Der Berliner Fall macht dabei die Absurdität der hinter dem Kirchlichen Arbeitsrecht stehenden Vorstellungen besonders anschaulich. Die Klagende bewarb sich auf eine Anstellung, bei der es im Grunde um die Bekämpfung chauvinistischen Denkens geht, nämlich auf eine Stelle bei der Diakonie Berlin im Bereich Antirassismus. Die Bewerberin hatte den Eindruck, dass es ihre Konfessionslosigkeit war, die dazu führte, dass sie nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurde. Denn ihre Qualifikation entsprach genau der Ausschreibung – mit einer Ausnahme: der fehlenden Kirchenmitgliedschaft. Nun argumentieren die Kirchen in diesen Fällen, nur Christen könnten angestellt werden, da es eine Frage der Glaubwürdigkeit sei, dass alle Beschäftigten durch ihre Kirchenmitgliedschaft zum Ausdruck bringen, dass sie voll und ganz im kirchlichen Geist agieren.1 Der Gedanke, dass zum Beispiel eine Ärztin oder ein Altenpfleger den ihnen anvertrauten Menschen nicht die nötige Zuwendung zukommen lassen könnten, nur weil sie konfessionslos, „Ungläubige“ sind, ist ganz klar Ausdruck (religiösen) Chauvinismus, des Glaubens an die Überlegenheit der eigenen Gruppe. Kann das die Grundlage antirassistischer Arbeit sein? Es ist ein enorm großer Widerspruch, dass eine Einrichtung, die sich in dieser Weise diskriminierender Ausgrenzungsmuster bedient, im Rahmen der UN-Antirassismuskonvention tätig werden soll.
Dabei sah es zunächst so aus, als käme die Kirche mit ihren diskriminierenden Einstellungsanforderungen nicht durch. Das Arbeitsgericht Berlin gab im Dezember 2013 der Klage statt und sprach der Betroffenen Schadensersatz zu.2 Doch das Diakonische Werk legte gegen das Urteil Berufung ein. Hatte der Richter in der ersten Instanz noch auf die EU-Richtlinie Bezug genommen und die Auffassung vertreten, das deutsche Antidiskriminierungsgesetz sei „richtlinienkonform“ auszulegen, sah das der Richter am Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg Ende Mai anders und hob das Urteil auf. Diesmal ist es die Klägerin, die sich mit dem Urteil nicht abfinden will und Rechtsmittel einlegen wird. Falls notwendig werde sie bis zum Europäischen Gerichtshof gehen, um klären zu lassen, ob das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in § 9 den Vorgaben der Europäischen Kommission entspricht.
Kein „Einheitsbrei“
Eine Lehrstunde in politischer Justiz erteilte Richterin Dr. Kraus dem Kläger vor dem Arbeitsgericht Frankfurt/Main. Der Arzt hatte sich bei einem Krankenhaus in evangelischer Trägerschaft auf eine Stelle in der Notaufnahme beworben. Man teilte ihm mit, dass er für die Stelle nicht in Frage käme, da seine Konfessionslosigkeit ein Problem sei. Auf ein Schreiben der Rechtsabteilung der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di hin bot das Krankenhaus – ohne Anerkennung einer Rechtspflicht – zunächst eine Entschädigung von 3000 Euro an. Da es dem Arzt aber nicht ums Geld, sondern ums Prinzip ging, schlug er das Angebot aus und klagte.
Auch in einer Verlautbarung des Agaplesion-Krankenhauses zu dem Fall klingt der religiöse Chauvinismus durch, wenn davon die Rede ist, dass die „besondere, durch das christliche Profil geprägte Unternehmenskultur auch bei kleinen Verletzungen und deren Behandlung zum Ausdruck“ komme.3 Eine Formulierung, die mit dem Arbeitsalltag in einer Notaufnahme rein gar nichts zu tun hat, denn in keinem medizinischen Lehrbuch dürfte stehen, wie man „evangelisch“ Verbände anlegt oder Injektionen setzt. Solche Aussagen zeigen ganz offensichtlich, dass Nichtchristen abgewertet werden, indem man ihnen unterstellt, ihnen fehle eine, Christen durch ihre religiöse Orientierung zueigene, besondere Befähigung zur Menschlichkeit.
Doch auf den Aspekt der Diskriminierung ging Richterin Dr. Kraus gar nicht ein. Sie drängte auf einen Vergleich und nachdem der Arzt und sein Anwalt deutlich gemacht hatten, dass sie die grundsätzliche Frage geklärt wissen möchten, ob im 21. Jahrhundert die Konfession ein Einstellungskriterium für medizinische Berufe sein darf, warf sie den beiden Prinzipienreiterei vor und entschied gegen den Kläger. Wie ist dabei ihre Aussage zur europäischen Dimension dieser Rechtsfrage zu werten, an die sich der Kläger erinnert: „Wir wollen ja keinen Einheitsbrei“? Dass das Bemühen, europaweit Diskriminierung zu unterbinden, von einer deutschen Richterin derart negativ bezeichnet wird, überrascht bereits. Weiter wirft die Formulierung „wir“ die Frage auf, wer hier denn eigentlich gemeint ist. Das Urteil der Richterin passt zumindest zur Strategie der Kirchen, die sich unermüdlich für die Verwässerung der Vorgaben aus Brüssel eingesetzt haben. Auch der Arzt will das Urteil nicht auf sich beruhen lassen und in die nächste Runde gehen. Der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) und die Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) haben ihm dabei ihre Unterstützung zugesichert.
„Rechtssicherheit“ statt Gerechtigkeit
Wie wenig deutsche Gerichte bereit sind, dem Geist der Antidiskriminierungsrichtlinie zu entsprechen, zeigt auch der Fall Schüth. Der Kirchenorganist hatte seine Stelle bei einer katholischen Kirchengemeinde verloren, als er nach einer Scheidung mit einer neuen Partnerin ein Kind erwartete. Über ein Jahrzehnt klagte Schüth gegen seine Entlassung, bis er schließlich 2010 vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Recht bekam. Die deutschen Gerichte hätten das Recht des Kirchenmusikers auf Familie und Privatleben nicht ausreichend berücksichtigt; die Glaubwürdigkeit der Kirche werde durch seine neue Beziehung nicht erschüttert.4
Schüths Klage auf Wiedereinstellung scheiterte allerdings bislang, zuletzt unterlag er Anfang Juni vor dem Landesarbeitsgericht in Düsseldorf. Der Organist, der bis heute nur eine Halbtagsstelle in einer evangelischen Kirchengemeinde bekleidet, hat bislang 40.000 Euro Entschädigung erhalten. Nach dem derzeitigen Stand der Dinge wird es wohl dabei bleiben und auch die Genugtuung, wieder auf „seiner“ Orgel spielen zu können, wird Schüth nicht zuteil werden. Die Gerechtigkeitslücke ist offensichtlich und so spricht auch die Westdeutsche Allgemeine von einem Urteil „im Sinne der Rechtssicherheit“.
Anmerkungen
1 Die Tätigkeit in einer sozialen, pädagogischen usw. Einrichtung in kirchlicher Trägerschaft wird als „Arbeit im Weinberg des Herrn“ verstanden. So zum Beispiel Harald Schliemann, Thüringer Justizminister a.D.: „Der Dritte Weg ist religiös fundiert. Das muss immer wieder ins Bewusstsein gehoben werden, auch innerhalb von Kirche, Caritas und Diakonie. Dienstgeber oder Dienstnehmer bilden eine einzige Dienstgemeinschaft. Alle arbeiten gemeinschaftlich im Weinberg des Herrn....“
2 Detaillierte Informationen zu diesem Gerichtstermin unter: http://hpd.de/node/17460 sowie http://hpd.de/node/17642 (Zugriff 20.7.2014).
3 Im hr-Magazin defacto vom 20.10.2013; siehe http://www.hr-online.de/website/suche/home/mediaplayer.jsp?mkey=49899737&type=v&xtmc=defacto&xtcr=3 (Zugriff 25.10.2013).
4 Zum Fall Schüth vgl. Corinna Gekeler: Loyal dienen. Diskriminierendes Arbeitsrecht bei Caritas, Diakonie & Co. Zweite, korrigierte Auflage, Aschaffenburg 2014, S. 191-212; zur jüngsten Entwicklung Antje Hildebrand: Ein Fall für die höchsten Richter, in: Stuttgarter Zeitung vom 3.7.2014 (http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.kirchliches-arbeitsrecht-in-der-kritik-ein-fall-fuer-die-hoechsten-richter.2d13c73c-8119-4d9e-ab83-befd93fdf93d.html, Zugriff 21.7.2014) und Jörg Maibaum: Das nächste Register ziehen, in: WAZ vom 5.6.2014 (http://www.derwesten.de/staedte/essen/das-naechste-register-ziehen-id9434135.html, Zugriff 21.7.2014).