Humanistentag in Hamburg
Anfang September erlebte Hamburg unter der Überschrift „Humanisten für Menschenrechte und Toleranz“ den Deutschen Humanistentag 2019. Getragen von einer Vielzahl von Organisationen aus dem humanistischen Spektrum und federführend organisiert von der Stiftung »Geistesfreiheit« präsentierte die viertägige Veranstaltung Vorträge und Diskussionsrunden sowie Theaterstücke und einen Science Slam.
Die Besucher_innen erwartete eine Mischung aus Informationen zu politischen Themen, die nichtreligiöse Menschen in einer besonderen Weise betreffen, Diskussionen zu strittigen ethischen Fragen und Raum für die Selbstdarstellung humanistischer Organisationen und Projekte.
Für die Zuschauer_innen eher enttäuschend verlief die Debatte über den Neuen Atheismus. Werner Zager, der über das Phänomen ein Buch aus protestantischer Perspektive geschrieben hat, zeigt sich im Streitgespräch mit Michael Schmidt-Salomon wenig angriffslustig und konnte den Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung nicht in Bedrängnis bringen.
Die Vorstellungsrunde von Vertretern der säkularen Arbeitskreise in den Parteien war da schon lebhafter. Die Partei Die Humanisten sah sich von Seiten der Grünen und Sozialdemokraten mit dem Vorwurf konfrontiert, durch die „Sondergründung“ die humanistischen Positionen in diesen Parteien zu schwächen, und der FDP-Politiker erntete für seine Einschätzung, die Kirchen hätten die Parteien quasi „unterwandert“, Kritik von allen Seiten.
Als Vorbereitungsband erschienen: Deutscher Humanistentag Hamburg 2019. Humanisten für Menschenrechte und Toleranz. Freier Blick 2019. Alibri Verlag, Aschaffenburg 2019, 222 Seiten, Abbildungen, kartoniert, Euro 15.-, ISBN 978-3-86569-314-3
Turm der Sinne-Symposium
Unter der Fragestellung „Bessere Menschen? Technische und ethische Fragen in der transhumanistischen Zukunft“ fand im Oktober in der Stadthalle Fürth das turmdersinne- Symposium statt. Den Auftakt bildete der heiter-ironische Vortrag des Zukunftsforschers Karlheinz Steinmüller zu „Zukunftsvisionen zwischen Wunsch- und Alptraum“. Nach einer kurzen historischen Einführung beginnend mit den eugenischen Vorstellungen von Francis Galton, der Erfindung des Cyborgs von John D. Bernal (1929!) und den Ideen zur Besiedlung des Jupiters auf dem CIBA-Symposium (1962) entwickelte er drei mögliche Szenarios – zwischen nützlich (z.B. Prothesen und Implantate) und Horror (die Cyborgs kontrollieren die Menschen).
Sowohl er als auch die folgenden ReferentInnen betonten stets, dass es keine allgemeingültige Definition von „Transhumanismus“ gäbe – dieses Problem blieb auch bis zum Ende des Symposiums ungelöst. Lösungen vorgestellt wurden dagegen für zahlreiche medizinische Probleme – fehlende Gliedmaßen, Schwerhörigkeit, Parkinson etc. Diese Angebote (bewusst Angebote, denn Menschen haben diverse Gründe, diese abzulehnen) der modernen Medizin waren faszinierend – sowohl hinsichtlich der medizinisch-technischen Möglichkeiten, als auch ihre sozialen Auswirkungen betreffend: So berichtete Bertolt Meyer, dass er mit seiner deutlich als hellblaue Prothese gestalteten Hand auf einmal als „cooler Typ“ wahrgenommen wurde. Die Soziologin Melike Sahinol erzählte, dass Kinder mit im 3D-Verfahren nach ihren eigenen farblichen Entwürfen angefertigten Prothesen ein anderes Selbstwertgefühl entwickelt hätten und besser in ihren peer-groups anerkannt wurden.
Neben der Vorstellung beeindruckender neuer technischer Möglichkeiten wurden von allen ReferentInnen mehr oder weniger (bezüglich moralischer Fragen leider weniger) folgende Aspekte hinterfragt: Was heißt eigentlich „verbessern“? Wenn ich z.B. durch Pillen meine individuelle Konkurrenzfähigkeit „verbessere“ (so dass Thema von Thorsten Galert), andere gezwungen sind „nachzuziehen“ und irgendwann alle wieder auf dem gleichen Level sind, was ist dann „besser“ geworden? Warum ist es eigentlich das Ziel, dass Menschen „besser“ werden und nicht, dass sie glücklicher werden?
Wie wollen wir mit Veränderungen umgehen, die scheinbar keinen Nutzen haben? Leuchtende Bäume etwa könnten allenfalls nachts die Straßenbeleuchtung ersetzen und damit Energie sparen. Jedoch ist auch zu fragen: hat die lebende Natur einen intrinsischen Wert, der bewahrt werden muss?
Welche Gefahren können durch (bio)hacking entstehen und wie kann diesen begegnet werden? Brauchen wir „roboterfreie Räume“, so die Frage des „Maschinenethikers“ Oliver Bendel. Zum Thema Kontrolle und Überwachung wurde durch den weltweit führenden Philosophen des Post- und Transhumanismus Stefan Lorenz Sorgner eingeschätzt, dass Menschen durchaus ein Interesse an totaler Überwachung haben (z.B. ihrer medizinischen Daten durch Armbänder) und sich dabei eher von Algorithmen kontrollieren lassen, als durch Menschen.
Die Soziologin und Ethnologin Tanja Kubes verwies darauf, dass Technik, da von Menschen gemacht, niemals neutral sei. Daraus entwickelte sie die spannende Frage, ob in einer transhumanistischen Welt tradierte Vorstellungen über Frauen und Männer zementiert werden oder ob diese gerade das Potential habe, Grenzen aufzubrechen und bestehende Konstellationen neu zu denken.
Als Fazit bleiben Fragen für weitere Diskussionen: Haben wir die richtigen Visionen? Haben wir die richtigen Ängste? Was sind die Maßstäbe? Woher können diese kommen?
Wie immer gab es auf dem Symposium einen tollen Science Slam – Katharina Weitz machte sichtbar, „wie intelligent KI wirklich ist“, und Reinhold Scherer illustrierte ein „Hirn mit AI“, weiterführende Literatur aller 17 ReferentInnen zum Thema und die Möglichkeit, alle Vorträge und Diskussionen sofort auf DVD mitzunehmen. Wer neugierig geworden ist, kann diese über den Turm der Sinne bestellen – und sich schon mal über die nächste Veranstaltung zum Thema „Zwischen Wahn und Wahrheit“ im Herbst 2020 informieren.
Viola Schubert-Lehnhardt