„Religion ist ein Brandbeschleuniger“ – so lautete die Antwort des Referenten Carsten Frerk auf die zentrale Frage der Tagung. Zwar sei die Religion selten das alleinige Motiv für einen kriegerischen Konflikt, beim Vorliegen einer Gemengelage widerstrebender Interessen würden durch religiöse Unterschiede Kriege jedoch entfacht und angeheizt.
Angesichts der aktuellen Kriege im Namen des Islam war bereits im Vorfeld der Tagung klar, dass es sich bei der Frage nach dem Zusammenhang von Religion und Krieg um ein äußerst drängendes praktisches Phänomen handelt. Und auch, dass der Islam eine nicht unbedeutende Rolle in den Betrachtungen spielen würde.
Frerk betonte in seinem Vortrag, dass die von der breiten Öffentlichkeit gern gemachte Gleichsetzung Christentum = friedlich und Islam = gewaltbereit falsch sei. Das Problem liege nicht in einer bestimmten Religion, sondern in der Religion als solcher begründet, da jede Religion qua Definition die Deutungshoheit über die Welt und damit den Machtanspruch für ihre jeweiligen Götter und deren menschliche Vertreter beanspruche. Für Andersdenkende gibt es in diesem Konzept keinen Platz. Seine These untermauerte Frerk mit einer tour de force durch die blutigen Kriege in der Geschichte von Christen tum und Islam – von den Gewaltmissionen Karls des Großen, den Erobe rungszügen Mohammeds, den Kreuzzügen, der Kolonialisierung, den Konfes sionskriegen bis hin zu den Konflikten in Nordirland, Ruanda und Srebrenica.
Dass das Thema Islam nicht nur theoretisch behandelt wurde, dafür sorgten zahlreiche Referenten mit biografischem Hintergrund in islamisch dominierten Ländern und Kulturen, wie Morgan Elizabeth Romano, Vizepräsidentin der türkischen Atheisten-Vereinigung Ateizm Dernegi, Maryam Namazie, Vorstandsmitglied der Vereinigung der Ex-Muslime in Großbritannien, und Arzu Toker, die 2007 den Zentralrat der Ex-Muslime in Deutschland mitgründete. Alle drei wiesen in ihren Vorträgen darauf hin, dass Kritik am Islam nicht gleichbedeutend sei mit der Diskriminierung von Muslimen – ein Argument, dem man gerade in politisch linken Kreisen häufig begegnet. Sie betonten, wie wichtig es sei, dass der säkulare Westen angesichts der dramatischen politischen Einflussnahme des Islam weltweit deutlich zu seinen hart erkämpften säkularen Werten stehe.
In vielen Referaten deutete sich an, was Michael Schmidt-Salomon schließlich der brandbeschleunigenden Wirkung von Religion explizit entgegensetzte: „Säkularismus ist die Lösung“. Dieser Satz, betonte Schmidt-Salomon einleitend, sei nicht sein eigener. Der Blogger Raif Badawi, der in Saudi-Arabien wegen Beleidigung des Islam zu 1000 Peitschenhieben und 10 Jahren Haft verurteilt wurde, habe ihn auf einer Klotür im Gefängnis entdeckt. Schmidt-Salomon erläuterte, wie sich durch die zunehmende Trennung von Staat und Kirche die westlichen Kulturen zum Positiven entwickelt haben. Auch in islamischen Staaten würde der Säkularismus zu einer ähnlichen, wünschenswerten Entwicklung führen, weswegen säkulare Kräfte in diesen Ländern dringend der Unterstützung bedürften, betonte Schmidt-Salomon. Er wies jedoch auch darauf hin, dass Säkularismus nicht nur die Lösung sondern auch ein Teil des Problems bei gegenwärtigen globalen Konflikten sei. Da Religiöse den Säkularismus als Bedrohung empfänden, neigten sie zu Abwehrreaktionen in Form von Fundamentalismus, „um in den Ungläubigen auch ihre eigenen Glaubenszweifel zu bekämpfen, die sie sich selbst nicht eingestehen wollen“.
Dem Thema Islam widmeten sich auch die Vorträge des nigerianischen Menschenrechtsaktivisten Leo Igwe, der über den Einfluss des dschihadistischen Islam auf Kriege in Afrika referierte, sowie des Historikers Rolf Bergmeier, der die positiven Einflüsse des Islam auf die wissenschaftsfeindliche christliche Kultur des Mittelalters herausarbeitete.
Abseits der großen globalen Konflikte wurde auf der Tagung über deutsche säkulare Themen wie das kirchliche Arbeitsrecht (Corinna Gekeler) und die Feiertagsgesetzgebung (Assunta Tammelleo) ebenso berichtet wie über die Situation säkularer Projekte weltweit. Die humanistische Aktivistin und Präsidentin des Center for Civil Courage Nada Peratovic sprach über die Situation der säkularen Kräfte in Kroatien, Valentin Abgottspon, Vize- Präsident der schweizerischen Freidenker-Vereinigung, über jene in der Schweiz. PZ Myers sowie Annie Laurie Gaylor und Dan Barker von der Freedom From Religion Foundation (FFRF) berichteten über die Vorurteile, mit denen Atheisten noch heute in den USA konfrontiert werden, während der Vorsitzende der Atheists Ireland, Michael Nugent, sich über einen politischen Erfolg in seinem Land freuen konnte. Zeitgleich mit der Tagung in Köln fand in Irland eine Volksabstimmung zur Einführung gleichgeschlechtlicher Ehen statt, die mit einem klaren „Pro“-Votum schloss. Ein deutlicher Hinweis, dass die katholische Kirche in Irland immer mehr Einfluss verliert.
Anlass für weiterführende Gedanken bot neben Joachim Kahls philosophischen Kunstinterpretationen Claude Singers Bericht von der Kampagne der französischen Freidenker zur Rehabili tierung der im Ersten Weltkrieg hinge richteten Deserteure sowie die anschließende Diskussion, ob die Ablehnung des Krieges ein Menschenrecht sei. Auch Colin Goldners Vorstellung des Great Ape Project, das sich dafür ein setzt, dass Menschenaffen Grundrechte erhalten, bot Anlass zu regen Diskussionen und erweiterte den philosophischen Horizont der Tagung um die Frage, ob aus naturwissenschaftlichen Erkenntnissen nicht auch praktische Folgen erwachsen müssen: Nachdem wir nun wissen, dass wir nicht die Krone der Schöpfung sondern das Ergebnis evolutionärer Prozesse sind, müssen wir da nicht zwangsläufig auch einen anderen Umgang mit unseren nächsten Verwandten pflegen?
Nach der Tagung The Atheist Perspective & Our Future: National, Regional, Global im Mai 2012 ist die Convention Give Peace a Chance! – Säkularisierung und globale Konflikte bereits die zweite internationale Atheisten-Tagung, die vom IBKA in Deutschland ausgerichtet wurde. Ihren Höhepunkt fand die diesjährige Tagung mit der Verleihung des IBKA-Preises „Sapio“ an Greg Graffin. Der amerikanische Evolutionsbiologe und Sänger der bekannten Punk-Band Bad Religion wurde ausgezeichnet, da er sich „in herausragender Weise um Weltanschauungsfreiheit, Selbstbestimmung sowie Förderung des vernunftgeleiteten Denkens verdient gemacht hat“.
Überschattet wurde die Tagung be dauerlicherweise von einer Todesdrohung, die sich gegen die Veranstalter und die islamkritische Referentin Arzu Toker richtete. Dass für eine Atheisten-Tagung, die sich mit der Frage beschäftigt, inwieweit Religion und Krieg zusammenhängen, Polizeischutz beantragt werden muss, zeigt deutlich, wie wichtig es ist, diese Frage zu stellen.