Thomas Biebricher: Geistig-Moralische Wende. Die Erschöpfung des deutschen Konservativismus. Verlag Matthes&Seitz, Berlin 2019. 318 Seiten, gebunden, Euro 28.-, ISBN 978-3-95757-608-8
Müsste man den derzeitigen Zustand des deutschen Konservativismus umschreiben, so ließe sich dies mit dem Begriff „desolat“ vielleicht am ehesten tun. Die Volkspartei CDU ist längst ein Schatten ihrer selbst, kaum noch in der Lage auf aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen eine zufriedenstellende Antwort zu finden – von Lösungen ganz zu schweigen.
Der Politikwissenschaftler Thomas Biebricher scheint sich um den Zustand der CDU ernsthaft Sorgen zu machen und hat nun eine Studie vorgelegt, in welcher er die, wie er es nennt, (inhaltliche) „Erschöpfung“ des Konservativismus auf den Grund gehen möchte. Diese, so stellt der Autor fest, sei nicht der Kanzlerschaft Angela Merkels anzulasten, wenngleich der, wie er es nennt, „inhaltlich verschlankte Prozeduralkonservativismus“ den meisten ebenso in Erinnerung bleiben wird, wie die Flüchtlingskrise von 2015.
Tatsächlich liegen die Gründe für die schleichende „Austrocknung“ und „Erschöpfung“ des deutschen Konservativismus viel tiefer, nämlich im Anspruch des Konservativismus selbst. Charakteristisch für den Konservativismus sei es, so Biebricher, mitten in Prozessen gesellschaftlichen Wandels Althergebrachtes zu verteidigen. „Genau genommen ist es nämlich nicht das Bestehende, um dessen Erhalt der Konservatismus kämpft, sondern das Vergehende. Er regt sich typischerweise erst in dem Moment, in dem Traditionsbestände gefährdet und vermeintlich gewachsene Gesellschaftsstrukturen in Auflösung begriffen sind.“ Stellvertretend hierfür steht überraschenderweise Helmut Kohl, der Vater der so genannten „geistig-moralischen Wende“. Nicht nur, dass Kohl im weitesten Sinne seinem Anspruch auf eine „geistig-moralische Wende“ nicht gerecht wurde. Die inneren und äußeren Bedingungen, allen voran der demografische Wandel, das Verschwinden des real existierenden Sozialismus und die Neoliberalisierung, trugen zum schleichenden Niedergang des deutschen Konservativismus bei.
Biebrichers Sorge gilt jedoch nicht allein der Sorge, was aus der CDU geworden ist, sondern auch, wie lange die CDU dem immer stärker werdenden autoritär-völkischen Konservativismus in Europa sich wird entgegenstellen können. Seine Sorge wird nicht zuletzt durch die weltweite Entwicklung, sei es nun die Vereinigten Staaten, Brasilien, Polen oder auch Ungarn bestärkt.
Biebrichers Studie ist unterhaltsam geschrieben und bietet sowohl einen systematischen, einen ideengeschichtlichen und parteipolitischen Überblick zum Thema. Was das Buch interessant macht, ist, dass der Autor eben kein populäres Merkel-Bashing betreibt, sondern die Ursache für den Niedergang systematisch offenlegt.