Buchbesprechung | Veröffentlicht in MIZ 3/18 | Geschrieben von Christoph Lammers

Rezension von Åsne Seierstad: Zwei Schwestern

Im Bann des Dschihad

Åsne Seierstad: Zwei Schwestern. Im Bann des Dschihad. Verlag Kein & Aber, Zürich 2017. 528 Seiten, gebunden, Euro 26.-, ISBN 978-3-0369-5774-6

Zwei Schwestern, Leila und Ayan, mit ihrer Familie als Flüchtlinge nach Europa gekommen, wachsen in einer norwegischen Kleinstadt auf. Sie gehen zur Schule, haben Freunde und beide teilen die Vorstellung, etwas aus ihrem Leben machen zu wollen. Sie träumen davon, später als Diplomatin bzw. als Anwältin zu arbeiten. Sie wirken kämpferisch und selbstbestimmt. Stellvertretend dafür steht ein Satz aus einem Schulaufsatz eines der Mädchen, welcher den Titel „Frauenkampf“ trägt: „Wir müssen erbärmliche kleine Männerratten zur Welt bringen, die unsere Liebe und Fürsorge bekommen, bis eines Tages Männer aus ihnen werden, die auch wieder nur ihre Frauen unterdrücken.“ Soweit so normal.

Vier Jahre später ist dieses Mädchen mit ihrer jüngeren Schwester auf dem Weg nach Syrien, um sich dem IS anzuschließen und einen ganz anderen Kampf zu kämpfen. „Die Muslime werden heutzutage aus allen Richtungen angegriffen, und da müssen wir etwas tun. Wir wollen ihnen so gerne helfen, aber wirklich helfen können wir ihnen nur, wenn wir ihnen in Freud und Leid zur Seite stehen.“ So ihre Erklärung gegenüber den Eltern. Den Kontakt zu ihnen lehnen sie ab, ebenso wie deren Lebensweise in der westlichen Welt. Als der Vater sich auf die Suche nach den beiden begibt und damit in Todesgefahr gerät, haben die Töchter nur Verachtung für ihn übrig.

Diese Geschichte beruht auf einer wahren Begebenheit. Rekonstruiert hat sie die bekannte norwegische Jour­nalistin Åsne Seierstad. Sie ist mit ihrem Buch der Bitte der Familie nachgekommen, diese Geschichte aufzuschreiben. Seierstad ist dafür die richtige Wahl. Wie auch in ihrem Buch über den christlichen Fanatiker und Mörder Anders Breivik, konfrontiert sie die Leser_innen mit der Widersprüchlichkeit der Realität. Dabei ist an diesem Buch nicht nur die Geschichte selbst interessant, sondern auch Seierstads Erzählweise. Sie hat die Form des literarischen Journalismus gewählt, um nicht nur erzählen zu können, was passiert ist, sondern auch zu rekonstruieren, wie es passiert ist.

Es ist eine Geschichte, wie sie überall in Europa erzählt werden kann und muss. Die Schwestern stehen stellvertretend für viele Migrant_innen der zweiten und dritten Generation. Sie sind enttäuscht von den Perspektiven, die ihnen von der Gesellschaft und dem Land geboten werden, in das ihre Eltern vormals geflohen sind. Als Außenseiter_innen gebrandmarkt, begeben sich nicht wenige auf die Suche nach dem Sinn, nach einer Aufgabe und nach Erlösung. All das bietet der Islamische Staat – so glauben es die beiden jungen Frauen. Seierstad zeichnet diesen Prozess nach, der Leila und Ayan Stück für Stück verändert und sie zu radikalen Musliminnen macht.

Seierstad will nicht um Verständnis werben. Sie möchte die Leser_innen die Geschichte näherbringen und sensibilisieren für das, was um uns herum passiert. Ein wichtiges Buch, gerade weil sich die Journalistin den einfachen Erklärungsmustern verweigert.