Schwerpunktthema | Veröffentlicht in MIZ 4/22 | Geschrieben von Gunnar Schedel

Zentralrat für säkulare Anliegen

Welche Erwartungen und Befürchtungen haben die Verbände?

Die einen halten ihn für eine unverzichtbare Voraussetzung, den Anliegen der säkularen Szene in der Politik mehr Gehör zu verschaffen, die anderen haben sich entschieden, Zeit, Geld und Energie anderweitig zu investieren: Als im Herbst 2021 der Zentralrat der Konfessionsfreien gegründet wurde, verzichteten mehrere Verbände, die sich als Interessensvertretung von Kon­fessionslosen1 verstehen, auf eine Beteiligung. So stellt sich die Frage, warum es so gekommen ist und welche Erwartungen und Befürchtungen mit dem Zentralrat verknüpft sind.

Um hier Klarheit zu bekommen, haben wir eine Reihe von säkularen Verbänden um ihre Einschätzung gebeten und vorliegende Stellungnahmen ausgewertet. Wir werfen zudem einen Blick auf die Versuche der Vergangenheit, die Arbeit der Konfessionslosenorganisationen zu koordinieren. Deren organisatorische Vielfalt wird von vielen als „Zer­splitterung“ wahrgenommen und oft 
auch als Ursache für eine relative Wir­kungslosigkeit ihrer politischen Initia­tiven angesehen.

Dass es so viele Organisationen gibt, hat historische Gründe.2 Als es Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland möglich wurde, sich als „frei in Religion“ zu bekennen, entstanden erste Vereinigungen von „Konfessionslosen“ (also Menschen, die weder der katholischen noch einer der evangelischen Kirchen angehörten). Als es nur wenige Jahrzehnte später möglich wurde, sich als „frei von Religion“ zu verstehen, fand dies seinen Niederschlag in der Gründung anderer Vereine, die diese Menschen organisierten (die dann konfessionslos im Sinne von religionslos waren). Und weil das deutsche Kaiserreich von nur schwer überwindbaren Klassenschranken durchzogen war, gab es bald eine bürgerliche und eine proletarische Ausgabe dieser Freidenker. Waren diese Verbände grundsätzlich weltanschaulich geprägt, entstand mit dem Bund der Konfessionslosen (heute: IBKA) Mitte der 1970er Jahre eine Gruppe, die aus ihrer Konfessionslosig­keit politische Forderungen ableitete (aber bewusst keine weltanschauliche Alternative mehr anbot). An diesen Ansatz der politischen Interessenvertretung für alle Konfessionslosen knüpfte dann die Giordano-Bruno-Stiftung an und gab gleichzeitig das Modell eines von Mit­gliedern getragenen Vereins endgültig auf. Etwa zeitgleich entstand mit dem Zentralrat der Ex-Muslime der erste migrantisch geprägte Verein nicht religiöser Menschen.
Dass sich diese Vereine nicht nach und nach zusammenschlossen, liegt nicht in erster Linie am Organisationen innewohnenden „Überlebenswillen“, sondern an tatsächlich bestehenden Unter­schieden sowohl was die weltanschau­lichen Grundlagen als auch die politischen Konzepte angeht. Und trotzdem gab es schon sehr früh Versuche, eine Zusammenarbeit zu institutionalisieren. 1909 wurde das Weimarer Kartell gegründet, in dessen Rahmen ein knappes Dutzend Verbände sich gemeinsam für die Rechte der sog. Dissidenten einsetzte.3 1979 fanden sich sechs wichtige kirchenkritische Akteure zur Gründung einer (kurzlebigen) Arbeitsgemeinschaft für die Trennung von Staat und Kirchen zusammen. Als im Februar 2001 erstmals die Sichtungskommission tagte, deutete sich eine neue Qualität des Miteinander an. Es war von Anfang an erkennbar, dass sich die Beteiligten über die politischen und weltanschaulichen Differenzen, die das Profil ihrer jeweiligen Organisation ausmachten, im Klaren waren und auf dieser Grundlage nach Möglichkeiten gemeinsamer Aktionen und Stellungnahmen suchten. Die ziemlich formlose „Verfassung“ der Sichtungskommission war dabei ebenso hilfreich wie die Beschränkung, dass keine bindenden Entscheidungen gefällt werden konnten.
So richtig Dynamik kam in die Frage eines säkularen Koordinierungs­gremiums dann mit dem Aufsatz von Michael Schmidt-Salomon in MIZ 4/04, als er die Gründung eines „Zentralrats der Konfessionsfreien“ vorschlug. Damals herrschte in der säkularen Szene eine ausgesprochene Aufbruchstimmung und die Idee wurde weitgehend begeistert aufgenommen. Kurzzeitig war sogar im Gespräch, den Zentralrat nicht als ein von Verbänden mit Deputierten beschicktes, sondern in einer Urwahl der (teilnehmenden) Konfessionslosen legitimiertes Gremium zu etablieren. Und es gibt Stimmen, die meinen, die schnelle Gründung des Koordinierungsrates der säkularen Organisationen (KorsO) sei nicht zuletzt darauf zurückzuführen. Das war im November 2008.
Das Beeindruckende am KorsO war, dass alle Strömungen und alle größeren Verbände vertreten waren: der Deutsche Freidenker-Verband (DFV), der Dach­verband freier Weltanschauungs­ge­mein­schaften (DFW), der Humanis­ti­scher Verband Deutschlands (HVD) und der Internationale Bund der Kon­fessionslosen und Atheisten (IBKA); dazu die wichtigsten Stiftungen und Akademien sowie einige kleinere Vereine. Wer sich dagegen die Leis­tungsbilanz nach über einem Jahrzehnt ansah, musste eingestehen, dass nicht viele Aktivitäten aufzulisten waren. Da einigen die Koordinierung von Kommunikation nicht ausreichend erschien, kam die Forderung nach einer strukturellen Veränderung auf, die es den säkularen Verbänden ermöglichen sollte, nicht nur miteinander zu reden, sondern gemeinsam im Namen der Konfessionslosen Politik zu machen. Aus dem KorsO wurde im September 2021 der Zentralrat der Konfessionsfreien.
Von den vier Bundesverbänden ist nun jedoch nur noch der IBKA Mit­glied; die anderen haben den KorsO im Zuge der Umgründung oder kurz zuvor verlassen. Neben der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) und der Stiftung Geistesfreiheit finden sich ansonsten regional tätige Vereinigungen und Einrichtungen mit thematischen Schwerpunkten wie die Säkulare Flücht­lingshilfe. Der Zentralrat bildet also nur noch einen Teil des säkularen Spektrums ab.

Eintreten für welche Positionen?

Mit den Überlegungen, sich stärker als Lobbyorganisation zu positionieren, rückte eine Frage in den Vordergrund, die im KorsO eine eher untergeordnete Rolle gespielt hatte: Für welche politischen Inhalte und Konzeptionen soll der Dachverband eintreten?

Wer die säkulare Szene auch nur oberflächlich beobachtet, wird längst festgestellt haben, dass es zwei konkurrierende Modelle gibt, wie die Gleichberechtigung der Konfessionslosen hergestellt werden soll. Zum einen könnte dies durch die Abschaffung sämtlicher Privilegien für Kirchen & Co. erreicht werden, wie es der Politische Leitfaden des IBKA fordert. Zum anderen durch den „konsequenten Aufbau eines praktisch-humanistischen Angebots“, wodurch Konfessionslose „den gleichen Zugang zu weltanschaulich profilierten Dienstleistungen und Unterstützungsangeboten erhalten müssen wie religiöse Menschen“ – was den Vorstellungen des HVD entspricht.4 Die beiden Modelle lassen sich nur bis zu einem bestimmten Punkt miteinander koordinieren, letztlich bieten sie Alternativen. Diese „Bruchstelle“ in der säkuklaren Szene hat auch der politische Gegner ausgemacht: So lehnte beispielsweise die damalige religionspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Die Linke, Christine Buchholz, Forderungen nach einer strikteren Trennung von Staat und Kirche mit ausdrücklichem Hinweis auf den HVD ab.
Der Austritt des HVD aus dem KorsO im März 2021 (als die Gründung des Zentralrates noch nicht beschlossen war, die Debatte über eine Neuaufstellung des KorsO aber schon lief) nahm diese Entscheidung vorweg. Da die „unterschiedlichen Positionen ... innerhalb des KORSO nicht in eine gemeinsame Strategie überführt werden“ konnten, entschied sich der Bundesvorstand „eigene Wege zu gehen“. „Damit gewinnen unsere Positionen größere Eindeutigkeit und Klarheit bei unseren Bündnispartnern in Politik und Gesellschaft, die zu Recht wissen wollen, wofür wir stehen und wofür wir uns einsetzen“, heißt es in einer Stellungnahme. Damit machte der HVD deutlich, dass er vor allem auf seine humanistischen Angebote setzt, wenn es darum geht, eine „humanere Gesellschaft mitzugestalten“ und „die Repräsentanz religionsfreier Menschen zukünftig besser“ zu gewährleisten. „Für eine präzisere und fruchtbare Kommunikation nach außen und politische Lobbyarbeit benötigen wir eine relevante inhaltliche Schnittmenge, sonst sind wir nicht gemeinsam sprechfähig. Die Übereinstimmung in unseren Positionen ist aber für den HVD nicht ausreichend substanziell, um eine Schwerpunktverschiebung des KORSO in Richtung Lobbyarbeit mitgehen zu können.“

Effizienz vs. Konsens?

Die Austritte des DFW wie auch des DFV erfolgten im Herbst 2021, nachdem der KorsO sich in Zentralrat umbenannt und in diesem Zuge auch seine Satzung geändert hatte. Beide Verbände führen vor allem Bedenken gegen die Mitbestimmungsmöglichkeiten als Grund für ihren Austritt an. Für den DFW verhindern die Neuerungen „Koordinierungs­aktivitäten auf gleichberechtigter Basis“, es wird befürchtet, dass „Minderheiten ... nicht hinreichend beachtet“ werden.5 Mehr noch: „Willensbildungen und Personalia“ würden „nicht demokratisch und paritätisch gestaltet“. Und auch der DFV meint eine „Zentralisierung der Entscheidungsabläufe“ zu erkennen.6 Die „Prinzipien von Management und Marketing“ würden die Konsensfindung ablösen. Damit verändere sich der Charakter des KorsO: „An die Stelle einer bislang die unterschiedlichen Vor­stellungen und Interessen koordinierenden, definierenden und vertretenden Instanz“ trete nun „eine eher zentralistisch agierende Körperschaft“, was sich auch darin zeige,m dass die „Rolle und Bedeutung der Mitgliedsorganisationen“ sinke.

Obwohl Projekt 48. Forum für Auf­klärung, Emanzipation und Skepsis sich nicht als Mitgliederverband für Kon­fes­sionslose sondern eher als Arbeits­zusammenhang von Aktiven versteht, gehen dessen Bedenken in eine ähnliche Richtung. Dass sich Lobbyarbeit am besten „mit einer straffen Organisation, die aber nur eine Minderheit des säkularen Spektrums wirklich repräsentiert“ durchführen lasse, sei nicht einsichtig, schreibt der Projekt 48-Vorstand auf Anfrage: „Hier hätten wir eine Netzwerklösung, an der möglichst alle Strömungen beteiligt sind, bevorzugt.“7

Überfälliger Schritt?

Bei aller Kritik an der Umwandlung des Koordinierungsrates in den Zentralrat darf nicht vergessen werden, dass dem eine demokratische Mehrheitsentscheidung der Mitgliedsverbände zugrundeliegt. Der damalige KorsO-Vorsitzende Rainer Rosenzweig beschreibt die Veränderung als Schritt, „den Tanker ‘KORSO’ mit einer umsichtigen Satzungsreform umzu­wan­deln in einen flexiblen, agilen und effektiven ‘Zentralrat der Konfessions­freien’“.8 Nach 13 Jahren sei ein solcher Schritt, der auf mehr öffentliche Aufmerksamkeit abzielt, zwingend notwendig. Die „innere Selbstblockade des säkularen Spektrums“ könne niemandem mehr vermittelt werden, erklärt Rosenzweig in einem Interview mit dem Humanistischen Pressedienst.9 Hier dürfte vor allem die Erwartungshaltung derer angesprochen sein, die seit vielen Jahren aktiv für säkulare Belangen eintreten und mit dem Erreichten unzufrieden sind. Bei ihnen dürfte die Ankündigung, dass „pünktlich zur neuen Wahlperiode des Deutschen Bundestags“ eine Lobbyorganisation an den Start geht, „die sich für die Rechte und Interessen konfessionsfreier Menschen in Deutschland gegenüber den Abgeordneten des Deutschen Bundestages stark macht“, auf weitgehende Zustimmung stoßen.10

Ein Grundsatzprogramm des Zen­tral­rates gibt es nicht, allerdings finden sich in der Satzung einige Hinweise auf politische Vorstellungen und Tätigkeitsbereiche. Dafür wurde sehr schnell eine „Säkulare Ampel“ vorgelegt, eine Art Forderungskatalog an die Politik (der als „zwölf Chancen für die offene Gesellschaft“ bezeichnet wird). Darin enthalten sind zentrale Punkte einer konsequenteren Trennung von Staat und Kirche, wie die Abschaffung des Kirchlichen Arbeitsrechts, die Ablösung der Staatsleistungen oder die Beendigung des staatlichen Kirchensteuereinzugs. Daneben stehen grundsätzliche An­liegen wie die weltanschauliche Neu­tra­lität staatlicher Einrichtungen und die Eliminierung religiöser Relikte aus Gesetzessammlungen (z.B. die Streichung des § 166 StGB).

Notwendige Neuausrichtung?

Die größte Begeisterung löst der Zentralrat bei der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) aus. In einer Stellungnahme für die MIZ schreibt Sprecher Michael Schmidt-Salomon, nun sei es besser möglich, das politische System effektiv zu verändern, „also Religionsprivilegien abzubauen, Diskriminierungen aufzuheben und die Prinzipien der offenen Gesellschaft“ zu stärken.11 Was die Verbände, die sich gegen eine Beteiligung entschieden haben, als Problem ansahen, ist für Schmidt-Salomon eine Stärke: der KorsO habe sich als „Versuch zur Verhinderung einer ... Lobbyorganisation“ herausgestellt und sei durch die „Eigeninteressen seiner Mitgliedsverbände fast vollständig gelähmt“ worden. Dies habe sich nun grundlegend verändert.

Auch die Zusammenarbeit zwischen Zentralratsspitze und den Mit­gliedsverbänden bewertet die gbs durchweg positiv. Durch die Themen-Workshops bestehe für alle die Möglichkeit, sich in die Debatten einzubringen. Gerade kleinere Verbände fänden nun leichter Gehör, weil nun „die vorgebrachten Argumente selbst zählen, nicht mehr deren Herkunft“. Dies habe dazu geführt, dass sich der Zentralrat „mit glasklaren Argumenten in die Debatten“ einschalten konnte.
Dieser Einschätzung stimmt auch Michael Waldarsch vom Bund für Geistes­freiheit (bfg) Bayern zu: Es bestehe ein „Grundvertrauen“, die „Sensibilitäten und Eigenheiten der ein­zelnen Akteure“ seien ausgelotet,12 was als Voraussetzung dafür ist, als „Vertretung der Konfessionsfreien“ wahr­genommen zu werden.
Er freut sich vor allem über die „spürbare Dynamik“. Die „relativ festgefahrenen Positionen der damaligen Mitgliedsverbände“ hätten im KorsO die Handlungsfähigkeit so stark eingeschränkt, dass sich sogar die Sinnfrage gestellt habe. Die Neuausrichtung ermögliche es nun, dass „Themen aus unserem Spektrum“ schnell und kompetent kommuniziert würden.
Insgesamt, so Michael Schmidt-Salomon, hättte „das erste Jahr des Zentralrats kaum besser ... laufen können“.

Verbesserungsvorschläge

Die Einschätzung des IBKA fällt da nüchterner aus. Inhaltlich gibt es keine größeren Differenzen. In seiner Stellungnahme für die MIZ betont IBKA-Geschäftsführer Rainer Ponitka die große Übereinstimmung der Säkularen Ampel mit dem Politischen Leitfaden des IBKA. Die Öffentlichkeitsarbeit wird ebenfalls positiv bewertet, es würden nun „tatsächlich Inhalte nach außen kommuniziert, ohne dass dabei das Verhältnis zu Mitgliedsverbänden mit anderen Zielen beschädigt wird“.13

Die Art und Weise, wie im Zentralrat Entscheidungen fallen, findet hingegen weniger Zustimmung. Schon die Vorgehensweise bei der Umgründung erscheint Ponitka fragwürdig: „Es bleibt unverständlich, weshalb diese einschneidende Umgestaltung in einem Hau-Ruck-Verfahren durchgeführt werden musste“. Immerhin sei es um sehr weitreichende Veränderungen ge­gangen, etwa die Abschaffung der auto­matischen Vertretung eines Mit­glieds­verbandes im Vorstand. Auch die Kommunikation innerhalb des Zentral­rates ist offenbar verbesserungsbedürftig: Der Strategie-Workshop im Herbst 2022 fand ausgerechnet an jenem Wochenende statt, an dem der IBKA seine Mitgliederversammlung incl. Verleihung des Sapio-Preises an Maryam Namazie hatte (was zur Folge hatte, dass kein Funktionsträger des IBKA über die zukünftigen Strategien des Zentralrates mitdiskutieren konnte).
Gefährlich könnte für den Zentralrat seine Strategie der Selbstdarstellung werden. In der Pressemitteilung zu besagtem Workshop heißt es: „Wir sind die einzige Lobbyorganisation, die alle Sonderrechte für alle Welt­anschauungsgemeinschaften gleichermaßen kritisieren“. Rainer Ponitka findet diese Aussage „merkwürdig, denn so arbeitet der IBKA seit über 40 Jahren“. Die Behauptung, es sei das Alleinstellungsmerkmal des Zen­tral­rates, ohne staatliche Förder­gelder zu arbeiten, wurde im Frei­nachtsnewsletter wiederholt. Dass eine derart wahrheitswidrige Selbst­darstellung genau die Befürch­tungen bedient, dass der Zentralrat sich der Inhalte der Verbände bedienen, um sie dann als die eigenen auszugeben, und die Verbände so an den Rand der öffentlichen Aufmerksamkeit drängen könnte, ist den Verantwortlichen offenbar nicht bewusst.

Wer für wen?

Seinem Selbstverständnis nach ist der Zentralrat eine „Lobbyorganisation für die Interessen aller religionsfreien Menschen in Deutschland“. Der Vor­standssprecher des HVD, Erwin Kress, nennt das einen „nicht einzulösenden Anspruch“.14 Der HVD setze sich dagegen „für die Interessen und Rechte ... jener konfessionsfreien Menschen in Deutschland ein, die zentrale Prinzipien des humanistischen Bekenntnisses für sich anerkennen (Bekenntnis­zugehörige)“. Aber auch wer diesen Ansatz nicht beson­ders überzeugend findet (weil z.B. jede Forderung nach einer Gesetzes­änderung alle und nicht nur die eigene Klientiel betrifft15), kann Zweifel hegen. IBKA-Geschäftsführer Ponitka fragt sich, was es für die Glaub­würdigkeit eines Zentralrates der Kon­fessionsfreien bedeutet, „wenn nicht alle Player des säkularen Spiel­brettes beteiligt sind“.

Letztlich aber werden die Ansprech­partner in Medien und Politik entscheiden, ob der Zentralrat der Kon­fes­sionsfreien als Vertretung der Kon­fessionslosen wahrgenommen werden wird oder nicht. Denn in der gegenwärtigen repräsentativen Demokratie ist es nicht so wichtig, ob eine Institution die Bevölkerungsgruppe, die sie zu vertreten behauptet, auch wirklich repräsentiert bzw. deren Ansichten widerspiegelt. Die Amtskirchen sind dafür ein beeindruckendes Beispiel.

Anmerkungen

1 Ich verwende den Begriff „konfessionslos“. Die Annahme, dass wir ein sympathischeres Bild für die Welt abgeben, wenn wir signalisieren, dass wir frei von einer Konfession sind (anstatt dass wir unsere Konfession los sind) leuchtet mir ebensowenig ein wie die Einschätzung, eine vorurteilsfreie Bewertung sei einer vorurteilslosen vorzuziehen. Zudem habe ich eine empirische Testreihe gestartet und zur Probe kosten­lose und kostenfreie Biere getrunken (Doppel­blindverkostung). Ich konnte tatsächlich keinen statistisch relevanten Unterschied herausschmecken.
2 Ein Blick auf andere europäische Länder zeigt übrigens, dass dieser Zustand in Deutschland nicht einzigartig ist. In England beispielsweise dürfte es ähnlich viele Orga­nisationen geben.
3 Interessant, dass auch damals nicht alle wichtigen Organisationen teilnahmen; der Bund Freireligiöser Gemeinden Deutsch­lands hielt sich zwar am Rande des Kartells, trat aber nie bei.
4 Der Humanistische Verband Deutschlands beendet seine Mitgliedschaft im Koordinie­rungsrat säkularer Organisationen, 29.3.2021; hieraus auch die weiteren Zitate (auf humanismus.de).
5 Beschluss über Platz und Austritt des DFW aus dem KORSO, 30.8.2021, zum Download auf https://www.dfw-dachverband.de/; hieraus auch die weiteren Zitate.
6 Brief des Verbandsvorstandes an den Vor­sitzenden des KORSO, 25.10.2021, https://www.freidenker.org/?p=11534; hieraus auch die weiteren Zitate.
7 Stellungnahme von Projekt 48 zum Zentral­rat der Konfessionsfreien (vollständig auf www.miz-online.de).
8 https://hpd.de/artikel/rueckenwind-fuer-den-saekularen-aufbruch-19998.
9 Jetzt sind auch die Konfessionsfreien mit einem Zentralrat am Start, 24.9.2021, https://hpd.de/artikel/jetzt-sind-auch-konfessionsfreien-einem-zentralrat-am-start-19731.
10 Aus KORSO wird der „Zentralrat der Konfes­sionsfreien“, https://hpd.de/artikel/korso-wird-zentralrat-konfessionsfreien-19708.
11 Stellungnahme der Giordano-Bruno-Stiftung zum Zentralrat der Konfessionsfreien (vollständig auf www.miz-online.de); hieraus auch die weiteren Zitate.
12 Stellungnahme des bfg Bayern zum Zentral­rat der Konfessionsfreien (vollständig auf www.miz-online.de); hieraus auch die weiteren Zitate.
13 Stellungnahme des IBKA zum Zentral­rat der Konfessionsfreien (vollständig auf www.miz-online.de); hieraus auch die weiteren Zitate.
14 https://humanismus.de/presse-aktuelles/aktuelles/stellungnahme/2021/11/hvd-stellungnahme-zum-zentralrat-der-konfessionsfreien/
15 Dass es auch innerhalb des HVD zu dieser Frage ein besseres Reflexionsniveau gibt, zeigen die Beiträge des Bandes Humanistische Identität heute. Universalismus und Identi­tätspolitik. Hrsg. von Ralf Schöppner. Schrif­tenreihe der Humanistischen Akademie Berlin-Brandenburg, Band 12. Aschaffenburg 2019.

 

Die Säkulare Ampel 2022

1. Gleiches Arbeitsrecht für alle garantieren

2. Gesetze zum Schwangerschaftsabbruch reformieren

3. Historische Staatsleistungen ablösen

4. Sexuelle Gewalt gegen Kinder lückenlos aufklären
5. Finanzämter vom Einzug der Kirchensteuer befreien
6. Ethik für alle als Lehrfach einführen
7. Weltanschauungsfreiheit auch in der Migrationsgesellschaft garantieren
8. Suizidhilfe weiterhin ermöglichen
9. Konfessionsfreie in Rundfunkräten und im Deutschen Ethikrat repräsentieren
10. Weltanschauliche Neutralität in staatlichen Einrichtungen wahren
11. Weltanschauliche Neutralität in Gesetzen beachten

12. Religion als Privatsache behandeln