Schwerpunktthema | Veröffentlicht in MIZ 2/19 | Geschrieben von Redaktion MIZ und Konny G. Neumann

„Trennung von Staat und Kirche, humanistische Werte, Verständigung“

Gespräch mit Konny G. Neumann über den 
Deutschen Humanistentag 2019

Seit einiger Zeit gibt es Humanistentage. Das sind Großveranstal­tun­gen mit Vorträgen, Diskussionen und Kulturprogramm, auf denen die humanistische Szene sich trifft und humanistische Themen bespricht. Dieses Jahr findet der Deutsche Humanistentag (DHT) in Hamburg statt. Mit einem der Organisatoren, Konny Neumann, der zugleich Sprecher des DHT 2019 ist, unterhielt sich MIZ über die Kernaussagen, die Veranstalter und die Unterschiede zum Kirchentag.

MIZ: Wer ist eigentlich die Zielgruppe des Humanistentages? Ist das eher eine Veranstaltung von Humanisten für Humanisten oder soll dem Rest der Welt gezeigt werden, was Humanisten so umtreibt?

Konny G. Neumann: Sowohl als auch. Das Motto des Deutschen Huma­nis­tentages 2019 in Hamburg lautet: „Humanisten für Menschenrechte und Toleranz“. Es folgt damit dem Titel des Buches Freier Blick 2016: Humanisten für Menschenrechte und Toleranz – gegen Rassismus – Antisemitismus, Funda-
mentalismus – Extremismus, das 2017 erschienen ist und auf 200 Seiten die Gefahren für unsere Demokratie und die durch sie geschützten Menschenrechte aufzeigt. Es ist ein Ziel des Humanistentages, dass alle Humanisten, seien sie säkular oder noch religiös, in der heutigen kritischen Situation (Einschränkung der Gewaltenteilung, der Pressefreiheit u.a. in Polen, Ungarn, Türkei, England, USA, Russland, China und Saudi-Arabien, um nur einige Länder zu nennen) gemeinsam ihr Bekenntnis zu unserer Demokratie ablegen. Deshalb werden auch neben zahlreichen säkularen Referenten Vertreter von evangelischem und katholischem Christentum, vom Judentum und dem Islam auf dem DHT 2019 auftreten.

MIZ: Auf der Webseite wird die Tagung mit dem sehr allgemeinen Untertitel „Zusammenkunft weltlicher Humanisten“ vorgestellt. Wenn du die inhaltliche Zielsetzung des Humanistentages mit drei Begriffen beschreiben müsstest, welche würdest du wählen?

Konny G. Neumann: Wir setzen uns für eine – wie im Grundgesetz vorgesehen – reale Trennung von Staat und Kirche ein.

In einer Zeit, in der die Gruppe der Konfessionsfreien ständig wächst (bundesweit jetzt über 40% – nach Untersuchungen eines von den Kirchen beauftragten Institutes ab 2050 70%!), bezweifeln wir, dass der 1949 im Grundgesetz verankerte Religionsunterricht (Artikel 7, Abs. 3) unter Aufsicht der Kirchen noch zeitgemäß ist. Dass in den Lehrplänen den Kindern immer noch die Schöp­fungsgeschichte vermittelt wird und die Evolution sehr selten oder gar nicht vorkommt, halten wir für falsch. Es ist sicher nicht verkehrt, dass über die Bibel unterrichtet wird, allerdings muss ihr Charakter deutlich werden: ein von Menschen geschriebenes und immer wieder überarbeitetes und verändertes Buch.

Wir vertreten humanistische Werte, also solche, bei denen der Mensch im Zentrum des Lebens und der damit verbundenen Wertvorstellungen steht, unabhängig von kirchlichen Dogmen. Wir treten ein für humanes Leben und ein humanes eigenverantwortliches Sterben, da wir die Würde des Menschen so auslegen, dass er grundsätzlich über sich selbst entscheiden kann.

Wir treten ein für eine Verständigung der Vertreter verschiedener Religionen und (säkularer) Weltanschauungen.

MIZ: Und wie schlagen sich Trennung von Staat und Kirche, humanistische Werte und die Verständigung der Religionen und Weltanschauungen konkret im Programm des Humanistentages nieder?

Konny G. Neumann: Ich vermeide es, das komplette Programm zu schildern, sondern nenne nur Beispiele für das reichhaltige und vielfältige Angebot.

Zur „Trennung von Staat und Kirche“ hören wir etwa Ingrid Matthäus-Maier (ehemalige MdB, Präsidentin der Alumni von Bundestag und Europaparlament e.V.) mit ihrem Vortrag zum Thema „Menschenrechte oder Kirchenrechte?“ oder Carsten Frerk, der die Frage stellt, ob die Staatsleistungen an die Kirchen gerechtfertigt sind.

Hierher gehört auch der Themen­komplex zum Religionsunterricht und mögliche Alternativen dazu. Breiten Raum nimmt die Aufklärung über die Jugendweihe ein, die es seit 1852 als Alternative zur Konfirmation gibt, nicht nur bei uns, sondern auch sehr verbreitet in allen Ländern Skandinaviens. Unser „special guest“ ist Siri Sandberg, die über die „humanistische Konfirmation“ in Norwegen berichten wird (in Oslo nehmen 18% der Jugendlichen an dieser Einrichtung mit Kursen und Feier teil).

Grundlegende Aussagen zu den Menschenrechten und Toleranz erwarten wir von Hartmut Kreß (Universität Bonn), wenn er über „Toleranz als Enrichment im Sinne der UN“ spricht.

Ad „Humanistische Werte“ wird zum Beispiel die Bundestagsabgeordnete und ehemalige Staatsministerin Aydan Özoğus zu hören sein: „Religionsfreiheit – ein Appell“.

Das Thema „Humanes Leben und Sterben – Patientenverfügungen“ wird ausführlich am Sonntag mit Experten, u.a. Gita Neumann vom HVD sowie Dr. Florian Willet und Claudia Magri von Dignitas aus der Schweiz behandelt. In diesen Bereich gehören auch die Informationen über den heutigen Religionsunterricht und Alternativen hierzu von Experten aus dem Bun­desgebiet.

Unter „Verständigung“ bieten wir 
die Komplexe Religionen und Welt­an­schauungen vielfach an: Werner Zager (Herausgeber des Buches Der neue Atheismus) diskutiert zu diesem Thema mit dem Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs), Michael Schmidt-Salomon; auch die Podiumsdiskussion: „Menschenrechte bei Religionen und Weltanschauungs­gemeinschaften“ mit Vertretern verschiedener Religionen und Weltan­schauungen am Freitagabend gehört in diese Rubrik. Ebenfalls der Beitrag von Mina Ahadi, der Vorsitzenden des Zentralrates der Ex-Muslime.

MIZ: Wer veranstaltet und unterstützt den Humanistentag?

Konny G. Neumann: Der DHT 2019 wird von der Stiftung »Geistesfreiheit« in engster Zusammenarbeit mit den großen säkularen Organisationen: dem Koordinierungsrat säkularer Organisationen, Bundesverband (KORSO e.V.) und dem Säkularen Forum Hamburg (SF-HH e.V.) sowie allen in ihnen vertretenen Organisationen durchgeführt. Unterstützung kommt von den genannten Vereinigungen sowie der Humanistischen Akademie Berlin-Brandenburg, Dignitas (Schweiz), dem Humanistischen Verband Norwegens und letztlich auch vom Alibri Verlag, der das Buch zum humanistischen Theaterstück Kristina und Descartes von Josh Goldberg ebenso wie den zum Humanistentag erscheinenden Begleitband Freier Blick – Deutscher Humanistentag 2019 gemeinsam mit der Stiftung »Geistesfreiheit« verlegt.

MIZ: Ihr sprecht davon, dass der Humanistentag „von allen wichtigen säkularen Organisationen“ getragen wird. Ist das nicht ein bisschen dick aufgetragen? Der IBKA, der sich zwar nicht humanistisch definiert, aber eine wichtige Stimme im säkularen Konzert darstellt, fehlt beispielsweise in der Liste der Unterstützer...

Konny G. Neumann: In dem eben erwähnten Begleitband findet sich auch der IBKA – wie auch schon im Freien Blick 2013, in dem die säkularen Organisationen vorgestellt wurden. Außerdem ist der IBKA Mitglied im KORSO. Im Übrigen kommen laufend weitere Unterstützer hinzu, schneller als wir die Homepage ändern können. So sind wir auch gezwungen, nach der α-Version eine β-Version des Programms zu erstellen, weil sich immer neue Interessierte melden, die noch auf dem Humanistentag mitmachen möchten.

MIZ: Wie finanziert sich der Huma­nistentag? (Der Eintrittspreis erscheint mir für eine viertägige Veranstaltung beeindruckend niedrig zu liegen.)

Konny G. Neumann: Einen Großteil der Kosten trägt die Stiftung »Geis­tes­freiheit«, deren Aufgabe laut Satzung u.a. ja auch ist, die freigeistig-freihumanistische und naturwissenschaftliche Bewegung, soweit sie auf wissenschaftlicher Grundlage beruht, zu fördern. Größere Beträge kommen von Jugendweihe Deutschland e.V., vom KORSO, vom bfg Bayern und München. Obwohl der Hamburger Senat seinerzeit den Kirchentag mit rund 7,5 Millionen Euro unterstützt hat, wurde unser Antrag auf eine bescheidene vierstellige Summe vom zuständigen Staatsrat abgelehnt. Wer uns unterstützen möchte, kann dies über unsere Homepage im Spendenportal betterplace.org gern tun.

MIZ: Das Programm konzentriert sich stark auf innenpolitische und europäische Themen. Wäre es nicht auch wichtig gewesen, einen Blick auf humanistische Bestrebungen im globalen Süden zu werfen?

Konny G. Neumann: Sicher, es gibt immer neue und weitere Themen, die erörternswert sind. Es wird – davon bin ich überzeugt – in Zukunft weitere Humanistentage geben, vielleicht widmet sich ein zukünftiger Veranstalter diesen Themen. Wir haben allerdings das Thema „Säkulare Flüchtlingshilfe“ aus gegebenem Anlass aufgenommen.

MIZ: Beim kulturellen Rahmenpro­gramm fällt auf, dass ihr – was auf Kongressen eher selten ist – viel Theater anbietet. Wie kommt das?

Konny G. Neumann: Es sind zwei Theaterstücke, die gerade einmal sechs Stunden ausmachen gegenüber ca. 30 Stunden inhaltlicher Angebote. Ich halte das nicht für zu viel. Zudem gilt, es gibt mindestens zwei Gründe für diese Auflockerung: Zum einen steht da der allgemeine Vorwurf im Raum, säkulare Humanisten würden sich nur an den Wissenschaften orientieren und dabei bliebe das Emotionale, das den Menschen doch auch ausmache, auf der Strecke. Ich habe gerade in der Einleitung des von Isaak Kramnick herausgegebenen Buchs The Portable Enlightenment Reader zu diesem Thema „erleuchtende“ Gedanken gefunden. Sinngemäß finden wir dort (S. IX [meine Übersetzung]): „Wenige haben den Geist der Aufklärung (Enlightenment), ihr intellektuelles und soziales Anliegen so eingefangen wie Mozart in seinen Opern. Die Zauberflöte mit ihren säkularen Priestern, die über den Tempel von Weisheit, Vernunft und Natur wachen, ist eine Serie von Variation vom Triumph des Lichtes über die Dunkelheit und der Sonne über den Mond, vom Tag über die Nacht, von Vernunft, Toleranz und Liebe über Leidenschaft, Hass und Rache.“ Kramnick führt aus, dass bei Mozart und entsprechenden Künstlern Freimaurerideale und Bilder en masse vorkommen und der Oper Bedeutung verleihen. So wird durch die Musik neben dem Gefühl durch die Handlung auch die Vernunft – geradezu belehrend – angesprochen.

Zum zweiten hat unser Freund Josh Goldberg eine Tetralogie von humanistischen Stücken geschrieben, die bestens in unser Programm passen und ein Ausgleich zu anspruchsvollen Vorträgen, Diskussionen und Workshops sein sollen. Näheres über die vier Stücke findet sich in Freier Blick 2018: Kristina und Descartes, der auf dem Humanistentag zu erwerben ist. Philosophie durch ein Theaterstück präsentiert, das hat schon seinen Reiz.

MIZ: Noch ein Wort zum Veranstal­tungsort: die Patriotische Gesellschaft von 1765 – was ist das?

Konny G. Neumann: Bei der ehrwürdigen Patriotischen Gesellschaft von 1765 handelt es sich um eine Ein­richtung, die bereits um die Mitte des 18. Jahrhunderts Ansätze demokratischer Bewegungen organisierte: „Unsere Geschichte beginnt mit dem Aufkeimen eines neuen bürgerlichen Bewusstseins. Noch 24 Jahre vor der französischen Revolution schlossen sich Bürger in Hamburg zur Patriotischen Gesellschaft zusammen. Beseelt von der Idee der Gleichheit der Menschen und dem Wunsch, Bürgerrechte und Gemeinwohl zu stärken. Heute sind wir die älteste zivilgesellschaftliche Organisation im deutschen Sprachraum – aber neuen Ideen gegenüber so offen wie am ersten Tag.“ So steht es auf der Homepage der Patriotischen Gesellschaft von 1765. Es passt, dass wir dort den Humanistentag durchführen. Zur Eröffnung des Kongresses wird der Vorsitzende der Gesellschaft, Dr. Willfried Maier (ehemaliger Hamburger Senator) ein Grußwort sprechen. Die Stiftung »Geistesfreiheit«, ist Mitglied der Gesellschaft. „Patriotisch“ ist nicht im amerikanischen Sinne zu verstehen, wo wir oftmals einen Beigeschmack von „übergroßer Vaterlandsliebe“ verspüren. Das Gegenteil ist der Fall und passt zu Hamburg, dem Tor zur Welt mit weltoffenen Bürgern, von denen mehr als 60% konfessionsfrei sind. Weiteres und Näheres unter www.patriotische-gesellschaft.de, ein Blick lohnt sich!

Mehr Informationen zum Deutschen Humanisten­tag 2019 unter www.deutscher-humanistentag.de