Allgemeines | Veröffentlicht in MIZ 4/22 | Geschrieben von Nicole Thies

Lobby hat, wer sich Gehör verschaffen kann

In MIZ 3/13 war „Kirchliche Lobby­arbeit in der Postdemokratie“ das Schwerpunktthema. Hinter der Über­schrift „Hintertreppen zur Macht“ stand das Bild, dass die beiden großen christlichen Kirchen Einfluss auf Politik und Gesellschaft nehmen. Wie ist es nun aber andersherum? Wie kann säkulare Lobbyarbeit aussehen?

 

Problematisiert haben wir damals 
die Schattenseiten des Lobby­is­mus. 
Denn gemeinhin ist politische Lobby­arbeit das Eintreten für Inter­essen einzelner Gruppen und organisierter Interessensverbände. Vereine, Ver
bände oder Dachorganisationen, Nicht
­regierungsorganisationen (NRO) und privatwirtschaftliche Unternehmen neh­men Einfluss auf politische Entschei­dungsprozesse. Konkret heißt das in einer parlamentarischen Demokratie: Lobbys oder Interessengruppen suchen und pflegen Kontakte zu politischen Entscheidungsträger_innen in den Parlamenten. Also grundsätzlich das, was säkulare Organisationen auch machen. Worin besteht nun aber die Herausforderung? Was kann optimiert werden? Wie Kräfte so bündeln, dass eine gemeinsame säkulare Lobbyarbeit sichtbar und zielführend gemacht werden kann?
Lobbyismus hat einen schlechten Leumund, weil nicht zu unrecht dahinter intransparente Kungelei, Vet-
ternwirtschaft, undurchsichtige Seil­schaften, Vorteilsnahme, Spenden­skandale nach dem Motto „Leistung und Gegenleistung“ vermutet werden. Die direkte oder indirekte Ein­flussnahme hat nämlich tatsächlich – trotz Lobbyregister – viel damit zu tun, wie viele personelle und ökonomische Ressourcen für die Interessenvertretung zur Verfügung stehen. Diesbezüglich ist nicht ganz unerheblich: Wer sich ein Büro in Berlin leisten kann, kommt an politische Entscheidungdträger_innen 
direkter ran. Wer institutionelle För­derung oder Projektförderung aus Bundesmitteln erhält, wird auf direktem Weg durch Stellungnahmen in Gesetzesänderungsprozesse einbezogen.
Lobby hat, wer sich Gehör verschaffen kann. Darum geht es bei der Lobbyarbeit von zivilgesellschaftlichen 
Akteuren. Dennoch: Wer schreit, bekommt nicht immer Recht oder gar Gehör. Grundsätzlich können wir festhalten, säkulare, kirchen- und religionskritische sowie emanzipatorische Themen haben bundespolitisch wenig Lobby, finden wenig Gehör – die Themen sind ein heißes Eisen auf der Politbühne. Das kirchliche Arbeitsrecht, die Abschaffung der Staatsleistungen etc. standen durchaus in den letzten Jahren zur Diskussion in Berlin. Nennenswerte Erfolge konnten nicht gefeiert werden.
Folglich bleiben zwei Grundfragen: Wie verschafft man sich Gehör? Und mit welchen Themen? Und als Leitfrage: Mit welcher politischen Strategie, um faktisch Erfolge erzielen zu können (nicht nur Etappenziele)?
Formen oder Mittel der politischen Einflussnahme sind unter anderem: Offene Briefe, Stellungnahmen, aber auch die Teilnahme an Anhörungen, direkte Kontaktaufnahme zu Entschei­dungsträger_innen (parlamentarisches 
Frühstück, Anrufe etc.), Aus­arbei­tung von Policy Papern usw. Die Band­breite dieser Aktivitäten umfasst also 1) die offene Kritik als die direkte Reaktion auf aktuelle Entschei­dungen (beispielsweise bei Gesetzes­entwürfen/-vorhaben oder politischer Maßnahmen), 2) das proaktive Einbringen relevanter Themen bzw. Aufklären über Problemlagen und 3) die Politikberatung.
NRO haben dann Gestaltungsmacht, können in die Politik hinein wirken, wenn sie als kompetente Partner_innen auftreten, die spezifisches Wissen – Expert_innenwissen – zur Verfügung stellen können. Dieses Wissen bieten säkulare Verbände und deren Expert_innen durchaus, es wird aller­dings weiterhin viel zu wenig von der Politik abgefragt. Mit Wissen ist einerseits gemeint, Studien und Zahlen vorlegen zu können, die einen kritischen Blick auf Privilegien von Religionsgemeinschaften werfen. Ande­re­rseits ist Transferwissen erforderlich, das die Widersprüche, Macht­ver­hält­nisse und Diskriminierung religiöser Welt­anschauungen innerhalb der gesell­schaftlichen Realität aufzeigt. Hinzu kommt, ob man im politischen Ein­gangsbereich, der Lobby, überhaupt empfangen wird. Das hängt nämlich u.a. davon ab, ob die NRO als gemeinsame oder ermächtigte Vertretung einer Interessensgruppe wahrgenommen wird. Anders gefragt: Wird tatsächlich mit einem Mandat gesprochen. Damit ist tatsächlich die größte Herausforderung säkularer Lobbyarbeit gemeint: Wie kann zum einen das hehre Ziel ermög­licht werden, die unterschiedlichen Interessen und Ressourcen aus einem breiteren Spektrum zu bündeln? Zum anderen: Wenn Ressourcen knapp sind oder aus der „Minder­heiten­perspektive“ zum großen Polit­spiel angetreten wird, ist umso wichtiger, breite Bündnisse zu schmieden. Je nach Themenschwerpunkt sind dann auch Mitstreiter_innen über das eigene Spektrum hinaus einzubeziehen. Konkreter formuliert stellen sich folgende Fragen: War es nicht sinnvoll, den KorsO dafür zu nutzen, dass Austausch unterschiedlicher Interessenlagen (der 
Breite des Spektrums Rechnung tragend) innerhalb der säkularen Szene ermöglicht wird, Interessen gebündelt und Aktionen bzw. Vorgehen ab- oder besprochen und ggf. koordiniert werden? Während beispielsweise eine andere Plattform oder ein Netzwerk daraus Strategien politischer Lobbypolitik entwickelt und durchführt? Ob dafür eine hierarchische Organisationsstruktur – wie ein Zentralrat – entstehen muss, hätte einer längeren Diskussion bedurft. Gegen­seitige Beteiligung – Stichwort: Partizipation auf Augenhöhe für alle – wäre ein wünschenswerter Ansatz gewesen, um politische Kräfte zu bündeln und nicht zu entzweien. Eine zentralisierte Organisationsstruktur entfernt das säkulare Spektrum von der Idee, mit einem gemeinsamen (aber pluralen!) Gesicht aufzutreten und in der Politik als ansprechbare Interessensvertretung wahrgenommen zu werden. Deshalb darf es – bei Gründung einer Lobbyorganisation – skeptisch machen und den Optimismus dämpfen, wenn Bündnispartner_innen, die inhaltlich die vorgeschlagene Lobbyarbeitslinie teilen, schon zu Beginn das Handtuch werfen oder gar nicht erst mit dabei sind.
Gerade zivilgesellschaftliche Ak­teure, wie Vereine, Verbände und Stif­tungen, sind angewiesen auf Aus­tausch und eine interne Debatten­kultur, gleichwertige Teilhabe sowie Bündnis- und Konsensfähigkeit. Eine politische Strategie lässt sich nur wirksam aufbauen, wenn die Akteure und der Handlungs­bedarf identifiziert, die Lösungs­möglichkeiten und Fallstricke diskutiert und problemlösende Alternativen und konkreten Maßnahmen entwickelt und den politischen Entscheidungträger_innen vorgestellt werden. Wenig zielführend für solche Prozesse ist die Dominanz einzelner Personen oder Institutionen: Wenn zwar alle eingeladen sind, aber letztlich sich allein eine bestimmte politische Einschätzung und Bewertungen oder Organisationsform durchsetzt, ist was faul. Kurzfristig mag das Vorgehen, eine zentrale Organisationsstruktur eingleisig auf die Spur zu bringen, punkten, langfristig ... nun ja, keine Spekulationen, wir werden zu gegebener Zeit Bilanz ziehen.

In diesem Heft versuchen wir einen ersten Eindruck einzuholen. Be­obachtungen aus unterschiedlichen Perspektiven darzulegen und schon mal ein Resümee zum Entscheidungs- und Gründungsprozess zu ziehen. Wie gut die Lobbyarbeit funktionieren wird, wird sich daran zeigen, wie gut die Kooperationen und die Bündnispolitik mit einer (noch nicht erkennbaren) Strategie zu vereinbaren sein werden.

Was allerdings schnell als politisch fadenscheinig zu demaskieren ist: Wenn die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs als besonderer Erfolg aus säkularem Engagement und säkularem politischem Druck beschrieben wird, schmückt man sich mit fremden Federn. Wer verkennt, dass dem Erfolg jahrzehntelang kontinuierliche soziale Arbeit und politischer Druck von Frauenrechtsorganisationen und feministischen Initiativen im Bereich Frauengesundheit vorausgegangen ist – sprich: von denjenigen, die die sprichwörtlichen „dicken Bretter“ gebohrt haben –, wirft schon anfänglich ein schlechtes Licht auf die zukünftige Kooperations- und Bündnisfähigkeit des Zentralrats. Wer unter den Tisch fallen lässt, dass man selbst nur ein Teil eines breiten zivilgesellschaftlichen Bündnisses oder mehrerer Initiativen ist, der/die legt vor allem einen Schluss nahe: das vermeintliche Bündeln von Ressourcen wird zum Selbstzweck, Strukturen werden pulverisiert.
Der Erfolg einer zentralisierten Lobbyorganisation misst sich am politischen Geschick einzelner Funk­tionsträger_innen und deren punktgenauem (professionellen) Einsatz begrenzter Ressourcen, wodurch sie wohl allein auf fahrende Züge politischer Debatten aufzuspringen können. Der Erfolg politischer, basisdemokratischer Lobbyarbeit hingegen misst seine politische Wirkung und Gestaltungskraft an kontinuierlicher politischer (Zusam­men-)Arbeit und an der Nähe zu gesellschaftlichen Debatten und der Realität. Nur so entstehen ein transparentes Strategieangebot und eine Bündnisfähigkeit über heterogene Gruppen und unterschiedliche Weg- und Zielbeschreibungen hinaus.
Das sprichwörtliche Kind nicht mit dem Bade auszuschütten, bleibt die große Herausforderung!