Staat und Kirche | Veröffentlicht in MIZ 4/12 | Geschrieben von Gunnar Schedel

Streiken bleibt verboten – meistens

Die Erosion des kirchlichen Arbeitsrechtes hat begonnen

Im November wurde das lange erwartete Urteil des Bundesarbeits­gerichts (BAG) zum Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen ver­kündet. Ändern wird sich nicht viel: Prinzipiell darf im Weinberg des Herrn immer noch nicht gestreikt werden. Allerdings hat das Gericht einige Einschränkungen angeführt, welche die Idee eines „Dritten Weges“ auf lange Sicht aushöhlen könnten. Denn erstmals hat das Bundesarbeitsgerichts zwischen dem sogennanten Selbst-
bestimmungsrecht der Kirchen und den Rechten der Gewerk­schaften abgewogen.

Ausgangspunkt der juristischen Aus
einandersetzung waren zwei Kon­flikte. Nachdem die Aufnahme von
Tarifverhandlungen nicht zustande kam, hatte der Marburger Bund im August 2009 an einem Krankenhaus in Trägerschaft der Diakonie in Hamburg einen eintägigen Streik durchgeführt (der vom Amtsgericht Hamburg vorab erlaubt worden war).
 Der Arbeitgeberverband der Nord­elbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche verlangte daraufhin vom Mar
burger Bund die Abgabe einer Unter
lassungserklärung, scheiterte damit
aber – wie bereits in den Vorinstan­zen – auch vor dem BAG. Im ande­ren Fall hatten zwei Landes­kirchen
und mehrere diakonische Einrich­tungen gegen Streikaufrufe der Dienst
leitungsgewerkschaft ver.di geklagt.
 Anfang 2011 hatte das Landes­arbeitsgericht Hamm die Klagen abgewiesen und auch dieses Urteil hatte vor dem BAG Bestand.

Doch so eindeutig, wie es auf den ersten Blick scheinen mag, ist der Sieg der Arbeitnehmervertreter nicht. Aus den Mitteilungen des Bun­desarbeitsgerichts wird deutlich, dass es an den Vorstellungen von „Dienstgemeinschaft“ und „Drittem Weg“ festhält. Ein Arbeitskampf „beeinträchtigt in schwerwiegender Weise das diakonische Wirken und beschädigt die Glaubwürdigkeit der Kirche“, heißt es dort. Auch wenn Betriebe in kirchlicher Trägerschaft sich für den „Zweiten Weg“ entscheiden, aber auf der Einschränkung bestehen, „die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten ihrer diakonischen Einrichtungen nur dann durch Tarifverträge auszugestalten, wenn eine Gewerkschaft zuvor eine absolute Friedenspflicht vereinbart und einem Schlichtungsabkommen zustimmt, sind Streikmaßnahmen zur Durchsetzung von Tarifforderungen unzulässig“. Das Streikrecht müsse
dann hinter das sog. kirchliche Selbstbestimmungsrecht zurücktreten.

Allerdings ist die Zeit der uneingeschränkten Herrschaft kirchlicher Arbeitgeber abgelaufen. Denn indem das Gericht davon ausgeht, dass hier zwischen zwei Grundrechten abgewogen werden muss, verweist es auch auf Situationen, in denen der Ausschluss gewerkschaftlicher Maßnahmen nicht gerechtfertigt erscheint: „Die Gewichtung dieser grundrechtlich geschützten Belange zur Herstellung praktischer Konkordanz lässt ein Zurücktreten der Rechte einer Gewerkschaft nur zu, sofern diese sich innerhalb des Dritten Weges noch koalitionsmäßig betätigen kann, die Arbeitsrechtssetzung auf dem Dritten Weg für die Dienstgeber verbindlich ist und als Mindestarbeitsbedingung den Arbeitsverträgen auch zugrunde gelegt wird.“ Im Klartext heißt das: Indem vor allem die Diakonie ihre Löhne vom Tarif des öffentlichen Dienstes vielfach abgekoppelt hat und zu den aus der Privatwirtschaft bekannten Maßnahmen, die Kosten des Faktors Arbeit (Outsourcing usw.) zu reduzieren, greift, öffnet sie die Tür für gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen.

Welche Zustände dann konkret als noch tragbar eingestuft werden und wann ein Streik das Mittel der Wahl ist, wird von Fall zu Fall umstritten bleiben und in Zukunft wohl häufiger die Gerichte beschäftigen. Auf der Webseite streikrecht-ist-grundrecht.de finden sich denn auch Streikaufrufe sowie ein Bericht, dass das Diakonie-Klinikum Schwäbisch Hall ein Zutrittsverbot für die Gewerkschaft aus dem Jahr 1981 aufgehoben hat. Dass ver.di an dieser Stelle nicht locker lassen wird, scheint sicher. In einem Flugblatt wird das Urteil im Grundsatz zwar begrüßt, aber zugleich kritisiert, dass dem Streikrecht nicht mehr Gewicht beigemessen wurde: „Bei der Lohnfindung im so genannten Dritten Weg sind die Beschäftigten in den Arbeitsrechtlichen Kommissionen von vornherein unterlegen, weil sie auf betrieblicher Ebene nicht unabhängig vom Arbeitgeber und nicht frei handeln können. Vor allem aber wird ihnen das Streikrecht vorenthalten, mit dem sie im Konfliktfall für die Durchsetzung ihrer Forderungen kämpfen können. Die Folge: ‘kollektives Betteln’ anstelle von Verhandlungen auf Augenhöhe.“

Letztlich muss das Urteil als Er­folg gewertet werden, auch wenn wir von „normalen“ Verhältnissen in Einrichtungen in kirchlicher Träger noch weit entfernt sind. Aber als erster Schritt hin zur Auflösung kirchlicher Sonderrechte in der Arbeitswelt kann der Richterspruch aus Erfurt gesehen werden. Ob bald weitere Schritte folgen, wird auch davon abhängen, ob es weiterhin gelingt, Druck aufzubauen, das Thema in der öffentlichen Debatte zu halten. Denn die Kirchen beherrschen die Kunst des Aussitzens meisterhaft. Nur wenn Gewerkschaften, säkulare Verbände und Antidiskriminierungsvereinigungen hier an einem Strang ziehen, wird es zu Veränderungen kommen. Der anstehende Bundestagswahlkampf bietet die nächste Gelegenheit dazu.

Die Pressemitteilungen des BAG finden sich in der entsprechenden Rubrik auf der Webseite: http://www.bundesarbeitsgericht.de/; auf der ver.di-Seite http://www.streikrecht-ist-grundrecht.de/ gibt es das Flugblatt der Gewerkschaft mit ihrer Einschätzung des Urteils

Informationen: Studie belegt: Kirchliches Arbeitsrecht diskriminiert

Während es in den Verfahren vor dem Bundes­arbeitsgericht um das kollektive Arbeits­recht ging, hat die Politologin Corinna Gekeler zu den sogenannten Loyalitätspflichten in kirchlichen Einrichtungen recherchiert. Ihre Ergebnisse hat sie Mitte November in einer Studie vorgelegt. Einige Aspekte hatte das ARD-Politmagazin Panorama in einem Beitrag bereits am Tag vor der Veröffentlichung aufgegriffen.

Die Untersuchung belegt anhand von 35 erstmals dokumentierten Fällen von direkt durch Diskriminierung Betroffenen und weiteren bereits bekannt gewordenen Beispielen, wie in Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft Arbeitnehmer diskriminiert werden. Die Berichte zeigen, wie stark die kirchlichen Sonderrechte Bewerbungsprozesse sowie Arbeitsalltag und Privatleben der Beschäftigten prägen. „Die Kirchen setzen sich über die Menschenrechte auf Glaubens- und Gewissensfreiheit und auf Privatleben hinweg. Und die Politik schaut zu, statt die Beschäftigten vor Diskriminierung zu schützen“, fasst Corinna Gekeler ein zentrales Ergebnis zusammen.

Die im Rahmen der Kampagne Gegen religiöse Erziehung am Arbeitsplatz (GerDiA) entstandene Arbeit macht aber auch klar, dass es Veränderungsmöglichkeiten gibt. Aus den zahlreichen Gesprächen mit Fachanwälten, Antidiskriminierungseinrichtungen und Politi­kern hat die Studienleiterin den Eindruck gewonnen, dass Bewegung in die Sache gekommen ist. Noch herrscht in der Bewertung jener Blick vor, der vom Standpunkt eines nahezu uneingeschränkten „Selbstbestimmungsrechtes“ der Kirchen ausgeht. Immer häufiger jedoch wird das kirchliche Arbeitsrecht aus der Perspektive des Diskriminierungsverbots betrachtet. In der Bevölkerung, bis weit hinein in kirchliche Kreise, stößt die Auswahl der Mitarbeiter nach Konfession anstatt nach Qualifikation ohnehin auf Unverständnis.

Eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der Studie kann als pdf-Datei von der Webseite des IBKA sowie unter www.gerdia.de heruntergeladen werden. Die gesamte 80-seitige Studie kann dort angefordert werden. Im Frühjahr werden die Ergebnisse dann unter dem Titel Loyal dienen (ISBN 978-3-86569-117-0) als Sachbuch erscheinen.