Zwar ist es schwierig, eine exakte Zahl der Länder zu nennen, die aktuell von autoritären Herrschern geführt werden, dennoch liefern verschiedene Berichte und Indizes Anhaltspunkte. The Economist Democracy Index von 2024 stuft beispielsweise 60 von 167 untersuchten Ländern als autoritäre Regime ein.1 Neben den als klar autoritär klassifizierten Ländern gibt es darüber hinaus so genannte „Hybridregime“, die Elemente sowohl von Demokratie als auch Autoritarismus aufweisen. Laut The Economist Democracy Index, waren dies 2024 36 Länder. Die Übergänge sind oft fließend, und die Einschätzungen können je nach angewandter Methodik variieren. Fakt ist, dass die Zahl autoritärer Regime weltweit steigt – vor allem im globalen Norden.
Doch was ist eigentlich Autoritarismus? Der Autoritarismus kann als eine Regierungsform oder ein politisches Regime verstanden werden, bei dem Macht zentralisiert wird, individuelle Freiheiten eingeschränkt werden und die Kontrolle über gesellschaftliche Institutionen – Medien, Justiz, Bildung, Wissenschaft, Kultur – auf eine Partei, eine Clique, einen Clan oder einen Führer konzentriert wird. Im Kern geht es um die Ablehnung pluralistischer Diskurse und Werte, die Vielfalt von Meinungen und die Akzeptanz unterschiedlicher Lebensweisen sowie um die Einschränkung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung und der reproduktiven Rechte. Stattdessen setzen autoritäre Regime auf Kontrolle, Propaganda und oft auch Gewalt, wobei diese Instrumente sowohl offensiv als auch defensiv eingesetzt werden.2 Das klingt, mit dem Blick auf Religionen, sehr vertraut.
Worin liegen die Gründe für das Wiedererstarken des Autoritarismus im 21. Jahrhundert? Dass sich Menschen weltweit hin zum Autoritarismus wenden, hat viele Gründe. Diese können an dieser Stelle nur angerissen und keinesfalls umfassend dargestellt werden. Einer der Hauptgründe ist die wirtschaftliche Unsicherheit und die soziale Spaltung. Wirtschaftliche Instabilität führt zu wachsendem Unmut gegenüber demokratischen Institutionen. (Semi)Autoritäre Regierungen versprechen schnelle Lösungen, etwa durch nationalstaatliche Kontrolle der Wirtschaft oder harte Maßnahmen gegenüber bestimmten Bevölkerungsteilen. Der Vertrauensverlust in demokratische Institutionen ist ein weiterer Grund. Politische Polarisierung und Skandale erschütterten in verschiedenen Ländern das Vertrauen in das politische System. Autoritäre Führer präsentieren sich als Retter und Problemlöser,3 die das Land aus dem Chaos und das eigene Volk in ein neues goldenes Zeitalter führen werden. Sie versprechen, „die Dinge wieder in Ordnung zu bringen“. Ein dritter Grund ist die Angst vor gesellschaftlichem Wandel. Das Thema Migration (Stichwort: Re-Migration) oder die Debatten um Gender oder auch die Kämpfe um sexuelle Selbstbestimmung und reproduktive Rechte seien hier stellvertretend genannt. Unter Zuhilfenahme von sozialen Medien schüren völkische und rechtspopulistische Bewegungen wie zum Beispiel die AfD in Deutschland, die FPÖ in Österreich oder die Partei Fratelli D’Italia in Italien Ängste, um autoritäre Maßnahmen zu propagieren. Sie bieten einfache Erklärungen und Lösungen: Grenzen schließen, nationale Identität bewahren, „unsere von Gott gegebene Werte“ und das binäre Geschlechterverständnis verteidigen. Oder anders ausgedrückt, zurück in die vermeintlich heile Welt der früheren Jahrzehnte, wo alles offenbar eindeutiger und besser war. Mit der Verklärung der Vergangenheit wird der Traum einer goldenen Zukunft für das eigene Volk verknüpft: weiß, männlich, christlich und stolz. Klingt verlockend einfach, hat mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit nichts zu tun und löst darüber hinaus keine Probleme.
Dass wir uns als MIZ-Redaktion mit dem Thema Autoritarismus beschäftigen hat vor allem zwei Gründe.
Zum einen haben sich die gesellschaftlichen Verhältnisse und damit unsere Themenfelder verändert. Anders
als früher, wo sich der Autoritarismus
darin gezeigt hat, dass Politik und Kirchen sich gegenseitig ermächtigt haben und eine (un)heilige Allianz eingegangen sind, erleben wir den Autoritarismus heutzutage nicht mehr mit dem einen ‘exklusiven’ Bündnispartner namens Religion. Autoritäre Regime operieren mit einem vielschichtigen und vielstimmigen Irrationalismus. Autoritäre Führer haben gelernt, dass ein Bündnis mit Esoterikern, Maskulinisten, Corona-Leugnern, Verschwörungsgläubigen, Antisemiten sowie religiösen Rechten den größtmöglichen Nutzen für sie bringen. Es ist ein reziprokes Verhältnis, welches sich hier zeigt. Sie
bedingen einander und sie brauchen einander. Sie lehnen die Moderne und damit das auf Gleichheit, Freiheit, Individualität und Pluralismus aufgebaute Fundament unserer Gesellschaft ab.
Zum anderen müssen wir uns die Frage stellen, welches das, aus meiner Sicht, wichtigste Instrument ist, mit dem man sich dem Autoritarismus widersetzen kann? Hier kommt die Wissenschaft ins Spiel. Wissenschaft ist ein systematischer Prozess zur Erforschung, Erklärung und Vorhersage von Phänomenen in Natur, Gesellschaft und im Denken. Sie basiert auf bestimmten Prinzipien und Methoden, um möglichst objektive und verlässliche Erkenntnisse zu gewinnen. Das Hauptziel ist es, die Welt besser zu verstehen, Phänomene zu erklären und auf dieser Basis praktische Lösungen für Probleme zu entwickeln. Im Gegensatz zu Glauben, Irrationalismus oder Aberglaube basiert Wissenschaft auf überprüfbaren Beweisen und methodischer Überprüfung. Das macht Wissenschaft zu einem der Hauptantagonisten des Autoritarismus. Der Autoritarismus hat kein Interesse an Fakten und Wissen. Autoritäre Regime verbreiten Lügen und schüren Ängste. Als aktuelles Beispiel kann die USA genannt werden. Ob nun die Ernennung Robert F. Kennedy Jr. zum Gesundheitsminister, die Absetzung von Forschungsprogrammen und Stipendien, die massenhafte Entlassung von Wissenschaftlern oder die Beschneidung der Wissenschaftsfreiheit. Ganz in der Tradition Nixons erklärte der Vizepräsident JD Vance bereits 2021: „Wenn wir die Dinge umsetzen wollen, die wir für unser Land und die Menschen hier planen, dann müssen wir sehr aggressiv die Universitäten hierzulande angreifen.“4
Dass es Krisen gibt, steht außer Frage. Doch zu glauben, dass die Bewältigung der multiplen Krisen mit den Mitteln reaktionärer, rückwärtsgewandter Ideologien wie dem Autoritarismus bewältigt werden könne, ist ein fataler Trugschluss. Der spürbare Herbst der Moderne stellt eine Gefahr für das demokratische Gemeinwesen und das Individuum, als Teil dessen, dar. Unsere Aufgabe ist es, Menschen zu vermitteln, dass mit einer wissens- und evidenzbasierten Analyse der Probleme und der Bereitstellung geeigneter Werkzeuge Krisen bewältigt werden können und ein Leben frei von Religion, Esoterik, Paramedizin oder Irrationalismus möglich ist. In diesem Sinne, Geschichte wird gemacht!
Noch ein Nachtrag zum Cover. Als wir uns in der Redaktion Gedanken über das MIZ-Cover gemacht haben, wurde uns klar, dass ein klassisches Foto nur eine Ebene des Phänomens hätte darstellen können. Das heißt, das Cover hätte nur unzureichend die Komplexität des Themas vermitteln können. Daher haben wir mit einer KI experimentiert. Stichworte für das zu erstellende Bild waren autoritäres Gedankengut gepaart mit aktuellen konkreten Fakten. Wir wollten herausfinden, wie unsere Überlegungen von einer KI umgesetzt werden und fanden das etwas seltsam anmutende Potpourri (Stichwort: drei Hände der abgebildeten Frau) ganz angemessen als Ergebnis.
Fußnoten
1 EIU Report. Democracy Index 2024. [Letzter Zugriff: 30.4.2025].
2 Vgl. Stanley, Jason: Wie Faschismus funktioniert. Neu-Isenburg 2024. Das Buch ist bereits 2018, also während der ersten Amtszeit des 43. (und 45.) Präsidenten der USA, Donald Trump, in den USA erschienen.
3 Neben Donald Trump darf sich auch Wladimir Putin mittlerweile als von Gott auserwählt ansehen. Zum Osterfest wurde der russische Präsident von Kyrill I, Patriarch der russisch-orthodoxen Kirche, zum Auserwählten Gottes ernannt. Ironie der Geschichte. Kyrill I. (bürgerlicher Name: Wladimir Michailowitsch Gundjajew) war mutmaßlich Spion beim sowjetischen Geheimdienst KGB.
4 2021 war JD Vance Hauptredner bei der National Conservatism Conference II der Edmund Burke Foundation. [Letzter Zugriff: 30.4.2025]. Auf mittlerweile veröffentlichten Tonaufnahmen von 1972 aus den Archiven des Weißen Hauses ist zu hören, wie der damalige Präsident Richard Nixon zu seinem Sicherheitsberater Henry Kissinger sagte: „Die Presse ist der Feind. Das Establishment ist der Feind. Die Professoren sind der Feind.“