Staat und Kirche | Veröffentlicht in MIZ 4/23 | Geschrieben von Gunnar Schedel

Die Kreuze bleiben… vorerst

Bundesverwaltungsgericht weist Klagen zurück

Das Bundesverwaltungsgericht hat im Dezember 2023 entschieden, dass der Södersche „Kreuzerlass“ aus dem Jahr 2018 in Kraft bleiben kann (BVerwG 10 C 3.22). Die Anordnung der Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaates Bayern (AGO, § 28), im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes gut sichtbar ein Kreuz anzubringen, verletze keine Rechte der Kläger. Nun wird sich das Bundesverfassungsgericht mit der Sache beschäftigen müssen, denn zumindest der Bund für Geistesfreiheit (bfg) München hat diesen Schritt bereits angekündigt.

Die entscheidende inhaltliche Aussage zum Streitfall findet sich bereits im Urteil der Vorinstanz: Zwar hatte auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) die Klagen zurückgewiesen, doch immerhin festgestellt, dass ein Verstoß gegen die objektiv-rechtliche Verpflichtung des Staates zur weltanschaulich-religiösen Neutralität vorliege. Dass die Klagen des bfg Bayern und des bfg München trotz dieser Einschätzung erfolglos blieben, lag an der Auffassung des VGH, dass ein „objektiv-rechtliches Verfassungsprinzip ... als solches keine einklagbaren subjektiven Rechte der Kläger als Welt­anschauungsgemeinschaften“ begründe (die Klagen der 25 Einzel­personen wurden wegen fehlender Klage­berech­tigung abgewiesen – vgl. MIZ 3/22).

Wer nun gehofft hatte, dass ein 
außerbayrisches Gericht anders urteilen würde, sah sich getäuscht. Nach der mündlichen Verhandlung am 14. Dezember erschien der Ausgang des Verfahrens Beobachtern durchaus noch ungewiss. So schrieb Legal Tribune Online, es „könnte spannend werden“ und verwies auf die unterschiedlichen Tendenzen, die sich in den Fragen der fünf Richter:innen widergespiegelt habe und auf die Tatsache, dass die Urteilsverkündung eigentlich für denselben Tag vorgesehen war, dann aber in die darauffolgende Woche verschoben wurde. Zudem habe sich der Revisionssenat in einer zentralen Frage diskussionsbereit gezeigt, die vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof noch rundweg verneint worden war: ob das Neutralitätsgebot auch subjektive Rechte vermittle und Gruppen wie der bfg eine Art „Wächterrolle“ einnehmen könnten.1

Dann blieb aber doch alles beim Alten: Nach der Urteilsverkündung war klar, dass auch das Bundesverwaltungs­gericht davon ausgeht, dass das Neutralitätsgebot den Staat im konkreten Fall zu nichts verpflichtet. Zum einen handele es sich bei der Geschäfts­ordnung um eine „bloße Verwaltungs­vorschrift ohne rechtliche Außenwirkung“, weshalb sie „keine Rechte der Kläger“ verletze. Zum anderen seien die gemäß dem Kreuzerlass angebrachten Kreuze zwar als Symbol des christlichen Glaubens zu sehen, verletzten aber trotzdem „die Kläger ... in keiner eigenen von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG umfassten Freiheitsgewährleistung. Insbesondere genießen die Kläger als kollektive Grundrechtsträger keinen Konfrontationsschutz gegenüber im Eingangsbereich von Behörden angebrachten Kreuzen.“ Und auch „das grundrechtliche Diskriminierungs­verbot wegen des Glaubens gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates“ werde nicht verletzt: „Aus dem Grundsatz religiös-weltanschaulicher Neutralität ergibt sich nichts Weiteres zugunsten der Kläger. Er verlangt vom Staat keinen vollständigen Verzicht auf religiöse Bezüge im Sinne einer strengen Laizität, sondern verpflichtet ihn zur Offenheit gegenüber der Vielfalt weltanschaulich-religiöser Überzeugungen und verbietet ihm die Identifikation mit einem bestimmten Glauben. Nach dem Kontext und Zweck der Verwendung des Kreuzessymbols identifiziert sich der Freistaat Bayern durch die Aufhängung von Kreuzen nicht mit christlichen Glaubenssätzen.“ Damit nahm das Bundesverwaltungsgericht sogar die Einschätzung der bayerischen Vorinstanz zurück, die zwingende Aufhängung des Symbols einer Religion in Dienstgebäuden verstoße gegen das Neutralitätsgebot.

Assunta Tammelleo, die als Vorsit­zende des bfg München das Verfahren über die Jahre hinweg maßgeblich vorangetrieben hat, zeigte sich vom Urteil enttäuscht. Mit einer solchen Niederlage habe sie nicht gerechnet. Es widerspreche ihrem „persönlichen rechtsstaatlichen Verständnis“, schreibt sie, dass Kreuze, die gut sichtbar im Eingangsbereich staatlicher Behörden hängen, „keinerlei Wirkung entfalten“ sollen. Sie kritisiert, dass nun den Bürgerinnen und Bürger auferlegt werde, in jedem Einzelfall gegen ein Kreuz zu klagen, wenn sie sich beim Behördengang dadurch diskriminiert sehen. „Wer soll sich das trauen?“, fragt sie, da die Menschen, wenn sie auf eine Behörde gehen, auf deren Leistung angewiesen sind und folglich Konfikte eher vermeiden dürften. Sie verweist auf die Erfahrungen mit Kruzifixen im Klassenzimmer. Auch hier müssen Eltern deren Entfernung bei der Schulleitung beantragen, was oft zur Konfrontation führe.

Dass der bfg München den Weg nach Karlsruhe beschreiten wird, steht für sie fest. Auch der Anwalt des bfg, Hubert Heinold, bereitet sich auf eine Verfassungsklage vor. Es werde nun darauf ankommen, das Bundesverfassungsgericht davon zu überzeugen, dass eine Verletzung des Neutralitätsgebots vorliege. Das Bun­des­verwaltungsgericht schreibe in seiner Pressemitteilung, nach dem Kontext und dem Zweck der Auf­hängung der Kreuze identifiziere sich der Freistaat nicht mit christlichen Glaubens­sätzen. Dabei werde aber übersehen, dass Markenzeichen und Symbole nicht ausschließlich im Rahmen der Absicht der Verwender wahr­genommen werden, sondern eine objektive Wirkung auf die Betrachter ent­falten (das wäre hier die Werbung für das Christentum). Aber selbst wenn kein Werbeeffekt einträte, bliebe die Ungleichbehandlung der anderen Religions- und Weltanschau­ungs­gemeinschaften, die eben nicht die Möglichkeit haben, ihre Signets in gleicher Breite zu präsentieren. In der mündlichen Verhandlung hatte Heinold eine Analogie bemüht, um die Fragwürdigkeit der Position der bayerischen Staatsregierung zu verdeutlichen: „Stellen Sie sich vor, das Land schreibt vor, dass im Eingangsbereich jeder Behörde ein BMW-Signet anzubringen ist – angeblich als Symbol des technologischen Fortschritts. Da wären doch alle anderen Auto-Hersteller diskriminiert“, zitiert ihn Legal Tribune Online.

Außerdem verweist der Anwalt auf eine Ungenauigkeit in den Ausführungen des Bundesverwaltungsgericht: „Soweit das BVerwG in diesem Zusammenhang ausführt, der BayVGH habe bindend einen Werbeeffekt verneint, ist dies so nicht zutreffend – dort heißt es nur, die Hängung von Kreuzen führe zu keiner messbaren Förderung ‘etwa in Gestalt von Spenden und Beitritten’ der christlichen Religionsgemeinschaften.“ Die ideelle Wirkung werde völlig ausgeblendet, „obwohl diese bei dem Gegenstand der Glaubens-Gewissens-und Weltanschauungsfreiheit/betätigung im Zentrum stehen müsste“.

Insofern ist wohl immer noch nicht abschließend entschieden, ob Söders Erlass bestehen bleibt oder kassiert wird.

Anmerkungen:

1 Bayerischer Kreuzerlass. Geistesfreiheit gegen Freistaat, Legal Tribune Online (Zugriff 4.1.2023)