Staat und Kirche | Veröffentlicht in MIZ 4/19 | Geschrieben von Gerhard Lein

SPD und Säkularität

Seit Jahren gibt es in der SPD Arbeitskreise, die sich um die Belange der christlichen Kirchen sowie der religiösen Minderheiten kümmern. Die wachsende Zahl der religiös nicht gebundenen schien bisher keiner besonderen Organisation zu bedürfen. Mit der Wahl des neuen Bundesvorstandes wird sich das nun ändern. Voraussichtlich wird dieses Gremium bereits in seiner konstituierenden Sitzung im Januar den Beschlüssen des Bundesparteitages folgen und die Arbeitskreise und Foren neu berufen.

Als „Säkulare Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten“ (oder kürzer: SäkuS) haben wir uns bereits seit Jahren zu einem bundesweiten Netzwerk zusammengeschlossen, das sich in regelmäßigen bundesweiten Treffen, Telefonschaltkonferenzen der 15 Sprecher*innen und aktiver Pressearbeit dieser Aufgaben annimmt. Was lag näher, als in der Zeit des Kandidat*innen-Castings sich mit Prüfsteinen an die Bewerber*innen-Teams in die Debatte um die neuen SPD-Vorsitzenden einzuschalten und damit unsere Themenschwerpunkte deutlich zu machen.

Folgende Fragen haben wir an die Bewerber-Teams persönlich verschickt.

  1.  Staatliche Neutralität hinsichtlich Religionen wie Weltanschauungen und der säkulare Rechtsstaat garantieren das friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Gesinnung. Die säkulare Tradition der SPD kann hier anknüpfen. Wie wichtig ist politische Säkularität, die Religionen weder diskriminiert noch privilegiert?
  2. Respekt und Toleranz sind Grundwerte unserer Demokratie, die insbesondere von der Sozialdemokratie erstritten wurden und verteidigt werden. Verdienen Angehörige aller Religionen, soweit sie sich an das Grundgesetz und die allgemeinen Gesetze halten, den gleichen Respekt und gilt dieser Respekt in gleicher Weise auch gegenüber den Menschen, die sich zu keiner Religion bekennen?
  3. Seit über 100 Jahren erhalten die kirchlichen Organisationen aus allgemeinen Steuermitteln hohe staatliche Leistungen für ihre hauptamtlichen Mitarbeiter (Kardinäle, Bischöfe, …). GG Artikel 140 (entspr. Art. 138 WRV) Werdet Ihr Euch dafür einsetzen, diese Leistungen abzuschaffen oder zu reduzieren?
  4. Kirchliche Einrichtungen erhalten für den Unterhalt von Kindergärten, Schulen, Krankenhäusern … bis zu 100 Prozent staatliche Unterstützung. Werdet Ihr Euch dafür einsetzen, dass sie künftig mit anderen sozialen Einrichtungen, wie z.B. Arbeiterwohlfahrt, Rotes Kreuz gleichgestellt werden?
  5. Die Kirchen beanspruchen für sich ein eigenes Arbeitsrecht und halten sich beispielsweise bei Einstellungen und Entlassungen nicht an die allgemeinen Gesetze. Werdet Ihr Euch für die Durchsetzung der staatlichen Gesetze auch in religiösen Einrichtungen einsetzen?
  6. Werdet Ihr Euch dafür einsetzen, dass auch Missbrauchsfälle in den Kirchen primär der staatlichen Ermittlung und Rechtsprechung unterliegen müssen?
  7. Werdet Ihr Euch für die Einführung eines gemeinsamen integrativen, kundig machenden Unterrichts über Religionen/Weltanschauungen, Ethik und kulturelle Normen an allen Schulen einsetzen?
  8. Werdet Ihr Euch beim Bundesparteitag für die Einrichtung eines offiziellen Arbeitskreises Säkulare in der SPD als Ergänzung zu den bestehenden AKs der Christen, Juden und Muslime einsetzen, um all die aufgeworfenen Fragen in einem offenen Dialog zu diskutieren und Lösungsvorschläge zu erarbeiten?

Alle haben geantwortet. Das war schon mal ein Erfolg. Das bisherige Beschweigen der Säkularen Sozialdemokrat*innen hat damit ein Ende. Die Antworten reichten von zurückhaltender Zurkenntnisnahme der Fragen bis zu klarer Aussage, dass ein eigenständiger Säkularer Arbeitskreis auf Bundesebene eingerichtet werden müsse.1

Als Sprecherkreis der Säkularen Sozis war uns bewusst, dass es für die SPD derzeit zentralere Themenfelder gibt als die Anerkennung eines säkularen Arbeitskreises auf Augenhöhe mit den derzeit bestehenden Arbeitskreisen (Christen, Muslime, Juden). Deshalb haben wir uns auch entschieden, die Antworten zwar bekannt zu machen, aufgrund derer aber keine Wahlempfehlung auszusprechen.

Die allgemeine Resonanz auf diese Aktion war allerdings beträchtlich und positiv. Nicht zuletzt auf dem Bundeskongress der Jusos im November in Schwerin haben wir an unserem Infostand intensive Gespräche mit den Delegierten geführt und uns auch direkt mit Norbert WalterBorjans und Clara Geywitz (von den beiden Teams, die schließlich in die Stichwahl gingen) und dem Juso-Bundesvorsitzenden Kevin Kühnert ausgetauscht. Diese Gespräche haben uns Mut gemacht, weiter an dem innerparteilichen Ziel zu arbeiten, säkulare Positionen in der SPD hartnäckig zu vertreten.
Auf dem Bundesparteitag in Berlin haben wir – ebenfalls mit überwiegend positiver Resonanz an die Tausend Flyer von uns SäkuS verteilt. Darauf wird auch unser Buch Säkular. Sozial. Demokratisch vorgestellt.2

Anmerkungen

1 Wer’s im Einzelnen lesen möchte: https://www.saekulare-sozis.de/wahlpruefsteine-ist-saekularitaet-trumpf/
2 Säkular. Sozial. Demokratisch – Ein Plädoyer für die Trennung von Religion und Politik. Dietz-Verlag 2019. ISBN 978-3-8012-0567-6