Prisma | Veröffentlicht in MIZ 4/20 | Geschrieben von Siegfried R. Krebs

Zu Freidenkertum, organisiertem Humanismus und Laizismus in Thüringen

Eine jetzt von Siegfried R. Krebs in der edition Spinoza im Verlag freiheitsbaum vorgelegte Anthologie über Freidenkertum, organisierten Humanismus und Laizismus will den Grundstock für entsprechende regional-geschichtliche Untersuchungen für das Gebiet des heutigen Landes Thüringen legen. Mit Auszügen aus dem Vorwort möchte die MIZ auf dieses Buch aufmerksam machen.

Eine umfassende Geschichte zum organisierten Humanismus, einschließlich der vielen freireligiösen, freigeistigen, freidenkerischen und laizistischen Strömungen ist noch nicht geschrieben, sieht man von Horst Groschopps Standardwerk Dissidenten – Freidenkerei und Kultur in Deutschland ab. Noch mehr fehlen Studien zu regionalen Entwicklungen, das betrifft auch nicht zuletzt Thüringen.

Doch Gotha in Thüringen spielte durch das hervorragende organisatorische und publizistische Wirken von Dr. Karl August Specht (1845–1909) eine zentrale Rolle bei der Gründung und Entwicklung des 1881 gegründeten Deutschen Freidenkerbundes. Darüber und über die Anfänge der in Thüringen gegründeten Proletarischen Freidenker und des daraus hervorgegangenen Deutschen Freidenker-Verbandes schreibt Waltraud Roth (1932-2011) in zwei Gastbeiträgen.

Seit den 1880er Jahren waren im Deutschen Reich auch etwa 40 freidenkerische Arbeitervereine entstanden, die sich an den Deutschen Freidenkerbund anlehnten, ihm aber in organisatorischer Hinsicht nicht beitraten. Vertreter von zwölf dieser Vereine, von denen allein neun aus Sachsen und den thüringischen Kleinstaaten kamen. Sie trafen sich 1908 im thüringischen Eisenach und gründeten dort am 6. September den Zentralverband Deutscher Freidenker, der sich ab 1911 Zentralverband proletarischer Frei­denker und ab 1922 Gemeinschaft Prole­tarischer Freidenker nannte. Zuvor hatte sich bereits, nach dem Freidenker-Weltkongress in Rom 1904, im Februar 1905 durch Sozialdemokraten in Berlin eine Sterbekasse mit dem Namen Verein der Freidenker für Feuerbestattung gegründet. Seit 1925 gab der Verein das Verbandsorgan Der Freidenker heraus. Sie wandten sich damit stärker der Propagierung der weltanschaulichen und kulturpolitischen Vorstellungen des Freidenkertums zu und schufen so wichtige Voraussetzungen für die Vereinigung mit den Proletarischen Frei­denkern. 1927 fand deren Zusammen­schluss zum Verband für Freidenker­tum und Feuerbestattung statt. 1930 gab sich die Organisation den Namen Deutscher Freidenker-Verband (DFV) und bestätigte Max Sievers als Vorsitzenden.

In einer Rezension stellt Siegfried R. Krebs die Programmschrift der Proletarischen Freidenker vor. Diese wurde 1926 von dem in Gotha wirkenden Lebenskundelehrer-Ehepaar Anna und Walter Lindemann verfaßt und einmütig von einer General­versammlung angenommen. Mit dem Lindemann’schen Programm wurde das „Nur-Freidenkertum“ überwunden und auf die notwendige praktische Arbeit orientiert: nicht mehr nur Religionskritik, sondern zugleich auch Kultur- und Bildungsarbeit, Fest- und Feiergestaltung, Feuerbestattung durch eigene Einrichtungen und auch gegenseitige Hilfe. Auf diesen frühen Ansätzen baut die heutige Formulierung „Humanismus muß praktisch sein“ auf.
In Thüringen wirkten darüber hinaus bis 1933 vielfältige bürgerliche freigeistige Vereine, Komitees und Initiativen; zu erwähnen ist hier insbesondere Ernst Haeckels Deutscher Monistenbund, gegründet in Jena am 11. Januar 1906. Zu erwähnen ist daneben unbedingt auch das sogenannte Weimarer Kartell, das auf einer Weimarer Konferenz am 14. und 15. Dezember 1907 formell beschlossen wurde. Diesem Kartell gehörten u.a. folgende Organisationen an:
der Deutsche Monistenbund (gegründet 1906), der Deutsche Bund für Mutterschutz und Sexualreform (gegründet 1904/05), der Deutsche Freidenkerbund (gegründet 1881), die Deutsche Gesellschaft für ethische Kultur (gegründet 1892) und der Bund für weltliche Schule und Moralunterricht.

Über die Geschichte der proletarischen Freidenker und über deren Kampf für eine weltliche Schule im seinerzeit preußischen Erfurt geht es in zwei Gastbeiträgen von Günter Schwade (1929-2010). Es kostete die Freidenker viel Kraft und erforderte von ihnen einiges Geschick, daß 1926/1927 für die Kinder atheistischer Eltern erstmalig eine eigene, damals „Sammelschule“ genannte Einrichtung ohne jeglichen Religionsunterricht genehmigt wurde.

Kurz vor dem Ende der Deutschen Demokratischen Republik entstanden in den damaligen Bezirken Erfurt, Gera und Suhl regionale Organisationen des Verbandes der Freidenker (VdF), aus denen dann Anfang der 1990er Jahre der Landesverband Thüringen des Deutschen Freidenker-Verbandes, Sitz Dortmund (DFV) hervorging. Siegfried R. Krebs trat diesem VdF im Jahre 1989 bei. Nach einem Jahr aber verloren sich die Spuren der Organisation in Gera. Erst seit 2008 ist er wieder in humanistischen Organisationen tätig. In einem Beitrag des Buches geht der Verfasser selbst auf den Thüringer Landesverband des Humanistischen Verbandes Deutschland (HVD) und die LAG Laizismus in und bei der Partei Die LINKE ein. Ende 2008 gründete sich auf Initiative von Siegfried R. Krebs und Sven Wirzbowitz eine Humanistische Landesgemeinschaft Thüringen, die sich bereits im März 2009 als Thüringer Landesverband des Humanistischen Verbandes Deutschlands konstituierte. Und schließlich riefen der Verfasser sowie die Freidenker Helga Borchert und Uwe Schenke Anfang 2011 zur Gründung einer Landesarbeitsgemeinschaft Lai­zismus in und bei der Partei Die LINKE (LAG Laizismus) auf. Diese fand am 10. September 2011 in Erfurt statt. Bereits am 16. Juni 2012 trafen sich in Erfurt dann Vertreter der LAG in Bayern, Nordrhein-Westfalen und Thüringen und riefen dort die Bundesarbeitsgemeinschaft Laizismus der Partei DIE LINKE ins Leben.

Zu den in die Anthologie aufgenommenen Dokumenten zählt u.a. ein Grundsatzvortrag von Dr. Karl August Specht aus dem Jahre 1881. Darin postuliert er bemerkenswerterweise, daß „die Weltanschauung des Freidenkers der Humanismus ist“. Dokumente aus heutiger Zeit sind das Konzept eines Humanistischen Stadtspazierganges durch Weimar sowie die Kooperationsvereinbarung zwischen den Thüringer Humanisten und dem Humanistischen Freidenker-Verband Ostwürttemberg K.d.ö.R. In einem Überblick werden abschließend Daten, Personen, Fakten der Thüringer humanistischen und freidenkerischen Szene vorgestellt.

Siegfried R. Krebs: Freidenkertum, organisierter Humanismus und Laizismus in Thüringen. Reutlingen / Heidenheim: Verlag freiheitsbaum - edition Spinoza 2020. 110 Seiten, kartoniert, Euro 12.-, ISBN 978-3-922589-77-8.

Der Autor betreibt das Internet-Portal www.freigeist-weimar.de.