches zieht und in dem Vorwort des Journalisten Harald Martenstein wie folgt umschrieben wird: „Die Naturwissenschaftler und die Ingenieure haben mehr für die Menschen getan als sämtliche Geisteswissenschaftler, als die Politiker, die Schriftsteller, die Journalisten und alle Befreiungstheorien.“ Die in diesem Satz zum Ausdruck gebrachte Arroganz verdeutlicht das eigentliche Problem der Debatte: In den Naturwissenschaften werden gesellschaftlich relevante Diskussionen nahezu komplett ausgeblendet. Dies geschieht aus der Überheblichkeit heraus, dass nur die Naturwissenschaft von Nutzen sei. Unliebsame Kolleg_innen, wie beispielsweise Richard C. Lewontin (Die Gene sind es nicht, 1988) oder Stephen Jay Gould (Der falsch vermessene Mensch, 1988) werden im besten Fall ignoriert.
Dabei ist Axel Meyer mit seinem Buch ein durchaus aufschlussreiches Werk gelungen. Er bietet den Leser_innen einen faszinierenden Einblick in die neuesten Methoden und Erkenntnisse der Genomforschung. Mit spitzer Feder, aber sachlich und präzise lässt der Autor Wissenschaft lebendig werden und die Leser_innen an seiner Begeisterung teilhaben. Meyer räumt zurecht mit Vorurteilen auf und versachlicht die Diskussion um die Bedeutung der Biologie und der Genetik im Besonderen.
Doch trotz seiner profunden Kenntnisse hinterlässt Meyers Buch einen faden Beigeschmack. Denn dort, wo der Autor das Feld der Naturwissenschaft verlässt und sich den aktuellen Diskussionen zur Geschlechterpolitik zuwendet, fehlt es Meyer an der nötigen Sensibilität und Weitsicht. So stellt er im Zusammenhang mit der Ungleichheit in der Geschlechterpolitik fest: „Es gibt zu denken, dass sich vorwiegend Frauen gegen ihre Geschlechterrolle auflehnen und sich in einer Opferrolle sehen. Offenbar fühlen sie sich innerhalb unserer gesellschaftlichen Rahmenbedingungen mit ihrer biologischen Disposition benachteiligt.“ Offenbar, so möchte man meinen, ist an ihm der Kampf um gesellschaftlicher Teilhabe, sozialer Gerechtigkeit und sexuelle wie reproduktive Selbstbestimmung vorbeigegangen. Zwar ist ihm zuzustimmen, dass der Vorwurf des Biologismus, der aus den Mündern vieler Geisteswissenschaftler_innen nur zu gerne ertönt, jeder Grundlage entbehrt, aber Meyer schlägt in seinem Buch in die gleiche Kerbe. Mit der Benutzung des Begriffes „demonstriert man aber nur, dass man mit Scheuklappen und Vorurteilen durch die Welt geht und nicht offen ist für Daten, Fakten und objektive Erklärungen, die eventuell liebgewonnene Annahmen und eigene Weltanschauungen infrage stellen könnten“.
Wie sehr auch in den Naturwissenschaften Annahmen von der sozialen Wirklichkeit abweichen, zeigt sich nicht nur an dem eben genannten Zitat. Meyer kommt in seinem Buch darüber hinaus zu dem Ergebnis, dass „kaum mehr jemand in Europa [...] noch etwas gegen Homosexualität oder Transsexualität [hat]. Sexuelle Toleranz ist politisches Programm und wird inzwischen auch in Schulen gelehrt, gerade auch im ehemals christlich-konservativ regierten Baden-Württemberg.“
Die Wirklichkeit sieht anders aus. So fand im Mai 2009 erstmals seit Jahrzehnten an einer deutschen Universität ein Kongress statt, wo über die Möglichkeiten der Heilung von Homosexualität mit der Hilfe von Konversionstherapien diskutiert wurde. Die AfD schwingt sich in Deutschland auf, Homosexualität aus der Öffentlichkeit verbannen zu wollen und Deutschland in die 1950er Jahre zurückzuwerfen. In den (sozialen) Medien erwecken christliche Fundamentalist_innen den Eindruck, es gäbe eine „Homo-Lobby“, die Heteros „gleichschalten“ und „umerziehen“ wollten. Und wo Axel Meyer Baden-Württemberg erwähnt, muss die Frage erlaubt sein, ob er die rund 193.000 Unterzeichner_innen vergessen hat, die vor zwei Jahren gegen den neuen Bildungslehrplan mobil machten, wo es um die Vermittlung von und Sensibilisierung für die unterschiedlichen sexuellen Identitäten ging? Kein Einzelfall, wie sich zeigt, denn mittlerweile finden bundesweit Demonstrationen und Petitionen gegen Bildungspläne statt und rufen ‘besorgte Eltern’ dazu auf, gegen die Frühsexualisierung der Kinder auf die Straße zu gehen.
Wenn sich die Naturwissenschaftler, wie es Meyer fordert, „mehr in gesellschaftliche Debatten einmischen“ wollen – und man kann sich nur wünschen, dass dies passiert – dann aber bitte mit der nötigen Weitsicht für die soziale Wirklichkeit in denen sich die Mehrheit der Bevölkerung befindet. Andernfalls würde Meyer Gefahr laufen, dass sein Buch in der konservativen Presse als „akademischer Frontalangriff“ gelobt würde, den viele „nicht mehr erwartet“ hätten, so die FAZ. Das wäre aus Sicht eines „Feministen“, wie sich Axel Meyer selbst bezeichnet, allerdings ein Pyrrhussieg.