Zündfunke | Veröffentlicht in MIZ 4/23 | Geschrieben von Redaktion MIZ

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Feuerbach-Preis

Eine direkte Linie von Ludwig Feuer­bach über Karl Marx bis Gerhard Czermak zu ziehen, mag (vor allem denen, die den langjährigen Ver­waltungs­richter kennen) unmöglich erscheinen, und doch gelang es Laudator Michael Schmidt-Salomon auf sehr elegante Weise. Denn niemand, so meinte er in seiner Rede, verkörpere den Übergang von der „Kritik der Religion in die Kritik des Rechts“ (welchen Marx in der Vorrede zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie konstatiert) in Deutschland stärker als Gerhard Czermak. Wer die „weltanschauliche Schieflage des deutschen Rechtssystems“ erfassen wolle, müsse „den Czermak-Felsen erklimmen“ – sich also in dessen juristisches Schrifttum einlesen.

Zu Beginn des Festaktes hatte der Vorsitzende des Bundes für Geistes­freiheit (bfg) Augsburg Gerhard Rampp darauf hingewiesen, welchen Anteil Gerhard Czermak am Aufbau des Ortsverbandes hatte, und an dessen Buch Christen gegen Juden erinnert. So erfolgreich diese Frucht seines religionskritischen Denkens auch war, die politisch wirksamsten Texte Gerhard Czermaks sind seine zahlreichen Gutachten zu juristischen Ausein­andersetzungen der letzten 25 Jahre. Durch seine Stellungnahme im bayerischen Kruzifixstreit 1995 (in der Laudatio leider nicht erwähnt) sowie die Unterstützung der Klage gegen das Tanzverbot an sog. Stillen Tagen und seine gegenwärtige Mitarbeit im Institut für Weltanschauungsrecht hat er sich, wie Michael Schmidt-Salomon es dann formulierte, als einer der „wichtigsten Vordenker einer säkularen Rechts­politik“ ausgewiesen. Deshalb habe er die Auszeichnung mit dem Ludwig-Feuerbach-Preis „im höchsten Maße verdient“.

Im Vorspann zu seiner Dankesrede bezeichnete sich Gerhard Czermak als „juristischer Außenseiter“. Immer wieder habe er sich gefragt, ob seine Arbeit überhaupt irgendeine Wirkung zeige. Umso mehr freue er sich über die späte Ehrung. Danach gab er einen kurzen Abriss der Entwicklung des Weltanschauungsrechts in der Bundesrepublik Deutschland. Auch wenn einige Veränderungen festzu­stellen seien, so Czermak, sei das „Neutralitätsgebot ... immer noch unerfüllt“.
Was vielleicht auch darauf hindeuten könnte, dass sich die Positionen auch eines wissenschaftlichen Außenseiters, wenn sie etwas taugen, manchmal halt doch durchsetzen: Sehr früh verwendete Gerhard Czermak in seinen Texten den Begriff „Weltanschauungsrecht“ (während „das Fach“ noch weitestgehend von „Staatskirchenrecht“ sprach). Heute ist die Bezeichnung „Weltan­schauungsrecht“ fest etabliert.

Konferenz in Paris

Am 8. und 9. Dezember – letzterer der Jahrestag der Verabschiedung des Gesetzes zur Trennung von Staat und Kirche von 1905 – fand in Paris eine internationale Konferenz statt. Unter dem Slogan, den Laizismus in das Weltkulturerbe der UNESCO aufzunehmen, versammelten sich Atheisten und laizistische Aktivistinnen aus aller Welt. In gewisser Weise war die Tagung eine Nachfolgeveranstaltung zu Celebrating Dissent (diese hatte im August 2022 in Köln stattgefunden). Dies­mal ging die Initiative von Laïques sans frontières, einer Vereinigung unter dem Vorsitz der französisch-tunesischen 
Filmemacherin und säkularen Aktivis­tin Nadia El Fani, und von Maryam Namazie vom Rat der Ex-Muslime in Groß­britannien aus. Am Ende Ver­anstaltung wurde ein Pariser Appell verabschiedet, der die Einführung des Laizismus in allen Ländern der Welt fordert.

Eine von der MIZ-Redaktion erstellte Übersetzung hier:

Pariser Appell

Laizisten aller Länder vereinigt euch!

Weil wir es ablehnen, dass die Religion der Stadt (der „Polis“) ihr Recht diktiert und bekräftigen, dass die Trennung von Religionen und Staat die Rechte aller schützt, unabhängig von ihren persönlichen Überzeugungen, seien sie Atheisten, Gläubige oder Agnostiker...

Weil wir jede Art von Diskriminierung und Rassismus im Namen einer alle umfassenden Menschlichkeit ablehnen...

Weil wir gegen Obskurantismus, Funda­mentalismus und Kommunitarismus käm­pfen...

Weil wir der Meinung sind, dass das Recht, anders zu sein, nicht dazu führen darf, dass Menschen unterschiedliche Rechte haben...

Weil wir jegliche Form von Gewalt oder Einschränkung der freien Meinungs­äußerung auf das Schärfste verurteilen...

Weil wir den Zugang aller zu Wissen und zu einer vernunftorientierten und emanzipatorischen Bildung fordern ...

Weil wir den Werten Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit zutiefst verbunden sind...

Weil wir für eine Welt des Friedens eintreten, in der die Vernunft Vorrang vor Überzeugungen hat und universalistische und humanistische Grundsätze anerkannt werden...

Weil Laizität nicht mit der Säkularisierung der Gesellschaften verwechselt werden darf, fordern wir das Recht auf Gewis­sens­freiheit...

Wir haben uns am 9. Dezember 2023, dem 75. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und dem Jahrestag des französischen Gesetzes über die Trennung von Staat und Kirche, zusammengefunden, und den Pariser Appell verabschiedet. Die Laizisten aller Länder rufen wir auf, sich ihm anzuschließen:

  1. Die Förderung der Laizität als des Grundprinzips der Demokratie, des Pluralismus und der universellen Rechte und Freiheiten in allen Gesellschaften.
  2. Die vollständige Trennung von Religionen und Staat in den politischen Strukturen und Systemen, insbesondere in der Gesetzgebung, im Justizwesen, im Bildungs- und Gesundheitswesen und im gesamten öffentlichen Dienst.
  3. Die Abschaffung restriktiver, auf Religion oder Kultur basierender Gesetze im Zivil-, Straf- und Familienrecht. Wir lehnen alle Vorschriften und Praktiken ab, die den Frauen auferlegt werden und deren Würde verletzen oder ihnen das Recht auf körperliche Autonomie verweigern.
  4. Das Recht auf Gewissens- und Meinungsfreiheit, einschließlich des Rechts, die Religion zu wechseln oder keine Religion zu haben, sowie die Abschaffung der Straftatbestände der Blasphemie und der Apostasie.
  5. Gleichstellung von Frauen und Männern und Bürgerrechte für alle.
  6. Die Verteidigung von Dissidenten, die vom Staat oder der Gesellschaft wegen ihres Glaubens oder ihrer Überzeugungen bedroht werden.
  7. Das Recht aller Menschen, nach ihrer freien Entscheidung zu leben und zu lieben.

Kritik der Gegenaufklärung

Die Standardperspektive auf die Aus­ein­andersetzung über „Wokeness“ und Identitätspolitik war lange Zeit, dass sich linke Verteidiger von Min­der­hei­ten­rechten und rechte Vertreter der „Mehrheits-“ oder „Dominanz­gesell­schaft“ gegenüberstehen. Eine breit besetzte Podiumsdiskussion in Frank­furt am Main Ende November gab Denk­anstöße, dass die Konfliktlinien möglicherweise etwas anders verlaufen.

Eingeladen zur Veranstaltung “Die Woken und die Rechten: Zwei Fäuste für die Gegenaufklärung?” im Saalbau Gutleut hatte der Verein für konstruktiven Sozialismus. Auf dem Podium saßen neun Leute, die durchaus unterschiedliche politische Richtungen repräsentierten. Gemeinsam war ihnen allerdings die Einschätzung, dass „die Woken und die Rechten“ bei genauerer Betrachtung in einigen grundlegenden Politikauffassungen gar nicht so weit auseinanderliegen.

Die Debatte fand, wie Co-Modera­to­rin Judith Faessler in ihrem Ein­gangs­statement festhielt, vor dem Hintergrund einer statt, die kurz zuvor durch die Sozialen Medien geschwappt war. Darin hatte der Al Qaida-Gründer seine Rechtfertigung für die Anschläge vom 11. September 2001 geliefert, und junge TikTok-User:innen hatten daraufhin die holzschnittartige Einteilung der Welt in „gut“ und „böse“ zur Bewertung des Kriegs im Gazastreifen verwendet.

Sinan Kurtulus, der in seiner wöchentlichen YouTube-Show Sinans­Woche bereits mehrfach zu Fragen „linker“ Identitätspolitik Stellung bezogen hatte, verglich „Wokeness“ mit einer Autoimmunerkrankung. Wie das Immunsystem eine sinnvolle Funktion erfülle, sei auch der Ansatz, wachsam gegenüber Diskriminierung zu sein, sinnvoll. Wenn die Aktivitäten jedoch dahin umschlügen, dass jede Kritik am eigenen Ansatz reflexartig attackiert werde, ohne sich damit inhaltlich auseinanderzusetzen, überwögen die negativen Auswirkungen auf die Gesellschaft und den politischen Diskurs. Der So­zial­wissenschaftler Holger Marcks verwies darauf, dass die „Subalternen“ (also die von Teilhabe weitgehend Ausgeschlossenen) sich interessanterweise von den Parteien, die sich identitätspolitischen Positionen geöffnet haben, nicht repräsentiert fühlten. Und auch Jörg Finkenberger, Mitherausgeber der Zeitschrift Das Grosse Thier, meinte, dass mittlerweile nur noch der „Sound“ einer ursprünglich authentischen Bewegung aufgegriffen und für eigene Zwecke – und das heißt wohl nicht zuletzt die eigene akademische Karriere – genutzt werde.

Dass mehr als die Hälfte derer, die auf dem Podium saßen, Mitglied in der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissen­schaf­ten (GWUP) waren, legt einen Zusammen­hang der Veranstaltung mit dem Kon­flikt in der Skeptiker-Orga­nisation nahe, wie Critical Studies und der damit verbundene Aktivismus einzuschätzen seien. Während sich innerhalb des Vereins immer stärker eine autoritäre Vereinsführung durchsetzt (das geht bis dahin, dass offen der Gleich­behandlungsgrundsatz infrage gestellt wird), schaffen Vereinsmit­glieder, die diese Entwicklung kritisch sehen, neue Strukturen. So hat der Wissen­schaftsrat eine eigene Web­seite eingerichtet. In der Pause der Podiums­diskussion gab zudem der langjährige GWUP-Vorsitzende Amardeo Sarma die Gründung des Informations­netz­werkes bekannt. Auch dort soll ein skeptischer Blick auf fragwürdige Gesellschaftstheorien und sich daraus ableitende politische Konzepte geworfen werden.

Der Text basiert auf einem umfangreicheren Bei­trag aus dem Humanistischen Pressedienst, in dem zu allen Statements etwas gesagt wird.

Die Veranstaltung ist auch auf Video dokumentiert.