Allgemeines | Veröffentlicht in MIZ 3/11 | Geschrieben von Christoph Lammers

Papa don’t preach

Es ist schon ein seltsames Schauspiel, welches sich in den letzten Wochen in Deutschland darbot. Die Parlamentarier/innen, Kirchenvertreter und Kommentator/innen predigten unisono wie sehr „wir vom christlichen Glauben geprägt sind – in Deutschland, aber auch in Europa insgesamt.“1 So wie Angela Merkel begrüßten zahlreiche Politiker/innen den Besuch Ratzingers. In Kommentaren zur Rede im Bundestag überschlugen sie sich. Andrea Nahles, SPD-Generalsekretärin, glaubte eine „kluge und gute Rede“ gehört zu haben, die „in eine tiefere Region des Denkens“ geführt habe.2 Jakob Augstein tönte gar auf SPIEGEL online: „Wir Abendländer entstammen alle ihrem Schoß. […] Die Kirche verdient Respekt.“3!

Man könnte meinen, Gott höchstpersönlich sei auf die Erde zurückgekehrt, so sehr ergoss sich das politische Establishment in Lob und Gehorsam gegenüber einem der letzten Diktatoren Europas. Gerade im Hinblick auf das 20. Jahrhundert muss an Folgendes erinnert werden: Die Demokratie ist eine Errungenschaft der Aufklärung und wurde gegen den erbitterten Widerstand der Kirchen erkämpft. Es ist ein Ausdruck der Verachtung der Demokratie, wenn ihre Volksvertreter/innen einen christlichen Religionsführer im Parlament sprechen lassen.

Im Zusammenhang mit dem Besuch Joseph Ratzingers in Deutschland soll hier jedoch nicht auf die offensichtlichen Makel des Papsttums und der Demokratie hingewiesen, sondern auf drei Aspekte kurz eingegangen werden, die weniger offensichtlich, aber für Konfessionsfreie von außerordentlicher Bedeutung sind. Erstens, was passierte hinter der Fassade des inszenierten Auftritts? Zweitens, wer profitiert von dem Auftritt? Was bleibt vom Auftritt?

Dass der Besuch des Papstes nicht allein Show war, zeigt der von der öffentlichen Berichterstattung kaum wahrgenommene Besuch der Karlsruher Bundesverfassungsrichter/innen in Freiburg. Der Vatikan hatte im Vorfeld der Reise um eine Audienz gebeten und die Richter/innen folgten. Aus Sicht der katholischen Kirche ist die Audienz eine Selbstverständlichkeit: „Wenn der Papst mit den anderen Verfassungsorganen zusammenkommt, dem Bundestag und der Bundesregierung, ist es nur folgerichtig, dass auch an das Bundesverfassungsgericht eine Einladung ergeht.“4 Es spricht Bände, dass die eingeladenen Verfassungsrichter dem Wunsch des Papstes nach einer Audienz nachkamen. Während jedoch der Eindruck erweckt wurde, es handele sich um ein Privatgespräch, ist dieses Treffen als Lobbyarbeit in eigener Sache zu verstehen. Schließlich nahm im Sommer 2007 das Karlsruher Foyer Kirche und Recht seine Arbeit auf, ein think tank der katholischen und der evangelischen Kirche am Sitz des Bundesverfassungsgerichtes, welches Einfluss auf Entscheidungen der Richter/innen zu lebensweltlichen Fragen nimmt. In einer Replik auf den Besuch Ratzingers erklärte dessen ehemaliger Präsident Hans-Jürgen Papier: „Der christliche Glaube und die christlichen Kirchen sind insoweit von überragender Prägekraft.“5 Sind die Gerichte wirklich unabhängig?

Für viele ist der Papstbesuch das Geschäft des Jahres. Doch nicht nur Unternehmen versuchen vom Besuch Ratzingers zu profitieren, es gibt auch Gewinner in der zweiten Reihe. Zu dieser Gruppe gehört die Bewegung Generation Benedikt. Es handelt sich um ein rechtskatholisches Jugendnetzwerk, welches im Zuge des Weltjugendtages 2005 gegründet wurde. Vordenker dieser Bewegung ist Nathanael Liminski, Sohn des Opus Dei-Mitgliedes Jürgen Liminski. Letzterer schreibt gerne für die Junge Freiheit und moderiert regelmäßig Informationssendungen im Deutschlandfunk. Vertreter/innen dieser Bewegung waren vor und während des Papstbesuches Gäste in Funk und Fernsehen. Dass ihnen eine politische Bühne geboten wurde, lässt zwei Fragen offen. Sind die Redakteure im Hintergrund unfähig zu recherchieren, wen sie einladen? Oder ist der Einfluss dieser kleinen reaktionären Bewegung so groß, dass die Sender keinen anderen Ausweg sehen und sie einladen? Die Wahrheit wird wie immer irgendwo in der Mitte liegen. Profitieren könnten aber auch andere Religionsführer. Schon schicken sich die Dalai Lama-treuen Grünen an, den selbigen im Bundestag hören zu wollen. Gregor Gysi von der Linken sieht sogar die Notwendigkeit, Vertreter/innen aller Religionen – von Konfessionsfreien sprach er nicht – im Parlament sprechen zu lassen.6

Was aber bleibt vom Auftritt Ratzingers? War der Medienrummel gerechtfertigt? Sind die Bürger/innen gläubiger geworden? Nein, denn kaum hat Ratzinger Deutschland verlassen, herrscht dieselbe Tristesse wie vor dem Besuch: Kaum jemand interessiert sich noch für das, was die Amtskirche tut oder was sie will. Die Missbrauchsfälle bleiben unaufgeklärt, die Kirchen erhalten weiterhin Milliarden vom Staat und die Basis rebelliert. Dennoch zeigt der Besuch, wie schlecht es um unsere Demokratie bestellt ist. Das politische Establishment – von links nach rechts – arbeitet dem Papst nach wie vor zu und erweist einem Antidemokraten die Ehre. Die Aufgabe der Konfessionslosenverbände muss es sein, durch Lobbyarbeit dafür zu sorgen, dass den Politiker/innen klar wird, dass diese Politik keineswegs allen Menschen gefällt. Die Gegendemonstrationen waren somit ein guter Anfang. In diesem Sinne, Geschichte wird gemacht!

Anmerkungen:

1 Angela Merkel zum Papstbesuch in Deutschland, http://www.youtube.com/watch?v=0RIEUZ kuMBY (Zugriff: 3.10.2011).
2 KNA: „Eindrucksvoll und klug“, http://www.katholisch.de/Nachricht.aspx?NId=7135 (Zugriff: 3.10.2011).
3 Jakob Augstein: Papa ist der Beste, http:// www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,787711 ,00.html (Zugriff: 3.10.2011).
4 Andrea Dernbach: Höchster und höchste Richter (Zugriff: 3.10.2011).
5 Erzbischof Zollitsch würdigt Bundesverfassungsgericht, http://www.erzbistum-freiburg.de/html/aktuell/aktuell_u.html?t=&&artikel=13406&m=1 9781&stichwort_aktuell= (Zugriff: 3.10.2011).
6 Gregor Gysi zur Papstrede im Bundestag, http://www.youtube.com/watch?v=Eab10Eg7NP Y, (Zugriff: 3.10.2011).