MIZ: Das Hans-Albert-Institut wurde nach dem Soziologen und Wissenschaftstheoretiker Hans Albert benannt, der im Februar diesen Jahres seinen 99. Geburtstag feierte. Wieso wurde er als Namensgeber gewählt?
Florian Chefai: Wie nur wenige hat Hans Albert die Philosophie des 20. Jahrhunderts geprägt. Neben Max Weber und Karl Popper zählt er zu den bedeutendsten Wissenschaftstheoretikern weltweit. Als Vordenker des Kritischen Rationalismus steht er für eine wissenschaftliche Denkweise, welche sich durch Klarheit, Kritikfähigkeit und Aufgeschlossenheit gegenüber alternativen Denkansätzen auszeichnet. Es ist nicht zuletzt auch Albert zu verdanken, dass die Tradition des kritischen Denkens nach dem zivilisatorischen Einbruch des Nationalsozialismus in Deutschland wieder Fuß fassen konnte. In seinem Standardwerk Traktat über kritische Vernunft präzisierte er nicht nur die wissenschaftliche Logik und Methodik, sondern zeigte auch, dass das Bemühen um kritische Rationalität eine zentrale ethische Verpflichtung ist, der wir uns allesamt stellen sollten.
Um Hans Albert und sein Lebenswerk zu würdigen, entstand im Umfeld der Giordano-Bruno-Stiftung die Idee, ein Institut zur Förderung des kritisch-rationalen Denkens in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu gründen. Ende 2019 erteilte uns Hans Albert schließlich die Genehmigung, einen solchen Think Tank unter seinem Namen zu führen.
MIZ: Welche Ziele sollen denn mit der neuen Einrichtung verfolgt werden?
Sophie Strobl: Das Hans-Albert-Institut hat sich zum Ziel gesetzt, gesellschaftlich relevante Probleme faktenbasiert zu beleuchten und einen kritisch-rationalen Beitrag zu gegenwärtigen Diskursen zu leisten. Dazu veröffentlichen wir unter anderem Standpunktpapiere und übersichtliche Fact-Sheets zu ausgewählten Themen, welche durch anerkannte Experten erarbeitet werden. Der aktuelle Stand der Forschung sowie darauf basierende Handlungsempfehlungen für Politik und Gesellschaft sollen dabei möglichst allgemeinverständlich und praxisnah präsentiert werden. Im Kern geht es also darum, politische Entscheidungsprozesse als Problemlösungsversuche zu betrachten, die sich an der Realität messen lassen müssen. Zur Etablierung einer solchen kritisch-rationalen Denkhaltung wollen wir mit dem Hans-Albert-Institut beitragen.
MIZ: Wo liegen die Unterschiede zur Giordano-Bruno-Stiftung?
Florian Chefai: Anders als die Giordano- Bruno-Stiftung, die sich der Förderung des evolutionären Humanismus ver schrieben hat, wirbt das Hans-Albert- Institut für keine bestimmte Weltanschauung. Zudem ist es bei der Umsetzung seiner Ziele weniger aktivistisch ausgerichtet. Die Giordano-Bruno- Stiftung eröffnet als Avantgarde neue gesellschaftliche Denk- und Handlungs räume. Demgegenüber widmet sich das Hans-Albert-Institut primär der Popu larisierung kritisch-rationalen Denkens.
MIZ: Warum habt ihr gerade jetzt die Notwendigkeit eines solchen Instituts gesehen?
Sophie Strobl: In vielen gegenwärtigen Diskussionen gelten Fakten oft nur noch dann als Fakten, wenn sie ins eigene Weltbild passen. Damit wird das Fundament einer rationalen Debatte untergraben, auf der jede aufgeklärte Demokratie baut. Dem politischen Trend zu postfaktischen Argumenten und Fake News wollen wir daher eine wissenschaftliche Perspektive entgegenhalten, die sich gegen dogmatische Verhärtungen aber auch gegen relativistisches Beliebigkeitsdenken stellt. Dafür ist es zum einen erforderlich, dass grundsätzlich verstanden wird, wie Wissenschaft funktioniert und wo ihre Stärken liegen. Schließlich ist die Wissenschaft das beste Werkzeug, um sich in der Realität zurechtfinden zu können.
Zum anderen braucht es gerade in Zeiten verhärteter Fronten und medialer Filterblasen eine angeregte aber zugleich unaufgeregte Streitkultur, um einer zunehmenden Polarisierung der Gesellschaft entgegenzuwirken. Statt nach Bestätigung einer liebgewonnenen Meinung zu suchen, gilt es, diese ständig zu hinterfragen und selbstkritisch nach Fehlern in der eigenen Argumentation zu suchen. Das Eingeständnis eines Irrtums sollte als Ausdruck intellektueller Stärke gelten. Mit dem Institut wollen wir genau dafür einstehen.
MIZ: Wie ist es eigentlich zu erklären, dass jemand wie Jürgen Habermas, dessen wissenschaftliches Vermächtnis aus einer evidenzbasierten Perspektive überschaubar ist, vom deutschen Feuilleton gefeiert wird, Hans Albert dagegen aber kaum Beachtung findet?
Florian Chefai: Womöglich ist es dadurch zu erklären, dass es im deutschen Feuilleton ein Faible für unverständliche und unnötig komplizierte Ausdrucksweise gibt, die zwar klug daherkommt, tatsächlich aber argumentative Schwächen mit substanzlosen Phrasen kaschiert. Albert ist im Gegensatz zu seinen Kontrahenten der Frankfurter Schule ein Gegner großer Worte. Daher war er nicht im gleichen Maße anschlussfähig an das Feuilleton, das den intellektuellen Schein eher würdigt als die intellektuelle Redlichkeit. Im akademischen Betrieb, in dem sprachliche Präzision gefordert wird, hat sich Albert dagegen durchgesetzt.