Schwerpunktthema | Veröffentlicht in MIZ 4/22 | Geschrieben von Philipp Möller und Redaktion MIZ

„Flexibel und wachsam bleiben“

Ein Gespräch mit Philipp Möller über ein Jahr Zentralrat

Vor etwas mehr als einem Jahr wurde der Zentralrat der Konfessions­­freien gegründet, vor gut einem halben Jahr hat er seine Arbeit auf­genommen. Aus diesem Anlass hat die MIZ mit dem Vorsitzenden (und zugleich hauptamtlich Angestellten) Philipp Möller über den Übergang vom Koordinierungs- zum Zentralrat sowie über Perspektiven und Grenzen säkularer Lobbyarbeit gesprochen.

MIZ: Phil, du bist jetzt seit einem knappen Jahr Vorsitzender des Zentralrats der Konfessionsfreien. Als was ist dieses Amt denn gedacht? Bist du so etwas wie der Bundespressesprecher der säkularen Verbände oder gehört die strategische Politikplanung zu deinen Kernaufgaben?
Philipp Möller: Ich bin Säkularlobbyist. Das klingt zwar etwas sperrig, trifft es aber wohl am besten. Ich setze mich mit der gesamten Kraft und Erfahrung des Zentralrats und seiner Mitglieds­verbände für einen weltanschaulich neutralen Staat ein – und damit haben wir ausgesprochen gute Karten, denn: Nicht nur die Verfassung fordert, dass der Staat sich in welt­an­schau­lichen Fragen endlich zurück­hält; inzwischen wollen auch die Menschen keine „Staatskirche” mehr, keine Sonderrechte und keine Steuer­geschenke in Milliardenhöhe für Reli­gions­gemeinschaften. Die politische Macht der Kirchen war bis vor kurzem noch gigantisch, schmilzt aber gerade wie der Schnee in der Frühlingssonne. 2022 war ein weiteres Rekordjahr bei den Kirchenaustritten, die Abstimmung mit den Füßen trägt die Menschen in Scharen aus den Gotteshäusern hinaus. Die letzte Generation der aktiven Gläubigen stirbt aus, und Religiosität wird schon lange nicht mehr an die Jüngeren vererbt – all das schlägt sich langsam, aber sehr sicher in der Politik nieder.

Unsere Aufgabe als Zentralrat besteht nun darin, konfessionsfreie In­teressen in die öffentlichen Debatten und politischen Entscheidungsprozesse einzubringen. Dabei haben unsere Mit­gliedsverbände etwa mit der Klage gegen § 217 StGB oder dem Ein­satz gegen den § 219a StGB bereits konkrete Erfolge erzielt – dafür sind wir im politischen Berlin sehr wohl bekannt. Ein anderes konkretes Beispiel ist die Ablösung der altrechtlichen Staatsleistungen, die über ein Grundsätzegesetz geregelt werden sollen. Im Dezember 2022 haben wir aus der Zeitung erfahren, dass im Justizministerium bereits eine Arbeitsgruppe gegründet wurde, die sich vor Weihnachten 2022 schon zum vierten Mal getroffen hat. Mitglieder sind christliche Politiker wie Konstantin von Notz (Grüne) und Lars Castellucci (SPD) sowie politische Christen als Kirchenvertreter. Also haben wir erst einmal einen Tweet verfasst („Das ist Politik von vorgestern: Hinter verschlossener Tür 11 Milliarden Euro Steuergeld verschenken…“). Dann haben wir uns in Absprache mit dem Bündnis altrechtliche Staatsleistungen abschaffen (BAStA) an den Leiter dieser Arbeitsgruppe im Justizministerium gewandt – den Ministerialdirektor und evangelischen Pastor Jörn Thießen – und ihn aufgefordert, uns nach § 47 der gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) als von der Gesetzgebung Betroffene an dieser Arbeitsgruppe zu beteiligen. Die vorläufige Antwort seines Hauses lautet sinngemäß: mal schauen, aber wir haben euch wahrgenommen. All solche Prozesse werden von mir koordiniert, oft auch initiiert, alle Texte verfasst und an die Öffentlichkeit kommuniziert – jeweils in Absprache mit dem Vorstand.

MIZ: Mit der säkularen Ampel hat der Zentralrat wichtige Themenfelder abgesteckt. Welche Themen stehen in diesem Jahr denn ganz oben auf der Tagesordnung? Und was kann unter der aktuellen Bundesregierung durchgesetzt werden?
Philipp Möller: Die ersten drei Punkte in unserer politischen Agenda sind im Koalitionsvertrag genannt: kirchliches Arbeitsrecht, Schwanger­schafts­abbruch und Ablösung der Staats­leistungen. In allen drei Punkten können wir Veränderungen innerhalb dieser Legislatur erwarten. Auch die Suizidhilfe beschäftigt uns fast durchgehend, denn trotz des Urteils des Bundesverfassungsgerichts aus dem Februar 2020 beharren Teile des Parlaments auf einer gesetzlichen Neu­regelung – die Selbstbestimmung am Lebensende steht weiterhin auf dem Spiel. In Sachen reproduktive Selbst­bestimmung soll eine Kommission gegründet werden, an der wir beteiligt werden wollen, idealerweise gemeinsam mit dem Bündnis für sexuelle Selbst­bestimmung (BfsS), dem wir angehören. Lisa Paus hat sich inzwischen sehr konkret für die Streichung des Paragrafen 218 StGB ausgesprochen, und dass die Bayerische Justizministerin angekündigt hat, dagegen vors Bundesverfassungsgericht zu ziehen, zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Beim Arbeitsrecht sieht es noch besser aus: Mehr als 1,5 Millionen Beschäftigte in kirchlichen Einrichtungen sind nicht durch geltendes Arbeitsrecht geschützt – das ist längst nicht mehr zeitgemäß, vom Europäischen Gerichtshof schon mehrfach angemahnt worden und lässt sich heute niemandem mehr vermitteln. Dazu haben wir bereits sehr deutliche Gespräche im Bundestag geführt. Und auch bei den bereits angesprochenen Staatsleistungen ist es keine Frage mehr, ob sie abgelöst werden, sondern nur noch wann und zu welchen Kosten.

An genau diesen Stellen entsteht unser Momentum: Wo gesellschaftliche zu politischen Veränderungen führen, müssen wir als Zentralrat einschreiten und uns selbstbewusst und konstruktiv für die Interessen der Konfessionsfreien einsetzen. Wir sind dabei vorsichtig optimistisch, denn die Connection zwischen Kirchen und Politik ist noch immer bärenstark. Zugleich bricht den Kirchen die Unterstützung der Bevölkerung gerade so dramatisch weg, wie Eisberge im Klimawandel. Und kirchliche Lobbyisten sind im Bundestag inzwischen wohl auch nicht mehr so gern gesehen – das sind mal Neuigkeiten!
Ansonsten müssen wir flexibel und wachsam bleiben, denn manche Themen können schneller eskalieren, als wir denken. Der Muezzinruf in Köln hat nicht nur eine Debatte über das Glockengeläut angestoßen, sondern über das Verhältnis von Religion, Politik und Gesellschaft im Allgemeinen. Als der christliche Hardliner Nathanael Liminski im Gespräch für den Posten als Bildungsminister in NRW war, zeigten sich viele Menschen schockiert – weil sie von den vielen religiösen Politikern offenbar nichts wissen. Hinzu kommen Debatten um die Finanzierung von Kirchentagen, um das Bibelzitat auf dem Berliner Stadtschloss, den „Blasphemieparagrafen“ … und nicht zuletzt immer wieder: um die Ver­tu­schung der systematischen pädosexu­ellen Gewalt durch kirchliche Mit­arbeiter.

MIZ: Wie funktioniert denn die Mei­nungsbildung im Zentralrat? Wie sind die Mitgliedsverbände in Dis­kus­sions­prozesse eingebunden?
Philipp Möller: Das haben wir im September 2022 auf einer Strategie­klausur in den Alpen sehr gut herausgearbeitet. Dort waren fast alle Mitglieds­verbände vertreten, und es zeigte sich, dass wir in die gemeinsame Richtung blicken: Staatskritik statt Religions­kritik, Säkularismus statt Atheismus, weltanschaulich neutraler Staat statt Laizismus – und das Ganze so freundlich im Ton wie klar in der Sache. Wir haben Kommunikationsstrategien vereinbart und exemplarisch besprochen, wie wir vorgehen. Der große Unterschied zur Kultur des KORSO besteht nun darin, dass wir als Vorstand nicht für jeden Tweet und jede Pressemitteilung grünes Licht von den Mitgliedsverbänden einholen müssen. Dieses Vorgehen hat den KORSO damals arbeitsunfähig gemacht. Auf viele Themen muss man schnell reagieren, und das funktioniert nicht, wenn zehn oder mehr Verbände jeweils erstmal ihre E-Mails lesen und dann Entscheidungen in ihren Gremien treffen müssen, die teils Wochen später stattfinden. Unser Vorstand wird für zwei Jahre gewählt, kann und muss dann aber Entscheidungen ohne die Mitsprache der Mitgliedsverbände treffen.
MIZ: Und wie werden dann letztendlich Entscheidungen getroffen?
Philipp Möller: Alltägliche Entscheid­un­gen – zu welchen Themen beziehen wir welche Position und kommunizieren sie auf welchem Wege? – treffen wir im Vorstand. Dabei kommen die Vorschläge meist von mir und werden dann sofort oder innerhalb weniger Stunden vom restlichen Team kritisch geprüft, dann wieder von mir angepasst und schließlich veröffentlicht. Wir nutzen eine Chat-Plattform und darin einen Chat-Kanal, den wir alle auf dem Schirm haben, das hat sich sehr bewährt. Außerdem habe ich weder außerhalb noch innerhalb des säkularen Spektrums jemals in einem so guten Team gearbeitet: Rainer Rosenzweig, Ulla Bonnekoh, Michael Wladarsch sowie unsere Büroleiterin und ich arbeiten so schnell, so unkompliziert, mit so viel Witz und Kollegialität zusammen, dass es eine wahre Freude ist. Für unsere Themen brennen wir ohnehin, aber so ist auch noch das Arbeitsklima traumhaft gut – das sind beste Voraussetzungen!

Größere Entscheidungen hingegen treffen wir im Verbandsrat und im erweiterten Umfeld des Zentralrats, also etwa gemeinsam mit dem Institut für Weltanschauungsrecht (ifw), mit BAStA oder dem BfsS. Wenn wir komplexe Stellungnahmen verfassen oder uns in offiziellen Schreiben an die Bundesregierung wenden, besprechen wir sie auch in diesen erweiterten Teams, um uns erst einmal die gemeinsamen Grundlagen zu verschaffen, erst dann verfasse ich die Texte. Anschließend blicken viele Augen, über solche Paper, sie werden professionell lektoriert und layoutet und erst nach mehrmaliger Qualitätskontrolle verschickt.

MIZ: Was kann der Zentralrat eigentlich leisten? Oder anders gefragt: Wenn du in fünf Jahren eine Zwischenbilanz ziehst: Was muss bis dahin erreicht sein, dass du sagen würdest „Wir waren erfolgreich“?
Philipp Möller: Nun, die Gesellschaft verändert sich ohnehin in eine säkulare, in der die Kirchen und andere Weltanschauungsgemeinschaften immer stärker an Bedeutung und Einfluss verlieren. Diese Veränderung zur säkularen Gesellschaft wollen wir begleiten und dabei sicherstellen, dass konfessionsfreie Interessen auch politisch angemessen berücksichtigt werden. Wo rechtliche Veränderungen anstehen, müssen wir einen Fuß in die Tür bekommen und mitreden. Und damit wir dorthin vordringen, bieten wir der Politik unsere Expertise an, etwa durch Initiativstellungnahmen. Parallel dazu versammeln wir immer mehr Öffentlichkeit hinter uns, so dass politisch Verantwortliche nicht mehr um uns herumkommen. Müssen also die Staatsleistungen eingestellt werden? Klar, aber ohne eine Ablösesumme von 11 Milliarden Euro. Soll der Schwan­ger­schaftsabbruch entkriminalisiert werden? Selbstverständlich, und zwar möglichst schnell und ohne weitere Einschränkungen. Haben auch Beschäf­tigte kirchlicher Einrichtungen das Recht, durch das allgemeine Arbeits­recht geschützt zu werden? Ja, ja, hundertmal ja! Soll der Kirchenaustritt auch digital möglich sein? Gern, vor allem aber darf er nicht länger vor dem Staat erklärt werden müssen. Wenn wir solche Antworten ergänzen können, machen wir unseren Job richtig.

Außerdem wollen wir, dass die Konfessionsfreien als gesellschaftlich relevante und bald auch größte Gruppe Deutschlands erkannt und anerkannt werden. Konfessionsfreiheit ist schon jetzt der Regelfall, während die organisierte Religion immer mehr zur Randerscheinung wird. Dem muss die Politik Rechnung tragen. Bis zum Ende dieser Wahlperiode wollen wir uns als aktive und konstruktive Ansprechpartner für säkulare Politik etabliert haben – auch für die Medien und die Öffentlichkeit.

MIZ: Ein Problem ist in unseren Augen, dass der Zentralrat in seiner derzeitigen Zusammensetzung nicht das gesamte säkulare Spektrum repräsentiert. Was bedeutet das für seine Wahrnehmung in den Parteien oder Parlamentsfraktionen?
Philipp Möller: Diese Befürchtung entsteht meiner Einschätzung nach vor allem innerhalb der säkularen „Bubble”, wo HVD, DFW und die Freidenker bekannt sind. In der Politik, vor allem in Berlin, kennen die Verantwortlichen höchstens den Berliner HVD, aber auch der vertritt eben nur einen winzigen Bruchteil der Bevölkerung – etwa genau so wenig wie unsere Mitgliedsverbände in Summe. Mit Mitgliederzahlen argumentieren wir ohnehin nicht, sondern berufen uns auf unsere qualitative Stärke: Die Kirchen haben zwar viele Mitglieder, aber ihre politischen Positionen werden von den meisten Menschen abgelehnt – bei uns ist es genau andersherum, und das hat ein MdB im Gespräch mit mir bereits von sich aus benannt: „Sie genießen den Rückhalt der Bevölkerung.“

Darüber hinaus gäbe es den Zentral­rat wohl immer noch nicht, wenn HVD und DFW nicht irgendwann eingesehen hätten, dass sie als Reformgegner in der Unterzahl sind. Der HVD hat diesen Schritt jahrelang verhindert und so dafür gesorgt, dass der KORSO eine weitestgehend unsichtbare und unwirksame Hinterzimmerorganisation geblieben ist. Sein Austritt war der Startschuss für den Zentralrat. Der Austritt der Freidenker ist uns eher zupassgekommen, weil dort Positionen vertreten werden, die außerhalb des breiten politischen Spektrums unserer Mitgliedsverbände liegen und nicht kompatibel mit den Idealen der Konfessionsfreiheit sind – Details dazu lassen sich spielend nachschauen.
Der HVD hat zudem nicht nur eine vollkommen andere Organisations­kultur als wir, sondern auch eine andere Agenda. Mit dem Argument, dass die Kirchen Sonderrechte genießen, fordert auch der HVD Sonderrechte für sich ein. Damit kann er sinnvolle Aufgaben leisten, hat sich aber vom Staat abhängig gemacht; das mag für eine Lobbyorganisation vielleicht üblich sein, ist aber unserer Ansicht nach angreifbar. HVD-Funktionäre treten zudem reihenweise in Parteien ein, um dem HVD politischen Einfluss zu verschaffen – diese Strategie kennen wir von den Kirchen. Wir als Zentralrat legen hingegen großen Wert darauf, finanziell unabhängig vom Staat und parteipolitisch neutral zu sein, denn wir fordern ja den Abbau der Sonderrechte für Weltanschauungsgemeinschaften. Erst wenn diese von Körperschaften des öffentlichen Rechts zu eingetragenen Vereinen erklärt wurden, sind sie Teil der Zivilgesellschaft und nur dann gleichberechtigt mit allen anderen Organisationen in einem säkularen Staat. Wer im Rahmen des Subsidiaritätsprinzips Staats­aufgaben übernimmt, soll dies unter geregelten Bedingungen tun; aber von eigenen Rechtsräumen für solche Organisationen ist nirgends die Rede! Ein Staat, der die Kirchen privilegiert, muss auch alle anderen Weltanschauungsgemeinschaften privilegieren, auch islamische oder orthodoxe Gemeinden. Wir setzen uns für das genaue Gegenteil ein: Gleiche Rechte für alle, Sonderrechte für keinen!

MIZ: Gibt es eine institutionalisier­te Form der Zusammenarbeit oder des Austausches mit nicht beteiligten Verbänden wie dem Humanistischen Verband Deutschland (HVD) oder dem Dachverband Freier Welt­an­schauungsgemeinschaften (DFW)?
Philipp Möller: Mit dem HVD haben wir bei seinem Austritt eine strategische Partnerschaft vereinbart, zudem gibt es informellen und kollegialen Austausch mit einzelnen HVD-Funktionären und Mitgliedern, denen wir immer mal wieder auf Veranstaltungen begegnen. Im Bertha-von-Suttner Studienwerk arbeitet unser Mitglied, die Giordano-Bruno-Stiftung (gbs), sehr gut mit dem HVD zusammen. Wir unterstützen diese Arbeit natürlich, denn solange der Staat gezielt religiöse Studierende unterstützt, muss er auch säkular-humanistische Studierende finanziell fördern – zumal sich unter ihnen ein nachweislich größerer Anteil hochbegabter junger Menschen befindet, als unter anderen Studierenden. Wäre Deutschlands Förderungspolitik weltanschaulich neutral und gleichberechtigt, müssten sich gbs und HVD darum nicht bemühen. Auch mit dem DFW hat der Zentralrat unmittelbar mit seinem Austritt vereinbart, eine „strategische und menschliche“ Partnerschaft zu pflegen. Institutionalisiert ist das bisher noch nicht, die Offenheit dafür besteht auf beiden Seiten jedoch explizit.
MIZ: Eine zentrale Aufgabe des Zen­tralrates soll ja die Lobbyarbeit sein. Auf welcher Ebene setzt ihr denn an? Bei einzelnen Abgeordneten? Auf Fraktionsebene? Bei den Partei­gremien?
Philipp Möller: Bisher haben wir vor allem mit einzelnen Abgeordneten gesprochen, was bei mir leider aktuell durch eine längere Krankheit unterbrochen wird. Bis ich wieder am Start bin, vertritt mich Ulla Bonnekoh mit dem restlichen Team ganz fantastisch – und dann geht es wie gewohnt weiter: Termine mit MdBs stehen ebenso an, wie der Kontakt zu politisch Verantwortlichen auf Landesebene oder Funktionsträgerinnen in den Parteigremien und Journalisten. Beim Aufbau eines politischen Netzwerkes müssen wir mit der berühmten brennenden Geduld vorangehen: Wir müssen uns anbieten, ohne uns aufzudrängen, müssen Zusagen einhalten und uns als außerparlamentarisches Gesprächsforum für säkulare Politik etablieren.
MIZ: Beschränkt sich die Kontaktpflege dabei auf Berlin oder gibt es ein den Föderalismus berücksichtigendes Kon­zept?
Philipp Möller: Mein eigener Wohnort legt zuerst einmal die Arbeit im politischen Berlin nahe, aber je nach Thema müssen wir selbstverständlich auch mit Mitgliedern der Landesregierungen sprechen. Etwa beim Religions­unter­richt, der ja Ländersache ist, werden solche Gespräche umso wichtiger. Hinzu kommt, dass die Bundes­tags­abgeordneten in ihren Wahlkreisen teils sehr gut erreichbar sind, auch das werden wir zunehmend nutzen. Eine Dezentralisierung des Zentralrats ist nicht geplant, aber selbstverständlich wird unser Arbeitsgebiet die gesamte Bundesrepublik sein.
MIZ: Wie sieht denn konkret ein Ar­beits­tag von dir aus?
Philipp Möller: Meist verschaffe ich mir am Morgen einen Überblick über die Nachrichten, schicke dann Vorschläge für Tweets oder Stellungnahmen an den restlichen Vorstand, so dass wir spätestens gegen Mittag gemeinsam entscheiden, was wie umgesetzt wird. Unsere Büroleiterin unterstützt mich zudem in der Priorisierung von Aufgaben, und mindestens einmal pro Woche treffen wir uns als gesamter Vorstand per Zoom. Das alles findet im Home-Office statt, und zu meinen Terminen im Regierungsviertel fährt mich die S-Bahn direkt bis vor das Brandenburger Tor. Mein Arbeitstag ist oft sehr voll, aber ich kann ihn fast immer frei einteilen.
MIZ: Du füllst deine Position als Haupt­amtlicher aus, deine Vorstands­kolleg:­innen nehmen ihr Amt ehrenamtlich wahr. Wie lässt sich in einer solchen Konstellation ein gleichberechtigtes Arbeiten organisieren?
Philipp Möller: Gar nicht, aber das ist auch nicht nötig. Wir alle tun, was wir können, und ich kann mit meinen 40 Wochenstunden eben am meisten tun. Deshalb liegt die Verantwortung für alle Texte bei mir, ebenso die strategischen Entscheidungen und öffentliche Auftritte. Alles, was ich schreibe, wird vom Vorstand kritisch beleuchtet und gegebenenfalls mit einem Veto versehen, was in ausnahmslos jedem Text vorkommt. Seit Oktober 2022 beschäftigen wir außerdem eine Büroleitung, die vor allem Termine mit Mitgliedern des Bundestags vereinbart. Dafür bin ich wahnsinnig dankbar, denn ich bin meinen persönlichen Stärken nach als Kommunikationstalent eingestellt worden – mein Organisationstalent hingegen ist überschaubar, und das wird von ihr perfekt ausgeglichen.
MIZ: Auf der Webseite bietet der Zentralrat an, einem „Freundeskreis“ beizutreten. Welche Funktion habt ihr dieser Einrichtung zugedacht?
Philipp Möller: Je mehr Menschen hinter unserer politischen Agenda stehen, desto besser können wir sie umsetzen. Der Freundeskreis erfordert keine formelle Mitgliedschaft, sondern sendet vor allem ein starkes Statement: „Ich möchte in einer säkularen Gesellschaft leben und mein Recht auf Weltanschauungsfreiheit gewahrt wissen. Ich möchte keine Religionsgemeinschaft finanziell unterstützen oder durch religiös gefärbte Gesetze gezwungen werden, mich einem Glauben zu unterwerfen. Meine Spiritualität ist meine Privatsache und darf in meinem Verhältnis zum Staat keine Rolle spielen.“

Diese Haltung hat sich in den letzten Jahrzehnten in vielen Köpfen angesiedelt, erlebt aber erst jetzt ihren gesellschaftlichen Durchbruch, dafür umso kräftiger. Wir stecken mitten in einem friedlichen Kulturwandel: von der Kirchenrepublik Deutschland zur konsequenten Konfessionsfreiheit. Unser Freundeskreis symbolisiert diesen Wandel, und ich bin wahnsinnig glücklich, ihn als Vorsitzender des Zentralrats der Konfessionsfreien erleben und begleiten zu dürfen.