Attraktiv für Arbeitnehmer ist Leiharbeit also nicht, dennoch haben viele keine andere Wahl. Der Gang zu einer Zeitarbeitsfirma ist oftmals der letzte Rettungsanker vor dem Bezug von Hartz IV und drohender Dauerarbeitslosigkeit. Das weiß man auch bei der vom frommen Christen Frank Jürgen Weise geführten Bundesagentur für Arbeit. In den höchsten Tönen wird in den Broschüren der Bundesagentur die Zeitarbeit gelobt und Zeitarbeitsfirmen werden tatkräftig bei ihren Rekrutierungsbemühungen mit Empfehlungen und Lohnzuschüssen unterstützt. Hauptsache man bekommt die Leute irgendwie raus aus der Arbeitslosenstatistik.
Es war der damalige Superminister für Wirtschaft und Arbeit Wolfgang Clement (immer noch SPD), der für Mini-Jobs, Niedriglohn und Zeitarbeit kämpfte. Clement, der heute selbst für eine Zeitarbeitsfirma arbeitet, hat maßgeblich durch Gesetzesänderungen dazu beigetragen, dass die Zeitarbeit in Deutschland einen derartigen Aufschwung erfahren konnte. So können Zeitarbeitsunternehmen Personen nun auch unbeschränkt bei sich selbst beschäftigen, was vorher nur befristet möglich war. Bedingung für die für Unternehmen positiven Gesetzesänderungen war allerdings der Abschluss eines Tarifvertrages. Für den Fall, dass keine Tarifverträge zustande kommen sollten, war das Prinzip „Equal Pay – Equal Treatment“ vorgesehen – für Leiharbeiter hätten dann die gleichen Arbeitsbedingungen wie für die Stammbelegschaft gegolten, sie hätten die gleiche Bezahlung erhalten. Die Ausgangslage für die Gewerkschaften war also eigentlich ideal. Jedoch hatten die Gewerkschaften des DGB nicht damit gerechnet, dass Ihnen der Christliche Gewerkschaftsbund Deutschlands (CGB), ein Zusammenschluss von 15 christlichen Einzelgewerkschaften, zuvorkommen sollte. Da in Deutschland nicht geregelt ist, wer oder was genau als Gewerkschaft gilt, kann der Arbeitgeber entscheiden, mit wem er verhandeln möchte. Der erste flächendeckende Tarifvertrag für die Zeitarbeitsbranche wurde somit 2003 nicht vom DGB geschlossen sondern von der Tarifgemeinschaft der Christlichen Gewerkschaften Zeitarbeit und PSA (CGZP) mit der Interessengemeinschaft Nordbayerischer Zeitarbeitsunternehmen (INZ). Die geradezu grotesk arbeitgeberfreundlichen Vereinbarungen hatten in der Folge unmittelbaren Einfluss auf die Verhandlungen des DGB mit dem Bundesverband Zeitarbeit (BZA) und dem Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen e.V. (iGZ). Die DGB-Gewerkschaften sahen sich gezwungen, viele Verhandlungspositionen aufzugeben oder aufzuweichen, da die iGZ gedroht hatte, ansonsten ebenfalls mit dem CGB zu verhandeln. Die direkte Folge des Wirkens der CGD war, dass die Bezahlung der Arbeiter in der Zeitarbeitsbranche heute zumeist deutlich schlechter ist als vor der Einführung der Tarifverträge. So verdient derzeit ein ungelernter Arbeiter nach dem Tarifvertrag mit der CGB in den ersten sechs Monaten seiner Beschäftigung 6,34 Euro und danach 7 Euro. Im Osten der Republik verdient ein solcher Arbeitnehmer sogar nur 5,70 Euro und nach sechs Monaten 5,77 Euro. Aber auch die Entlohnung bei den Tarifverträgen mit dem DGB liegt kaum höher (7,15 Euro West und 6,22 Euro Ost). Die christlichen Gewerkschaften haben somit wesentlich dazu beigetragen, dass in Deutschland gewerkschaftlich ausgehandelte Hungerlöhne existieren, von denen kaum jemand leben kann. So sind viele der in der Zeitarbeitsbranche beschäftigten Arbeitnehmer darauf angewiesen, zusätzlich Hartz IV zu beantragen, um sich und ihre Familie durchbringen zu können. Auf diesem Umwege finanziert der Staat also auch noch die Gewinne der Zeitarbeitsunternehmen mit, die oftmals kein Problem damit haben, Arbeiter, die bemängeln, nicht von ihrem Lohn leben zu können, ans Amt zu verweisen. Hinzu kommt noch, dass die Zeitarbeitsbranche besonders aktiv ist, wenn es darum geht, finanzielle Hilfen von der Bundesagentur für Arbeit einzustreichen. So ist es durchaus nicht unüblich, dass bei Arbeitnehmern über 50 die Bundesagentur auch noch für die ersten zwölf Monate rund die Hälfte des Lohnes dazuschießt. Es ist also kein Wunder, dass die Bilanzen der Zeitarbeitsunternehmen blendend aussehen.
Es liegt auf der Hand, dass die DGB-Gewerkschaften mit der beschriebenen Situation alles andere als glücklich sind. Insbesondere das Verhalten der CGB ist dem DGB ein Dorn im Auge. Es ist für die großen Arbeitnehmervertreter überaus problematisch, von den ansonsten gesellschaftlich unbedeutenden christlichen Gewerkschaften immer wieder unterboten zu werden. Die christlichen Gewerkschaften unterlaufen nämlich nicht nur in der Zeitarbeitsbranche die Interessen von Arbeitnehmern. Immer wieder werden durch eigene Tarifverträge geltende Löhne bestehender Tarifverträge unterboten. So wurden die Mindestlöhne im Baugewerbe von 10,30 Euro durch einen Tarifvertrag für den Trockenbau zwischen der CGB Gewerkschaft Trockenbau Ausbau (GTA) und dem Arbeitgeberverband mit 6,47 Euro West bzw. 5,22 Euro Ost massiv unterboten. Völlig zu Recht kritisieren SPD und DGB den CGB, dass er sich für Dumpinglöhne instrumentalisieren lasse.
Zusätzlich stellt sich beim CGB die Frage, wie er eigentlich legitimiert ist? Fakt ist, dass der CGB mit nach eigenen Angaben rund 280.000 Mitgliedern deutlich weniger Mitglieder hat als die DGB-Gewerkschaften. Hinzu kommt, dass diese Mitgliederzahlen ausgesprochen fragwürdig und vermutlich viel zu hoch sind, wie die Recherchen des Fernsehmagazins Panorama zeigten (Sendung vom 22.2.2007). Dafür spricht auch, dass dem Verband ein kleines Büro in der 4. Etage eines Mehrfamilienhauses in Berlin offenbar ausreicht. Dank einer Reportage des ARD-Magazins Report Mainz (Sendung vom 10.12.2007) wurde zudem bekannt, dass beispielsweise eine Wuppertaler Personalagentur als Arbeitgeber Mitglieder für die CGB-Gewerkschaft Tarifgemeinschaft Christliche Gewerkschaften Zeitarbeit und PSA (CGZP) warb. Der Beitritt zur Gewerkschaft war in diesem Fall Teil des Arbeitsvertrags und der Beitrag wurde direkt vom Lohn abgezogen.
Der DGB hatte daher auch versucht, dem CGB wegen der eklatanten Mitgliederunterschiede die Tariffähigkeit gerichtlich absprechen zu lassen, bislang jedoch ohne Erfolg. Rückendeckung erhält der CGB jedoch nicht nur von der deutschen Justiz. Auch in der Politik hat der CGB einflussreiche Freunde. Dazu zählen unter anderen der saarländische Ministerpräsident Müller (CDU) und der thüringische Ministerpräsident Althaus (CDU). So erklärte Althaus auf die Recherchen von Panorama angesprochen: „Ich bin auch deshalb in der christlichen Gewerkschaft, weil ich glaube, dass wir weitestgehend versuchen müssen, mit Konsensverhandlungen zum Erfolg zu kommen. Und ich will auch gerne sagen: Wir brauchen auch die Vielfalt der gewerkschaftlichen Interessenvertretung, damit auch durch die Vielfalt deutlich wird, dass es unterschiedliche Positionen auch auf Arbeitnehmerseite gibt.“
Die Chancen stehen also gut dafür, dass der CGB sich auch weiterhin flächendeckend für niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen einsetzen kann. Beim CGB selbst sieht man dies selbstredend anders. Auf ihrer Homepage verkündet die Gewerkschaft stolz: „Die Christlichen Gewerkschaften in Deutschland arbeiten seit über 100 Jahren für das Gemeinwohl auf der Basis der christlichen Soziallehre“ und den Vorwürfen von Panorama entgegnete man selbstbewusst: „Unsere Tarifarbeit kann sich sehen lassen!“ Dem kann man sich anschließen – aber nur wenn man Arbeitgeber ist und ein Interesse an niedrigen Löhnen hat.
Informationen: Was ist Zeitarbeit?
Arbeitnehmer werden nicht direkt bei der Firma angestellt, bei der sie ihre Arbeit verrichten, sondern bei externen Zeitarbeitsfirmen. Diese „Personaldienstleister“ entsenden ihre rekrutierten Arbeitnehmer dann zu Firmen, die gerade Bedarf haben. Das Ziel der Zeitarbeitsfirmen ist die Gewinnerzielung. Der vom entleihenden Betrieb bezahlte Betrag muss also höher sein als die von der Zeitarbeitsfirma gezahlten Gehälter. Die Personaldienstleister haben also ein besonderes Interesse daran, geringe Löhne zu zahlen, um ihren Ertrag zu steigern.