Nicht zu vergessen der sich wandelnde Zeitgeist, der die Kirchen dazu zwang, sich moralisch fragwürdiger Vorstellungen zu entledigen und sich zumindest vordergründig zu liberalisieren.
Diese Entwicklungen spiegeln sich in den Veranstaltungen wie Kirchentage, Ketzertage und Humanistentage wieder. An ihnen lassen sich die Entwicklungen auf dem Weltanschauungsmarkt ab lesen. Doch was unterscheidet Kirchentage, Ketzertage und Humanistentage voneinander? Wo liegen Gemeinsamkeiten? Was bringt uns Säkularen eine solche Großveranstaltung? Diese und weitere Fragen können in diesem Heft nicht abschließend beantwortet werden. Es geht wie immer darum, einen ersten Aufschlag zu wagen und einzuladen, mit- und weiterzudenken.
Kirchentage, insbesondere die evangelischen stehen sinnbildlich für die Verweltlichung des Glaubens und sind eher ein mehrtägiger, staatlich subventionierter Markt der Möglichkeiten als ein Ort theologischer Erleuchtungen und religiöser Unterweisung. Sicherlich werden die Themen aus einer christlichen Perspektive diskutiert. Trotzdem würde ich sagen, dass die Organisator_innen der Kirchentage eine bewusste Abkehr von einer reinen Glaubensveranstaltung hin zu einer medienwirksamen und massenkompatiblen Eventveranstaltung vorgenommen haben.
Diese Entscheidung fiel nicht ohne Grund. Die thematische Breite und der Eventcharakter dienen dazu, den gesellschaftlichen Einfluss der Kirchen in Zeiten rapide sinkender Mitgliederzahlen zu stabilisieren und die erheblichen finanziellen Aufwendungen seitens des Staates an die Kirchen zu legitimieren. Doch Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und Sport können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Kirchentage so wenig kirchlich sind wie Maria eine Jungfrau war. Die Kirchen wurden quasi dazu genötigt, sich an den Zeitgeist anzupassen. Kirchentage müssen Spaß machen.
Anders sieht es bei den Ketzertagen aus. Sie bilden ein notwendiges Korrektiv zu den Kirchentagen. Mit ihrem Programm legen sie die Finger in die offene Wunde des Staat-Kirchen-Verhältnisses, halten Kirche und Politik den Spiegel vor und betreiben im besten Sinne Aufklärungsarbeit. Daniela Wakonigg erzählt in ihrem Beitrag die Entstehungsgeschichte der Ketzertage und wagt zugleich einen zaghaft hoffnungsvollen Ausblick in die Zukunft.
Anders als die Kirchentage, wo es um eine heile Welt des Glaubens geht, haben „Anti-Tage“ das klare Ziel, der Kirche in die sprichwörtliche Suppe zu spucken. Kein Wunder, wurde die Idee des Ketzertages, wie Wakonigg es schreibt, „aus Wut“ geboren. Ein durchaus nützlicher Antrieb bei der Planung und Durchführung einer antiklerikalen Veranstaltungsreihe. Es stellt sich in diesem Zusammenhang jedoch die Frage, ob sich die Ketzertage nicht zu sehr an den Kirchen abarbeiten? Wäre es nicht sinnvoller, statt sich abzugrenzen und eine Anti-Haltung einzunehmen, auf ein positives Image und ein selbstvergewisserndes Projekt hinzuarbeiten, um zu zeigen, dass man ohne Religion auch massenkompatibel sein kann?
In gewisser Weise versuchen die Organisator_innen der Humanistentage genau diese Position zu besetzen. Einerseits mit (religions)kritischen Vorträgen, andererseits mit sich zum Humanismus bekennenden Veranstaltungen, soll ein positives Bild nichtreligiöser Menschen vermittelt werden. Es geht den Veranstalter_innen um ein breites Spektrum von politischen Positionen, die in die Gesellschaft hineingetragen werden sollen, um diese mitzugestalten. Doch auch hier bleiben bei näherer Betrachtung Fragen. Denn anders als bei den so genannten Anti-Tagen (Ketzertage) orientieren sich die so genannten Selbst-Tage (Humanistentage) in gewisser Weise am Muster der Kirchentage. Aber braucht die säkulare Szene diese Selbstvergewisserung, die Religion offensichtlich nötig hat?
Ketzerisch sei an dieser Stelle die Frage in den Raum geworfen, ob das Ablegen eines Bekenntnisses zur Demokratie auf dem kommenden Humanistentag in Hamburg, wie es sich Konny G. Neumann in seinem Interview mit unserem Magazin wünscht, tatsächlich das Maß aller Dinge ist? Oder steht dieser Wunsch nicht sinnbildlich für die Krise, in der sich die Demokratie und deren Institutionen seit Jahren befinden?
Ich behaupte, dass solche Symbolpolitik zum Erstarken identitärer Strömungen links wie rechts beigetragen hat. Die Sehnsucht nach Harmonie und Akzeptanz, wie sie auf Kirchen- und Humanistentagen zu finden ist, spielt den reaktionären Kräften in die Hände. Eine bessere, eine religionsfreie Gesellschaft lässt sich nur dadurch erreichen, indem wir uns zusammensetzen, vernetzen, politische Themen setzen und damit aktiv in die gesellschaftlichen Diskurse eingreifen. Ziel muss immer sein, eine gesellschaftspolitische Hegemonie zu erlangen – im Sinne einer Gesellschaft freier Menschen, mit Rechten und Teilhabe. Frei von Dogmen sowie religiöser und pseudo- religiöser Bevormundung und frei von Privilegien für einzelne. In diesem Sinne, Geschichte wird gemacht!