Prisma | Veröffentlicht in MIZ 1/21 | Geschrieben von Frank Welker

Der große Dachschaden

Wie die Verschwörungstheorie vom „Great Reset“ 
die Welt erobert

Die Coronakrise hat zu einer bedenklichen Zunahme neuer Verschwörungstheorien geführt. Viele Menschen flüchten sich vor der Realität in eine Scheinwelt, in der klar nach Gut und Böse unterteilt werden kann und Schuldzuweisungen einfach sind. Die derzeit angesagteste Aluhuttheorie ist die vom Great Reset.

Von Karlheinz Deschner stammt das Zitat „Je größer der Dachschaden, desto schöner der Ausblick zum Himmel.“ Damit meinte der Kirchenkritiker zwar in erster Linie das Christentum, aber wenn es um absurdes Denken und verrücktes Verhalten geht, haben Esoteriker und Verschwörungstheoretiker dem Papst & Co. längst den Rang abgelaufen. Im Zentrum der derzeit angesagtesten Verschwörungstheorie steht diesmal nicht Bill Gates oder George Soros, sondern ein anderer einflussreicher Mensch: der deutsche Wirtschaftswissenschaftler Klaus Schwab. Dieser ist Gründer und geschäftsführender Vorsitzender des Weltwirtschaftsforums. Diese Stiftung richtet einmal jährlich ein gleichnamiges Treffes im schweizerischen Davos aus, an dem führende Politiker, Wissenschafter, Wirtschaftsvertreter und andere meist prominente gesellschaftliche Akteure teilnehmen. Diskutiert werden dort dann globale Fragen zu den Themen Wirtschaft, Gesundheit, Umwelt und Soziales. Kritisch gesehen wird das Treffen vor allem von linker Seite und von Globalisierungskritikern, denen die dort mitunter vertretene neoliberale Agenda berechtigterweise ein Dorn im Auge ist. Daneben war das Weltwirtschaftsforum aber auch schon immer Anlass für verschwörungstheoretische Spekulationen.

Mit berechtigter Kritik hat die Verschwörungstheorie des Great Resets jedoch überhaupt nichts zu tun. Zudem unterscheidet sich die Erzählung deutlich von linken Positionen. Anlass für die Entstehung des neuen Verschwörungsglaubens war eine Vortragsreihe des Weltwirtschaftsforums, die im Frühjahr 2020 mitten in der Coronakrise begann. In den Vorträgen ging es im Kern darum zu überlegen, wie man nach der Pandemie soziale und finanzielle Ungleichheiten überwinden könnte. Die Reichen wurden zudem zu mehr sozialer Verantwortung aufgefordert. Der Kapitalismus sollte also sozialer und vor allem ökologischer werden. Die erarbeiteten Vorschläge wurden von Schwa

b dann gemeinsam mit dem englischen Prinzen Charles veröffentlicht und es erschien ein Buch von Schwab mit dem zugegeben reißerischen Titel The Great Reset. In einer Pressemitteilung im Juni 2020 brachte Klaus Schwab die Botschaft nochmal auf den Punkt: „Wir haben nur einen Planeten, und wir wissen, dass der Klimawandel die nächste globale Katastrophe mit noch dramatischeren Folgen für die Menschheit sein könnte. Wir müssen die Wirtschaft in dem kurzen noch verbleibenden Zeitfenster dekarbonisieren und unser Denken und Verhalten wieder in Einklang mit der Natur bringen“.

Bei den Verschwörungstheoretikern wurde aus den gut gemeinten Vorschlägen für eine gerechtere Welt jedoch etwas völlig anderes. Demnach geht es nicht um eine soziale Transformation des Kapitalismus, sondern um dessen Abschaffung. So sollen sich eine globale Finanzelite und hochrangige Politiker dazu verschworen haben, eine neue totalitäre marxistische Weltordnung einzuführen. Die Pandemie sei dabei Mittel zum Zweck und von Menschenhand erschaffen, um diese neue Ordnung durchzusetzen. Auch das Impfen der Bevölkerung ist nach dieser Erzählung Teil des Plans, um die Bevölkerung mittels Mikrochips gefügig zu machen. Wie immer bei solchen Verschwörungstheorien gibt es zahlreiche Ableger und Varianten. So wird mitunter auch über die Einrichtung von Konzentrationslagern spekuliert oder der Transhumanismus soll Teil der Verschwörung sein. Womit auch die säkulare und religionskritische Giordano-Bruno-Stiftung zu den verdächtigen Organisationen gehört, beruft diese sich doch auf den transhumanistischen Vordenker Julian Huxley. Wie fast immer bei solchen Verschwörungsmythen finden sich zudem stark antisemitischen Untertöne. Da Schwab selbst kein Jude ist, gilt er dann als Marionette der jüdischen Finanzelite, und es wird behauptet, er und das Weltwirtschaftsforum würde von George Soros oder den Rothschilds gesteuert. Folglich ist es kein Wunder, dass das Märchen von der Einführung des Marxismus durch Inszenieren einer Pandemie besonders in rechten Kreisen beliebt ist. Darunter sind offensichtlich viele Anhänger der AfD, wie man anhand vieler Diskussionsbeiträge solcher Personen zum Thema Corona in den sozialen Medien erkennen kann. Zudem kam jüngst eine Studie der Universität Leipzig zu dem Ergebnis, dass Verschwörungsmythen im Umfeld der AfD prinzipiell deutlich stärker verbreitet sind als bei Anhängern anderer Parteien.

Generell ist leider festzustellen, dass der Glaube an Verschwörungen in Deutschland erschreckend hoch ist. Rund ein Drittel der Bevölkerung neigt zu solchen Positionen, wie eine aktuelle Studie der Konrad Adenauer Stiftung gezeigt hat. Hier hat nicht zuletzt auch das Bildungssystem versagt und die fehlende Medienkompetenz vieler Menschen ist ein großes Problem. Kurzfristig zu reparieren ist das Abdriften großer Teile der Bevölkerung nicht. Wer einmal im Verschwörungssumpf gefangen ist, der kann kaum noch durch Argumente überzeugt werden. Vielleicht bräuchte das Bildungssystem einen „Great Reset“?