Viele katholische Bistümer gründeten Ende der 1940er, Anfang der 1950er Jahre Wohnungsunternehmen, bald folgten ein paar evangelische Akteure. Viele dieser Unternehmen nennen mittlerweile jeweils Tausende Wohnungen ihr Eigen. Journalistische Recherchen zu diesem Sektor hat es aber offenbar jedenfalls auf überregionaler Ebene kaum jemals gegeben, zumindest nicht in den letzten Jahrzehnten. Angesichts der Zustände auf den deutschen Wohnungsmärkten und der immer mal wieder zu beklagenden Verlogenheit kirchlicher Kreise liegt der Gedanke nahe, dass die soziale Rhetorik der kirchlichen Wohnungsunternehmen nicht die Realität in ihren Häusern abbildet.
Der Katholische Siedlungsdienst
Für eine grundsätzliche Feststellung ist gar nicht viel Recherche nötig: Bei den 45 der katholischen Soziallehre verpflichteten Mitgliedsunternehmen des Katholischen Siedlungsdienstes (KSD) müssen Immobilienprojekte, die nur mit Verlust umgesetzt werden können, die Ausnahme sein. Sie sind nun mal keine karitativen Einrichtungen, sondern formal normale Wirtschaftsbetriebe, meistens GmbHs. So schrieb mir KSD-Geschäftsführer Ulrich Müller im Dezember 2019:
„Bei den defizitären Projekten kann es sich nur um nicht verallgemeinerungsfähige Ausnahmen und Einzelfälle handeln, die nur mit Zustimmung des Aufsichtsgremiums und des Gesellschafters erfolgen können. Andernfalls würden Geschäftsführung und Aufsichtsgremien gegen ihre Pflichten verstoßen und sich der Gefahr der Untreue und der Verletzung der Aufsichtspflicht aussetzen. Zudem würden die Wirtschaftsprüfer dies mit einem negativen Prüfungsvermerk versehen.“
Der soziale Gehalt der KSD-Unternehmen – die nicht alle der Kirche gehören – gestaltet sich somit recht trivial: Relativ teure Wohnungen und der Verkauf von Eigenheimen sowie Eigentumswohnungen dienen dazu, woanders relativ günstige Mieten anbieten zu können. Sozial sind sie laut Müller immerhin dadurch, dass sie bei Modernisierungen normalerweise weniger Kosten auf die Mieten umlegten, als erlaubt wäre, und bei den Bestandsmieten „in der Regel im unteren Bereich des Mietspiegels“ lägen. Zudem führten die meisten KSD-Firmen keine Gewinne an die kirchlichen Institutionen ab, denen sie gehören.
Zunehmende Gewinnausschüttung
Eine Ausnahme bei letzterem ist mit der Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft (ASW) ausgerechnet das größte Wohnungsunternehmen der katholischen Kirche. Ihm gehören zusammen mit Tochterunternehmen rund 20.000 Wohnungen vor allem in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Berlin. Die ASW hat seit den frühen 2010er-Jahren – und somit parallel zum Anwachsen der deutschen Wohnungskrise mit Demonstrationen und Debatten allerorten – die jährlichen Gewinnausschüttungen an seine sechs westdeutschen Bistümer nach und nach von 3 Millionen Euro auf zuletzt 7,2 Millionen Euro erhöht. Dabei sind die Jahresgewinne rückläufig: Nachdem sie in den 2010er-Jahren mehrmals über 40 Millionen Euro gelegen hatten, waren es 2021 und 2022 keine 30 Millionen mehr. Was davon nicht ausgeschüttet wird, geht in die Gewinnrücklagen und mehrt so den Wert des Unternehmens und den Reichtum seiner Eigner. Die Eigenkapitalquote der ASW liegt seit 2017 zwischen 64 und 67,5 Prozent, und damit viel höher als bei einigen der anderen kirchlichen Wohnungsunternehmen.
Das Anwachsen des Eigenkapitals ist auch bei etlichen der anderen Firmen festzustellen. Dass sie keine Gewinne ausschütten, bedeutet also nicht, dass sie keine machen oder sie für etwas Soziales verwenden. Sie legen die Jahresüberschüsse schlicht aufs Sparkonto, wo sie jederzeit für einen beliebigen Zweck reaktiviert werden können.
Ein pseudosoziales Wohnungsunternehmen
So ist es auch bei der Hilfswerk-Siedlung GmbH (HWS), dem Wohnungsunternehmen der evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg, das zugleich eines der beiden größten der deutschen evangelischen Kirche ist. „Bis vor ungefähr 20 Jahren hatten wir faktisch ein Negativeigenkapital von etwa 30 Millionen Euro“, sagt Marco Nadig, Abteilungsleiter Rechnungswesen und Finanzen, im Jahresbericht 2022. Nun betrage das Eigenkapital rund 70 Millionen Euro, womit die Firma „sehr solide aufgestellt“ sei.
100 Millionen Euro in 20 Jahren angespart – das ging nicht mit niedrigen Mieten. Die Durchschnittsmiete in den 4800 eigenen Wohnungen, die sich zum allergrößten Teil in Berlin befinden, lag 2022 bei 7,22 Euro nettokalt pro Quadratmeter. Das ist heutzutage in der Hauptstadt nicht hoch, aber höher als bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen, die wiederum noch höhere Durchschnittswerte haben als manche Genossenschaft.
Die HWS brüstet sich mit den (ehemaligen) Sozialwohnungen, die rund ein Drittel ihres Bestands ausmachen – aber bei ihnen lag die durchschnittliche Miete 2022 bei 7,60 Euro nettokalt pro Quadratmeter. Es ist zumindest in Berlin seit Jahren ein bekanntes Phänomen, dass ehemalige Sozialwohnungen überdurchschnittlich teuer sind. Das liegt am Finanzierungsmodell: Die Firmen durften früher zu egal welchen Kosten bauen und erhielten dann eine zeitlich begrenzte Subvention der Miete vom Land Berlin. Wenn die Subvention ausläuft, dürfen sie gemäß bestimmter Finanzierungsgrundsätze die sogenannte „Kostenmiete“ verlangen, und die ist oft ziemlich hoch. So berichtete das Mitgliedermagazin des Berliner Mietervereins im September 2023 von einem Wohnungsangebot der HWS im randständigen Stadtteil Spandau – wohin Leute aus der Innenstadt gewöhnlich nur ziehen, wenn ihnen nichts anderes übrig bleibt –, bei dem ein Wohnberechtigungsschein verlangt wurde (der ein Anrecht auf eine niedrige Miete bescheinigt) und trotzdem eine Miete über 11 Euro pro Quadratmeter angesetzt wurde. Auf die Frage der Zeitschrift, wer sich das leisten können soll, entgegnete die HWS, „dass die Miete exakt der Wirtschaftlichkeitsberechnung im Sozialen Wohnungsbau entspricht“.
Die HWS ist in Berlin kaum bekannt und wird in Medien gewöhnlich als sozial bezeichnet. Doch ihr Geschäftsführer Jörn von der Lieth setzt sich seit Jahren massiv gegen die Vergesellschaftung der Wohnungsbestände großer Immobilienfirmen ein, die 2021 per Volksentscheid beschlossen wurde, vom Berliner Senat aber offen abgelehnt wird (so dass es bald zu einem zweiten Volksbegehren in der Sache kommen wird). Das liegt nicht zuletzt daran, dass die HWS selbst von der Enteignung betroffen wäre. Sie behauptet demgegenüber, kein normales Wohnungsunternehmen zu sein, und verlangt für sich eine Ausnahme. Der Berliner Jura-Professor Christian Waldhoff präsentierte 2019 sogar ein umfangreiches, von der HWS bestelltes Gutachten, in dem er nicht nur behauptete, dass Berlins Landesverfassung die Anwendung von Artikel 15 des Grundgesetzes („Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden“) verhindere, sondern auch: „Die Vergesellschaftung eines privaten Wohnungsunternehmens mit religiösem Selbstverständnis verletzt das Grundrecht der Religionsfreiheit.“
Formal ist die HWS aber schlicht eine GmbH, die ihre Gewinne nicht ausschüttet, sondern anspart. Sie mag sozialer sein als so manche andere Wohnungsmarktakteure. Aber es gibt auch Leute, die Gegenteiliges berichten. Demzufolge berechnete die Firma 2021 einem Haushalt die Kosten der Installation der gesetzlich vorgeschriebenen Rauchmelder, was nicht erlaubt ist. Und in der Wohnanlage der evangelischen Stiftung Hospitäler zum Heiligen Geist und St. Georg in Berlin-Wedding, wo 440 Wohnungen für bedürftige alte Menschen vorgesehen sind, fällt die HWS seit Jahren als rabiate Hausverwaltung auf, die daran beteiligt ist, den Menschen die Erfüllung grundlegender sozialer Bedürfnisse zu verwehren, vor allem das nach Nachbarschaftstreffen in einem extra dafür vorgesehenen Raum. Der Vorsitzende der besagten Stiftung, die alte Leute in die Verzweiflung treibt, ist mit Martin Kirchner übrigens der Superintendent des evangelischen Kirchenkreises Berlin-Nordost.
Die meisten Missstände liegen wohl noch im Dunkelfeld
Die Wohnungsvermietung durch kirchliche Akteure ist ein breites Feld. Auch viele einzelne Gemeinden tun es. Ob dabei die Miete hoch oder niedrig ist, die Reaktion auf Beschwerden prompt oder verspätet erfolgt, die Instandhaltung gut erledigt oder vernachlässigt wird, hängt wohl vor allem vom örtlichen Personal ab und lässt sich kaum auf überregionaler Ebene analysieren. Fakt ist aber, dass es auch bei kirchlichen Wohnungsunternehmen Missstände gibt, die nicht nur ihrem ethischen Anspruch entgegenstehen, sondern generell kritisiert gehören. So sorgt gerade die Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft seit Jahren in Köln und Düsseldorf mit großen Sanierungsprojekten und den folgenden Mieterhöhungen in ganzen ehemaligen Sozialsiedlungen für Angst und Schrecken. Für die gewöhnliche Instandhaltung hingegen reichen, gelinde gesagt, ihre Kapazitäten oft nicht aus.
Bei manchen direkt kirchlichen wie auch bei Wohnungsunternehmen oder Stiftungen aus dem kirchlichen Umfeld ist klar zu sehen, dass sie ihre Bestände nicht primär nach sozialen Gesichtspunkten verwalten oder erweitern. Für politisches Engagement in den großen wohnungspolitischen Debatten unserer Zeit sind sie sowieso nicht bekannt – außer im erwähnten Berliner Fall, wo ein de facto Kirchenfunktionär sich der Verharmlosung der Zustände verschrieben hat. Wohnen bei der Kirche – ein Dunkelfeld, aus dem wahrscheinlich noch viel ans Licht gezogen werden kann.