Schwerpunktthema | Veröffentlicht in MIZ 2/17 | Geschrieben von Redaktion MIZ

„Wir brauchen einen Dialog mit den säkularen Verbänden“

Ein Gespräch mit Linken-Politiker Rico Gebhardt

Die Partei Die Linke hat in den vergangenen Legislaturperioden mehrere parlamentarische Initiativen für eine konsequentere Trennung von Staat und Kirche ergriffen. So legte sie 2013 einen Gesetzentwurf für eine Ablösung der Staatsleistungen vor und beantragte 2015 eine Kommission einzusetzen, die die bisher an die Kirchen geleisteten Entschädigungszahlungen für die Enteignungen aufgrund es Reichsdeputationshauptschlusses evaluieren sollte (was von den Grünen unterstützt, der Bundestagsmehrheit aber abgelehnt wurde).

Für Irritationen sorgte zuletzt aber, dass auf dem Programmparteitag im Juni ein Antrag, die Staatsverträge mit den Kirchen aufzukündigen, zunächst Zustimmng fand (was die Aufnahme der Forderung ins Wahlprogramm bedeutet hätte), dann aber am Morgen des folgenden Tages „zurückgeholt“ wurde. MIZ sprach mit dem sächsischen Lan­desvorsitzenden Rico Gebhardt.

MIZ: Wie schätzen Sie das jetzt verabschiedete Wahlprogramm der Partei Die Linke ein? Sind die Interessen der Konfessionslosen gut berücksichtigt oder hätte es mehr sein dürfen?

Rico Gebhardt: Unser Wahlprogramm richtet sich an alle Menschen, ob sie einer Konfession angehören oder nicht. Ich kann mit den religionspolitischen Forderungen leben. So ist etwa die „institutionelle Trennung von Staat und Kirche“ als Prinzip verankert. Und das Programm formuliert den klaren Auftrag an uns selbst, Versuchen zu widerstehen, „Demokratie und gleiche Rechte für alle mit dem Verweis auf vermeintlich natürliche oder göttliche Gesetzmäßigkeiten einzuschränken“. Wir wollen beispielsweise einen weltanschaulich neutralen Ethikunterricht einführen, bessere arbeitsrechtliche Regelungen für Kirchenbeschäftigte erreichen oder die Militärseelsorge abschaffen. Die Kirchen sollen ihre Mitgliedsbeiträge selbstständig und selbstverantwortlich erheben. Ich finde aber nicht, dass wir uns mit diesem Diskussionsstand zufriedengeben sollten.

MIZ: Warum ist die Streichung der Staatsleistungen nicht unter den For­derungen?

Rico Gebhardt: Mein Landesvorstand hatte schon dem Bundesparteitag 2016 einen umfangreichen Antrag vorgelegt, in dem es um das Verhältnis von Kirche und Staat und um unsere Haltung zum Laizismus ging. Dieser Antrag wurde aus Zeitgründen nicht behandelt, und einige wollten uns dazu bewegen, ihn zurückzuziehen. Denn am Wochenende des Parteitages fand auch der 100. Katholikentag statt. Nun hat sich gezeigt, dass es besser gewesen wäre, schon damals diese Debatte zu führen. Dann hätten wir uns heute vielleicht noch klarer positioniert. Immerhin enthält das Wahlprogramm nun den Satz: „Wir treten für den seit 1919 bestehenden Verfassungsauftrag zur Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen ein.“ Das hätten wir durchaus kämpferischer formulieren können.

MIZ: Was müsste – von den Säkularen in der Partei aber auch von den säkularen Verbänden – getan werden, dass in Zukunft das Wahlprogramm der Linken eine stärker säkulare Handschrift trägt?

Rico Gebhardt: Wir brauchen innerhalb der Linken eine Debatte und wir brauchen einen Dialog mit den säkularen Verbänden, auf allen Ebenen. Ohne Vorbedingungen und auf gleicher Augenhöhe. Wir sollten uns auch von der Befürchtung befreien, dass wir Wählerinnen und Wähler verschrecken könnten, wenn wir die Staatsleistungen kritisieren. Denn diese Kritik bedeutet keine Geringschätzung jener Menschen, die sich aus religiösen Motiven für andere engagieren, und sie bedeutet auch keine Geringschätzung ihres Glaubens. Der hat schließlich nichts mit Politik zu tun, sondern ist Privatsache.

Übrigens ist es auch kein Zufall, dass es selbst innerhalb der Kirchen Stimmen gibt, die danach rufen, die Staatsleistungen zu überprüfen. Wir sehen einen Auftrag an uns als stärkste Oppositionspartei in Sachsen, schon weil wir das Grundgesetz ernst nehmen. Die CDU denkt gar nicht daran, den Verfassungsauftrag von 1949 umzusetzen und einen Weg zu suchen, die Staatsleistungen per Gesetz zu beenden. Deshalb sind wir als Linksfraktion im Landtag in dieser Sache aktiv und werden das auch bleiben.

MIZ: Was sagt es eigentlich über die Gesellschaftsanalyse einer Partei aus, 
wenn der konfessionslose Bevölke­rungsanteil von deutlich über 30% nicht als Wählerpotential wahrgenommen wird?

Rico Gebhardt: Zumindest für den Landesverband Sachsen kann ich sagen, dass wir dieses Potential durchaus wahrnehmen. Nicht nur, aber auch deshalb versuchen wir ja seit längerer Zeit, das Thema Laizismus nach vorn zu bringen. Wenn wir die Partei bundesweit betrachten, sehen wir, dass das Verhältnis von Staat und Kirche auf der Agenda nicht weit oben steht. Ich erkläre mir das etwa mit den unterschiedlich großen Anteilen, die Konfessionslose in den Regionen haben – ihre Zahl ist im Osten vergleichsweise hoch, anderswo nicht. Hinzu kommt die Tatsache, dass gerade Christinnen und Christen in der DDR viel Unrecht erlitten haben. Ich glaube, dass manche Genossinnen und Genossen den – haltlosen – Vorwurf fürchten, wir wollten Menschen christlichen Glaubens benachteiligen, beziehungsweise sie wieder benachteiligen. Deshalb wollen manche wohl lieber die Finger von diesem Thema lassen. Wir sollten aber trotz alledem auch in diesem Bereich dafür streiten, dass alle Menschen gleich behandelt werden – unabhängig davon, ob sie glauben oder woran sie glauben.

MIZ: Wie gestaltet sich nach Ihrer Einschätzung die mittelfristige Ent­wicklungsperspektive in Bezug auf den Islam? Wird die Religion ins deutsche Privilegiensystem integriert werden? Und falls ja: wer wird davon profitieren?

Rico Gebhardt: Ich glaube, in Bezug auf den Islam wird es mittelfristig 
und wohl auch langfristig weniger um eine mögliche strukturelle Privi­legierung dieser Glaubensrichtung gehen, sondern vielmehr darum, ob die Angehörigen dieser Glaubensrichtung ihre Religion überhaupt angstfrei praktizieren können. Das wäre schlichtweg die Umsetzung des Grundgesetzes, das Religionsfreiheit garantiert. Die gesellschaftliche Rechte verbreitet allerdings antimuslimischen Rassismus, oft unter dem Deckmantel der Islamkritik, und mit stillem Beifall selbst von Teilen der CDU. Auch in dieser Regierungspartei haben viele offensichtlich kein Problem mit Islamophobie und Vorurteilen gegen Muslime. Schon deshalb halte es aus heutiger Sicht für unrealistisch, anzunehmen, dass muslimische Organisationen in diesem Land jemals staatlich alimentiert werden könnten, wie es die sächsische Regierung bei den christlichen Großkirchen praktiziert – angefangen bei Staatsleistungen und staatlichem Kirchensteuereinzug und fortgesetzt mit den vielen weiteren Privilegien. Für mich ist es heute schlicht nicht vorstellbar, dass muslimische Organisationen beispielsweise Steuergeld für Großveranstaltungen bekommen könnten, wie es bei den Kirchentagen geschieht.

Der Staat muss die Religionsfrei-
heit gewährleisten und folglich alle 
Religionen gleich behandeln, Privile­gien darf es nicht geben. Niemand soll anderen religiöse Ansprüche aufzwingen dürfen. Und niemand darf Nachteile erleiden, weil er bestimmte religiöse Überzeugungen teilt oder eben nicht teilt. Eines ist aber klar: Wenn wir verhindern wollen, dass radikale Strömungen innerhalb des Islam Aufwind bekommen, dürfen wir die gemäßigten Musliminnen und Muslime nicht daran hindern, sich hier die nötige Infrastruktur für ihre Glaubensausübung aufzubauen. Diese Infrastruktur muss sich allerdings selbst tragen.“