Prisma | Veröffentlicht in MIZ 3/21 | Geschrieben von Hans Peter Riegel

„Beuys taugt nicht als Galions­figur der deutschen Vergangenheits­bewäl­tigung“

Ein Gespräch mit Hans Peter Riegel über Kunst, Politik und Weltanschauung bei Joseph Beuys

Hans Peter Riegel legt zum 100. Geburtstag von Joseph Beuys den 
vierten Band seiner Biographie vor. Den Künstler Beuys liest Riegel gegen den Strich: als Anthroposophen mit reaktionären, esoterischen und rechtsgerichteten Einstellungen. Die MIZ-Redaktion sprach mit dem Autor und Medienkünstler über die Person hinter der schillernden, gefeierten Künstlerpersönlichkeit Joseph Beuys.

MIZ: Wie sehen Sie den Künstler Beuys? Warum haben Sie sich mit ihm beschäftigt und vier Bücher geschrieben?

Hans Peter Riegel: Ich hatte das Glück, Beuys bereits zu begegnen, als ich noch ein dreizehnjähriger Gymnasiast war. Später während der Jahre als Assistent von Jörg Immendorff hatte ich natürlich sehr häufig Gelegenheit, ihn zu erleben. Ich habe dann auch im Kunstwissenschafts-Studium über ihn gearbeitet. Letztlich war schon bei der Arbeit an der Immendorff-Biographie klar, dass ich anschließend über Beuys schreiben würde. Doch im Zuge der Recherchen stellte sich heraus, dass Beuys reaktionäres Gedankengut vertrat und sich gerne mit Altnazis umgab. Was ein ziemlicher Schock für mich war, weil ich Beuys im progressiven, linken politischen Spektrum verortet hatte.

MIZ: Sie haben einige Mythen entlarvt, die der medienaffine Künstler Beuys um sein Leben strickte. Welche waren das konkret?

Hans Peter Riegel: Das wäre nun wirklich eine lange Liste. Und die meisten Punkte sind ja durch die mediale Rezeption meiner Bücher bekannt. Verzeihen Sie mir also, wenn ich hier abkürze.

Im Grunde hat Beuys seine gesamte Biographie fiktional angelegt. Fast in jedem Punkt von seinem Geburtsort über seine angeblichen Kriegsheldentaten, seine erlogenen naturwissenschaftlichen Studien bis zu seiner vorgeblichen, künstlerischen Erweckung durch die Arbeiten Lehmbrucks hatte er nahezu alles, was er über seine Vita verbreitete, frei erfunden.

Zu Lehmbruck finden sich beispielsweise weder Verwandtschaften noch Verweise in seinem Werk. Selbst seine Erleuchtung durch Steiner hat er in diversen Versionen erzählt. Einmal sei diese durch den Rat eines jüdischen Mitschülers geschehen, den es nachweislich nie gab. Dann will er während der Soldatenzeit auf Steiner-Lektüre gestoßen sein. Ein anderes Mal im Bücherschrank einer Gastfamilie.
Beuys war, man muss es leider so sagen, ein notorischer Aufschneider.

MIZ: Welche Rolle spielten die Anthro­posophie und die Verehrung von Rudolf Steiner für Beuys und für seine Kunst?

Hans Peter Riegel: Der interessante Aspekt in der Betrachtung dessen, was Beuys in Steiner sah, ist die Sinnsuche des desillusionierten Hitler-Gläubigen. Mit Mehrheit seiner Generation einher gehend, wird Beuys in Hitler eine Erlöserfigur gesehen haben, die das nach dem Ersten Weltkrieg unterjochte deutsche Volk zu seinem eigentlich berechtigten, herausgehobenen, dem zentralen Platz der Weltgeschichte führen sollte. Beuys selbst hat dies in Interviews so beschrieben.

Steiner wiederum hatte exakt die gleiche Idee des deutschen Primats. Beuys fand in Steiner eine neue Leitfigur. Er saugte dessen Lehren geradezu auf und transformierte die weltanschaulichen wie auch die pseudowissenschaftlichen Ideen Steiners in seine Kunst. Praktisch alle Werkbereiche weisen diese Bezüge auf.
Vor allen sah Beuys in der Ver­mittlung der anthroposophischen Welt­anschauung seine wichtigste künstlerische Arbeit. Das Schaffen einer neuen Gesellschaft nach anthroposophischer Ordnung. Das war bei Beuys die „Soziale Plastik“ während Steiner vom „Sozialen Organismus“ sprach.

MIZ: Welche Auswirkungen hatte das für seine Positionierung als friedenspolitischer Aktivist innerhalb der Gründungsphase der jungen Grünen-Partei?

Hans Peter Riegel: Die Anthroposophie ist eine völkisch-reaktionäre, rassistische Weltanschauung, die nicht von ungefähr attraktiv für Rechte und so genannte Querdenker ist. Beuys agitierte als Bundestags-Kandidat für die rechtsgerichtete Aktion Unabhängiger Deutscher (AUD). Die AUD ging dann in den Grünen auf. Beuys war eine der zentralen Figuren dieser rechten, von Anthroposophen durchsetzten Kreise, die in der Gründungsphase der Grünen noch eine gewichtige Fraktion waren. Allerdings wurde diese Gruppierung und mit ihr Beuys zu einer Hypothek für die junge Partei, weshalb sie und mit ihr Beuys herausgedrängt wurde.

Schließlich ist der friedenspolitische Aktivist Beuys insofern Fiktion, als Beuys sich nie von seiner Kriegs­teilnahme und den Folgen von Hitlers Angriffskrieg distanziert hat. Noch in den späten siebziger Jahren sah man Beuys an Kameradschaftstreffen seiner Stuka-Einheit.

MIZ: Ihre Ausführungen, Beuys hatte Kontakte in nationalistische und völkische Kreise, hat keinen geringen als seinen Künstlerfreund Klaus Staeck dazu bewogen, Beuys in Schutz zu nehmen und Ihre Sicht zurückzuweisen.1

Was haben Ihre Recherchen der Archivalien gezeigt? Wer waren diese Personen? Um was ging es damals, mit welchen Interessen und Zielen?

Hans Peter Riegel: Ich konnte nachweisen, dass Beuys von Altnazis und NS-Profiteuren umgeben war und von ihnen gefördert wurde. Angefangen von seinem Schwiegervater, der Eugeniker und hochrangiger NS-Funktionär war. Der wegen NS-Verbrechen verurteilte Unternehmer Karl Ströher (Wella), war der wichtigste Sammler von Beuys, aber auch dessen Hauptfinancier, als Beuys noch nichts mit seiner Kunst verdiente. Auch der Beuys-Sammler Erich Marx war Mitglied der NSDAP gewesen. Der NS-Propagandist und rechtsgerichte Politiker August-Hausleiter war ein enger politischer Partner von Beuys. Den Nazi-Funktionär, anthroposophischen Pfarrer und Holocaust-Leugner Hans-Georg Haverbeck protegierte Beuys. Sein langjähriger Sekretär Karl Fastabend war SA- und SS-Mitglied gewesen.

Alles Zufälle? Wenn man die Reden von Beuys analysiert, die durchsetzt sind von rechten, völkischen Ideen, wohl kaum. Wenn Staeck Beuys in Schutz nimmt, dann meint er wohl mehr sich selbst vor der Einsicht schützen zu müssen, sich in mancher Hinsicht über seinen Freund getäuscht zu haben.

MIZ: Die aktuelle Ausstellung im DHM in Berlin setzt sich kritisch mit der ersten Documenta 1955 auseinander: den kulturpolitischen Interessen der jungen Bundesrepublik und der Konzeption / Inszenierung der Macher:innen sowie der Vergangenheit der Kuratoren.

Welche Rolle spielte Beuys? Wie setzte er sich mit dem Nationalsozialismus auseinander? Welche Position nahm er ein und wie prägte er die westdeutsche Nachkriegskunst?

Hans-Peter Riegel: Das sind verschiedene Fragen, die unterschiedliche Aspekte haben.

Man hat Beuys immer wieder zugeschrieben, er habe sich in und mit seinem Werk um Vergangenheitsbewältigung bemüht. Gerade jetzt wieder behaupten Kunsthistoriker, er habe sich mit dem Holocaust befasst. Tatsächlich kommt der Holocaust allenfalls in mikroskopischen Spurenelementen in seinem unüberschaubar weiten Oeuvre vor.

In seinen unzähligen Interviews hat er den Begriff ein einziges Mal erwähnt und zwar als er sich dagegen wehrte, seine Verwendung von Filz in eine Verbindung mit einer KZ-Anmutung zu bringen.

Beuys hat die zeitgenössische Kunst in Deutschland sicherlich geprägt, wie kaum ein anderer. Aber vor allem weil er die geltenden Regeln in Frage stellte, weil er das Tafelbild durch En­viron­ments und künstlerischen Aktio­nis­mus verdrängte, weil er jungen Künstlerinnen und Künstlern Vorbild in seiner anarchistischen Haltung war.

Doch Beuys taugt nicht als Galions­figur der deutschen Vergangenheits­bewäl­tigung. Das ist eine Fehl­inter­pretation, die früh einsetzte, weil man seine finsteren Environments nicht anders zu interpretieren vermochte. Tatsächlich setzte sich Beuys nicht in einer Arbeit vertieft mit der deutschen Vergangenheit auseinander. Was er tatsächlich wollte, das blieb dabei verborgen: eine andere, einer esoterischen Lehre folgende Gesellschaft in einem theokratischen Staatsgebilde.

MIZ: Was bleibt für Sie von Beuys nach Ihren Recherchen übrig? Wie viel bleibt von einem der ‘bekanntesten, deutschen’ Künstler des 20. Jahrhunderts und seiner so wenig elitären Definition „Jeder Mensch ein Künstler“? Wie sollte man ihn heute sehen?

Hans Peter Riegel: Beuys war zweifelsohne ein herausragender Künstler seiner Zeit. Dennoch wird sein Werk und Wirken bald nur noch historisches Phänomen sein. „Jeder Mensch ein Künstler – am sozialen Organismus“, wie der Satz eigentlich vollständig lautet, ist die Exegese eines reaktionären, anthroposophischen Weltbilds. Womit gerade heute eine gesellschaftlich problematische Außenseiterposition verbunden ist.

Für die junge Kunst-Generation, wenn sie ihn überhaupt wahrnimmt, ist Beuys ein gestriger Spinner. Auf die heutige Kunst ist Beuys ohne jeden Einfluss. Und das wird so bleiben.

Anmerkung

1 Auch mit weiterführende Links zur Gegenposition Staecks und anderer Verteidiger:innen Beuys’.