Prisma | Veröffentlicht in MIZ 2/20 | Geschrieben von Gerhard Rampp

Rheinischer Merkur und Altöttinger Liebfrauenbote

Kronzeugen für den Untergang des traditionellen Katholizismus

Der Schwund der Katholiken in Deutschland ist zwar allgemein bekannt, steht aber im Schatten des noch auffälligeren Rückgangs bei den Protestanten. Tatsächlich kommt es in der katholischen Kirche aber nicht so sehr auf den statistisch erfassbaren Rück­gang an, obgleich dieser mit 2 bis 2,5 Millionen Mitgliedern pro Jahrzehnt auch nicht unerheblich ist. Viel schwerer wiegt der Verlust der erzkonservativen Anhänger, denen ein Wort des Papstes, manchmal sogar schon des Bischofs, als Beweis für die Richtigkeit der katholischen Überzeugung galt. Diese gleichzeitig blindgläubige und oft aggressiv-fanatisch auftretende Klientel ist am Verschwinden.

Ihren letzten großen Auftritt hatte sie 1995 bei der großen Demonstration in München gegen den Kruzifixbeschluss des Bundesverfassungsgerichts, als immerhin 23.000 Teilnehmer mobilisiert werden konnten. Die meisten gehörten allerdings einer Altersgruppe an, die heute ihren Wohnsitz im Pflegeheim oder auf dem Friedhof hat. Der Nach­wuchs hingegen bleibt bis auf seltene Ausnahmen fern. Im Unterschied zu jungen Protestanten eint die jüngeren Katholiken – egal ob sie in Verbänden organisiert sind oder nicht – das Bestreben, ja nicht altmodisch oder rückwärtsgewandt zu erscheinen. Auch deshalb sind sie für CSU und CDU nicht mehr die sichere Bank wie vor 50 Jahren. Nach wie vor wählen kirchentreue Katholiken zu 75 und kirchenverbundene Protestanten zu 65 Prozent die C-Parteien, Frauen übrigens noch mehr als Männer. Aber diese Klientel hat z.B. in Bayern seit der Volkszählung 1987 von 30 auf acht Prozent abgenommen, der Anteil der Konfessionslosen umgekehrt ist von acht auf 30 Prozent gewachsen. Seit 2014 wächst der Anteil der Konfessionsfreien in Bayern überdurchschnittlich stark um 1,2 bis 1,5 Prozentpunkte jährlich. Dort aber wird die CSU nur von 20 Prozent gewählt. (Bei der Landtagswahl 2018 wurde sie mit 19 Prozent von den Grünen sogar um sieben Punkte distanziert.)

Wie sehr die traditionellen Katho­liken am Aussterben sind, zeigt sich neben dem Priestermangel vor allem am Auflagenschwund konservativ-katholischer Zeitungen. Das letzte Bollwerk unter den Tageszeitungen, die Würzburger Tagespost, erschien seit den achtziger Jahren nur noch dreimal wöchentlich und seit kurzem nur noch als Wochenzeitung mit einer Mini-Auflage von 11.000. Bekannter waren zwei andere Wochenzeitungen. Der Rheinische Merkur, die Lieblingszeitung Konrad Adenauers, verbuchte in ihrer Glanzzeit eine Auflage von rund 200.000, wobei allerdings ein Teil in der Bundeswehr gratis abgegeben und letztlich vom Staat gesponsert wurde. Als sie 2010 aufgab, hatte sie noch 36.000 Abonnenten. Der Altöttinger Liebfrauenbote, das Flaggschiff des urbayerischen Katholizismus, kam in seiner Glanzzeit gleichfalls auf eine sechsstellige Auflage, die allerdings schon beim hundertjährigen Jubiläum 1995 auf 40.000 geschrumpft war. Zum 125. Geburtstag haben nun noch genau 7161 Abonnenten überlebt, was die Süddeutsche Zeitung am 13. Mai zu dem süffisanten Titel „Botschaft für den frommen Rest“ veranlasste.

Nicht ganz so aussagekräftig ist die schwindende Gesamtauflage bei den Kirchenzeitungen, die eher als Aus­hängeschilder der gesamten Mitglie­derschaft gelten sollen. Auch sie haben mit dem Wegsterben der Treuesten unter den Anhängern zu kämpfen. Aber schon seit geraumer Zeit versuchen die Bistümer ihre Presseerzeugnisse so zu gestalten, dass sie auch das nicht so dogmatische Publikum ansprechen. So kommen dort auch kircheninterne Protestgruppen zu Wort wie etwa „Maria 2.0“ oder „Wir sind Kirche“, die auf diese Weise noch in der Kirche gehalten werden können, auch wenn sie letztlich nichts bewegen. Allerdings haben die Bistümer hier ein anderes Problem, das z.B. auch die CSU zur Einstellung des Bayernkurier bewogen hat: Jüngere Menschen, auch solche katholischen Glaubens, sind nicht mehr so stark auf Printmedien fixiert und selten auf bischöfliche Amtsautorität ansprechbar. Einzelne Bistü­mer haben daraus die Konsequenz gezogen und verzichten ganz auf Kirchen­zeitungen, nicht aber auf modernere Informationskanäle. Daher hat der Auflagenschwund von 1,5 Millionen (1990) 
auf 450.000 (2018) hier teilweise auch andere Ursachen. Diese gelten übrigens ähnlich auch für evangelische Kirchen­zeitungen, die überwiegend nicht betont konservativ sind und deren Auflage im gleichen Zeitraum auch von rund einer Million auf 400.000 geschrumpft ist. Berücksichtigt man die generell rückläufigen Mitgliederzahlen der Kirchen, ist hier der Schwund aber merklich geringer als bei spezifisch konservativ-katholischen Wochenzeitungen.

Doch zurück zum katholischen Urgestein aus Altötting: Einer der treues
ten verbliebenen Leser des Liebfrauen­boten sitzt im Vatikan, verdankt er ihm doch seine Existenz. 1920 gab der 43-jährige Gendarm Joseph Ratzinger dort nämlich eine Annonce auf. Er suchte zwecks Eheschließung ein „katholisches Mädchen, das kochen und nähen kann“. Prompt meldete sich ein 36-jähriges Mädchen, das er drei Monate später heiratete und welches ihm sieben Jahre später einen Sohn gebar, der manchen bayerischen Katholiken ein Messias und den anderen ein Papst wurde.

So schrieb der Liebfrauenbote Geschichte, ehe er selbst bald Geschichte 
wird. Ob der vorkonziliare Traditions­katholizismus in Mitteleuropa als „Sekte in der Kirche“ weiterleben kann, ist zweifelhaft. Seine Zukunft hat er in Afrika, Lateinamerika und Asien.