Schwerpunktthema | Veröffentlicht in MIZ 1/21 | Geschrieben von Redaktion MIZ

Aus dem Maschinenraum

Im 50. Jahr ihres Erscheinens reflektieren ehemalige Redakteure und eine gegenwärtige Redactrice über 
die Zukunft der MIZ

Einmal im Jahr trifft sich die MIZ-Redaktion und plant: die näch­sten Schwerpunkte, die mittelfristige inhaltliche Ausrichtung, das Verhältnis von Heft und Webseite. Dazu werden dann oft auch ständige Mitarbeiter oder Aktivistinnen aus der Zeitschrift nahestehenden Verbänden eingeladen. Die letzten beiden Redak­tionstreffen fanden hingegen als Videokonferenzen statt. 
Und es zeigte sich: das „Tagesgeschäft“ lässt sich auf diese Weise gut besprechen, aber die Funken, die einen gemeinsamen kreativen Prozess ausmachen, sprühen nur sehr verhalten.

Also hat die MIZ-Redaktion ehemalige und gegenwärtige Redakteur_innen gebeten, ein paar grundsätzliche, Vergangenheit und Zukunft der Zeitschrift betreffende Fragen zu beantworten. Im 50. Jahr unseres Bestehens wollen wir überlegen, wie sich die Arbeit im „Maschinenraum“ der MIZ gestalten lässt. Einige Rahmenbedingungen stehen fest: Die redaktionelle Tätigkeit wird auf absehbare Zeit ehrenamtlich geleistet werden. Nicht in einem Verhältnis der Lohnabhängigkeit gegenüber Herausgeber und Verlag zu stecken, bringt journalistische Freiheit mit sich. Welche Nachteile das Modell der ehrenamtlichen Redaktion hat, war in den Lockdown-Phasen der Corona-Pandemie zu spüren (es gibt Gründe, warum das Heft nicht wie geplant Ende April erschienen ist).

An anderen Stellschrauben könnte gedreht werden: Welche Zukunft haben gedruckte Medien eigentlich? 
Ist das „Zeitungssterben“ auf die Tages­zeitungen begrenzt, die Online-
Medien gegenüber in puncto Aktuali
tät und Zugangskosten im Nachteil sind. Oder ändern sich Mediennutzungs­gewohnheiten grundsätzlich, so dass auch Zeitschriften, die auf Hinter­grund­berichterstattung und special interest setzen, mittelfristig so stark an Auflage verlieren, dass eine gedruckte Ausgabe sich nicht mehr lohnt? (Dabei geht es nicht nur um finanzielle Aspekte, sondern auch um die „Reichweite“.) Wie könnte dann die Umstellung einer Vierteljahreszeitschrift auf ein Online-Portal funktionieren?

Oder ist es gar nicht eine Frage des Mediums, ob die MIZ übermorgen noch gelesen wird, sondern der ausgewählten Themen? Was hat sich hier in den letzten 40 Jahren eigentlich verändert? Oder liegt der Schlüssel in den Textsorten? In der optischen Aufmachung des Heftes?

Die Antworten von René Hartmann, Wolfgang Mahn­fitz, Gerhard Rampp, Michael Schmidt-Salomon und Daniela Wakonigg sind ein erster Aufschlag, um die MIZ der Zukunft zu planen.

Die MIZ wurde von Anfang an vom In­ternationalen Bund der Konfes­sions­losen und Atheisten (IBKA) herausgegeben. Anfangs spielte der Vorstand, vor allem IBKA-Gründer Frank L. Schütte, bei der Erstellung der Hefte eine große Rolle; seit Anfang der 1990er Jahre wird die MIZ hingegen von einer dezentral arbeitenden Redaktion besorgt, und Vorstandsmitglieder waren nur in seltenen Fällen beteiligt.

Über das Verhältnis von Verband und Zeitschrift hat die Redaktion den derzeitigen Vorsitzenden des IBKA, René Hartmann, befragt (von 2007 bis 2009 selbst Mitglied der Redaktion).

MIZ: Welche Bedeutung hat die MIZ für den IBKA?

René Hartmann: Die MIZ ist nach wie vor das publizistische Flaggschiff des IBKA. Auch wenn in den letzten Jahrzehnten neue Medien hinzugekommen sind, ist und bleibt die MIZ ein zentrales Element in der Medienpräsenz des IBKA.

MIZ: Was kann eine Zeitschrift, was ein Verband nicht kann?

René Hartmann: Auch wenn die Grund
ausrichtung dieselbe wie die des IBKA ist, kann ein Magazin wie die MIZ ein breiteres Themenspektum bedienen, als das der Verband könnte. Ein Magazin kann neben Artikeln mit konkretem politischem Bezug z.B. auch mal Platz für theorielastige Themen bieten sowie für Themen, die zwar aus IBKA-Sicht von Interesse sind, für die aber in den Aktivitäten des Verbands kein rechter Platz ist.

MIZ: Angesichts der medialen Ver­änderungen der letzten 50 Jahre: Hat sich die Funktion der MIZ gewandelt?

René Hartmann: Die MIZ war in der Vergangenheit über lange Zeit praktisch das einzige Medium, über das Interessierte über den Kreis der Mitglieder hiinaus verlässlich mit Informationen über den IBKA und sein Tätigkeitsgebiet versorgt wurden. In dieser Funktion hat die MIZ mit dem IBKA-Rundbrief und besonders mit den Internetmedien Konkurrenz bekommen. Nahm die MIZ früher eine Schlüsselposition ein, besonders was die Gewinnung neuer Mitglieder betraf, ist sie heute Teil eines Medienmixes geworden. Dabei hat sie jedoch eine wichtige Rolle behalten, denn allein auf das Internet zu setzen, wäre für einen Verband wie den IBKA vielleicht möglich, aber aus meiner Sicht kurzsichtig.

MIZ: Der IBKA ist der Herausgeber der MIZ, der Redaktion wird aber weitgehende Eigenständigkeit eingeräumt (was seit rund 30 Jahren auch in einem Redaktionsstatut festgeschrieben ist). Hat sich dieses Modell bewährt?

René Hartmann: Dass die MIZ unabhängig und nicht das Sprachrohr des Verbandsvorstands ist, hat sich nach meiner Einschätzung bewährt. Für die Bekanntmachungen des Verbands gibt es den IBKA-Rundbrief.

MIZ: Welche Themen, die von der MIZ 
aufgegriffen wurden, haben dem Ver­band am meisten Ärger eingebracht?

René Hartmann: Regelrechten Ärger gab es in den letzten 20 Jahren eigentlich nicht, jedenfalls habe ich das nicht so wahrgenommen. Gelegentlich erreichen den Vorstand Beschwerden, die MIZ sei zu ‘links’ oder es stört sich jemand daran, wenn der Marxismus in einem Heft Thema ist. Das mag für Einzelne ein Aufreger sein, ein Problem für den Verband sehe ich darin nicht.

MIZ: Welche Wünsche gibt es auf Seiten der politische Aktiven gegenüber der MIZ-Redaktion?

René Hartmann: Erst einmal muss ich der Redaktion meine Anerkennung für die Arbeit aussprechen, die sie unter nicht gerade einfachen Bedingungen leistet. Was ich mir wünschen würde, ist, dass die Redaktion und der IBKA gemeinsam eine Strategie oder Vision für die MIZ erarbeiten. Das richtet sich also an die Redaktion und Verband gleichermaßen. Printmedien sind schon seit Längerem unter Druck. Einige Zeitschriften haben daraus die Konsequenz gezogen, nur noch online zu erscheinen. Die MIZ hat sich diesem Trend bislang entziehen können und ist mit eigenen Online-Angeboten präsent. Trotzdem bleibt die Situation herausfordernd. Eine eingehende Analyse und Bewertung der verschiedenen Optionen wäre aus meiner Sicht wichtig und sollte regelmäßig in bestimmten Abständen erfolgen.

Wolfgang Mahnfitz ist seit 1977 Mit­glied im IBKA und im Landesverband Berlin-Brandenburg aktiv. Der MIZ-Redaktion gehörte er 1986/87 an.

MIZ: Wie wurde die MIZ in den frühen Jahren denn erstellt?

Wolfgang Mahnfitz: IBKA- und MIZ-Gründer Frank L. Schütte (Δ2007) war Schriftsetzer, also kam für ihn nur beste kommerzielle Fotosatz-Technik infrage. In den 1970er Jahren gab es bei seinem Arbeitgeber, einem großen Verlag in Berlin, Maschinen von Linotype, dem Weltmarktführer, die er mit horrenden Kosten für die MIZ benutzen konnte. Die Filme, also die Druckvorlagen, die damit erstellt wurden, hatten eine für ihn als Setzer selbstverständliche Auflösung von 1200 dpi oder besser. Teuer war entsprechend diesen Qualitätsansprüchen auch der Druckereiaufwand (Matritzen und Papier für den Offsetdruck).

Der Versand, also Eintüten und Frankieren als Postvertriebsstück, er
folgte in freiwilliger Arbeit durch Vereinsmitglieder, meist durch die MIZ-Redaktionsgruppe. Zum Einsatz kam dabei eine Frankiermaschine mit Adressatenkärtchen und einfacher Spiritus-Kopiertechnik. Erwähnens­wert ist, dass Schütte aus eigener Tasche den Versand von über hundert Frei-Exemplaren jeder Ausgabe an Einzelpersonen und Organisationen in aller Welt finanzierte, die er als Freidenker erachtete.

MIZ: Wie hat die Redaktion kommuniziert?

Wolfgang Mahnfitz: Telefonisch, postalisch, per Fax und per E-Mail, jenem Netzdienst, der just vor 50 Jahren erfunden wurde.

IBKA und MIZ sind in (West-)Berlin entstanden; die Redaktionsmitglieder, soweit dort wohnend, trafen sich zu ihren Sitzungen bis Mitte der 1980er Jahre in ihren Wohnungen, teils auch in Hochschulräumen, denn einige arbeiteten in den Universitäten, wo es damals schon moderne Rechner, Kopierer und Drucker gab ....

MIZ: Was war die politische Zielstellung dieser Zeit?

Wolfgang Mahnfitz: Eine Motivation von Schütte, einen Konfessionslosen-Verband zu gründen, war seine Frage, inwieweit die Freidenkerverbände (z.B. die in der Nachfolge des DFV der 20er Jahre), aber auch die „Freireligiösen“, Unitarier, Monisten usw. noch handlungsfähig seien – oder schon zu überaltert, die Aktiven nur noch als zu mietende Sprecher für Trauerfeiern tätig. Dieser Klärungsintention widmete er auch die MIZ; die sollte sich von den Postillen der genannten anderen Vereine abheben.

In der Tat zeigte Schütte bei einer Redaktionssitzung eine Ausgabe der Zeitschrift Der Freidenker herum, in der auf der Seite „Aus dem Vereinsleben“ nur lapidar eine „Liste der Bestattungsredner“ abgedruckt war, nichts sonst.

MIZ: Worin sah die Redaktion ihre Aufgabe im Blätterwald der damaligen Zeit?

Wolfgang Mahnfitz: Keinesfalls sollte die MIZ ein Vereinsblatt sein, nur für die langsam wachsende IBKA-Mitgliederzahl, nur zur Mitteilung und Diskussion von Vereinsinternem. Als „Politisches Journal“ sollte sie möglichst viele säkulare Kräfte ansprechen. Es gelang tatsächlich, einige Freidenkergruppen dafür zu gewinnen, die MIZ auch unter ihren Mitgliedern zu verteilen, zumal, wenn die sich weder personell wie finanziell eine eigene Zeitschrift leisten konnten.

Auch gelang es der MIZ, ihren Blick über den deutschsprachigen Raum hinaus zu betonen: Seit 1981 sichtet und kommentiert das Augs­burger Redaktionsmitglied Ger­hard Rampp Meldungen aus aller Welt zur Säkularisierung und den Kämpfen dagegen in seiner Internationalen Rundschau, mittlerweile liefert er in dieser Ausgabe den Artikel Nr. 5447!! Danke, Gerhard.

Gerhard Rampp gehörte der Redaktion von 1989 bis 1996 an und war währenddessen, davor und danach für die Internationale Rundschau zuständig.

MIZ: Du betreust, mit einer Unter­brechung in den 1990er Jahren, die Rubrik Internationale Rundschau, die bis zu einem Viertel der Seitenzahl eines Heftes umfasst. Warum sind diese Kurzmeldungen so wichtig?

Gerhard Rampp: Zu ergänzen ist, dass ich die Internationale Rundschau erst seit 1981 betreue. Vorher wurde diese Rubrik aber nur phasenweise gepflegt und die Zahl der Meldungen war spärlich. 1998 wurde mir die Arbeit zuviel, doch als sich die Nachfolgeregelungen allesamt als nicht dauerhaft tragfähig erwiesen, übernahm ich diese Tätigkeit wieder – anfangs aus Pflichtgefühl und nachher immer mehr auch aus dem Vergnügen heraus, den Niedergang der Kirchen publizistisch zu begleiten. Von den inzwischen knapp 5500 Meldungen war ich für rund 5000 verantwortlich.

Vor allem zwei Aspekte machen die Meldungen der Internationa­len Rundschau so wichtig: die Lesefreund­lichkeit und die Internationalität. Je stärker die Flut an unwichtigen und wesentlichen News anschwoll, umso stärker ging die Bereitschaft zurück, längere Artikel oder gar Sachbücher zu lesen. (Das konnte ich auch in meinem Beruf als Deutschlehrer feststellen.) Immer wieder hörte ich von MIZ-Abonnenten: „Das erste, was ich in der MIZ lese, sind die Kurzmeldungen.“ Klar, das sind kleine, leichtverdauliche Bröckchen, man kann jederzeit zwischendrin unterbrechen oder sich das subjektiv Wichtigste herauspicken. Zum anderen hatte der Herausgeber, der Internationale Bund der Konfessonslosen und Atheisten, den Anspruch, über den nationalen Tellerrand hinauszuschauen. Bei den MIZ-Artikeln war dies nicht immer leicht zu realisieren, denn über 90 Prozent der Leser*innen leben in Deutschland und wollen von Themen angesprochen werden, die einen Bezug zu ihrem Umfeld haben. Die Internationale Rundschau will die weltweiten Entwicklungen widerspiegeln, ohne die binnendeutschen Regionen zu vergessen. Manchmal bietet das Ausland – das ja bei der Trennung von Staat und Kirche oft viel weiter ist – wertvolle Hilfestellungen für die Überwindung des rückständigen deutschen Systems. Auch daher bleibt es immer mein Ziel, je ein Drittel der Meldungen aus Deutschland, dem übrigen Europa und den anderen Kontinenten zu liefern. Nicht immer ist dies möglich, denn mal passiert im einen, mal im anderen Teil der Welt besonders viel.

MIZ: Die Rubrik setzt stark auf Berichterstattung: Ereignisse werden dargestellt, Äußerungen zitiert, eine Kommentierung erfolgt nur selten. Mit welcher Vorstellung von Rezeption gehst du an die Arbeit?

Gerhard Rampp: Zunächst musste ich bei der Auswertung der vielen In­formationsquellen (Printmedien einschließlich einiger Kirchenzeitungen, aber auch Online-Infodienste) erstaunt feststellen, dass viele Tatsachen nur in zwei oder drei Medien erwähnt wurden. Es gilt also, Fakten der Vergessenheit zu entreißen. Oft ist es aber auch notwendig, Facetten herauszustellen, die die Zeitungen in ihrer eigentlichen Brisanz gar nicht erkennen. Dazu ein Beispiel: 2019 wurde in einer evangelischen Kirchenzeitung eine repräsentative Umfrage erwähnt, wonach der Glaube an Gott im Vergleich zu einer vergleichbaren Studie von 2005 zurückgegangen sei. Konkret sei der Anteil der Gottgläubigen unter Protestanten von 79 auf 67 Prozent geschrumpft. In sämtlichen ausgewerteten Tageszeitungen war dies zu harmlos für eine Meldung. Doch verbirgt sich dahinter fast Sensationelles: Ein Drittel der deutschen Protestanten glaubt nicht an Gott; bedenkt man ferner, dass innerhalb dieser 14 Jahre ein Zehntel ausgetreten ist, dann hat sich der Anteil der Nichtglaubenden unter den verbliebenen Protestanten in diesem kurzen Zeitraum mehr als verdoppelt! (Grund ist natürlich auch das Wegsterben der meist noch gläubigen Alten.)

Derartiges herauszufiltern ist Aufgabe der MIZ. Das kann im Text durch Umformulierung erreicht werden oder durch eine Anmerkung. Ansonsten erfolgt eine Kommentierung selten, denn die Leserschaft der MIZ ist als mündig und kritisch zu betrachten.

MIZ: Worin würdest du die wichtigste inhaltliche Veränderung bei den Meldungen sehen?

Gerhard Rampp: Vor 30 Jahren musste ich an der Uni die verschiedenen Zeitungen, vor allem aber die Printausgabe der Katholischen Nachrichten Agentur, nachlesen und ggfs. kopieren. Heute lade ich passende Texte meist am PC herunter. Aber auch inhaltlich hat sich einiges geändert. Journalisten kritisieren die Kirchen mutiger, während die Kirchenvertreter einen Teil ihrer früheren Arroganz ablegen mussten. Das hängt mit dem geschrumpften Anteil der Kirchenmitglieder zusammen, die ihrerseits aber auch nach all den Skandalen kritischer geworden sind.

Erfreulicherweise sind heute deutlich mehr und genauere statistische Daten verfügbar, die auch wesentlich zeitnäher geliefert werden.

Die wachsende Bedeutung des Islam führte zu manchmal kuriosen Reaktionen der Christen. Letztere kritisieren z.B. die Blasphe­mie­gesetze in Pakistan oder Indonesien, verteidigen aber den „Gotteslästerungs­paragraphen“ 166 in Deutschland. Auch die Rechtfertigungsstrategie für die privilegierte Stellung der Kirchen in Deutschland hat sich geändert. Argumentierten Kirchenvertreter früher mit der Mehrheit in ihren Reihen, reden sie heute von der „Tradition“ der Kirchen in der Gesellschaft. Nur: Tradition ist Vergangenheit, Kirchenschwund die Gegenwart und Sektendasein die Zukunft.

MIZ: Hat diese Rubrik im Internet-Zeitalter, das eine unvorstellbare Fülle an Informationen per Mouse-Click verfügbar macht, eine Zukunft?

Gerhard Rampp: Mehr als je zuvor. Das Internet liefert eine unübersichtliche Fülle von allem Möglichen. Nur wer schon eine klare Vorstellung von akzeptablen Informationsquellen hat (ohne Fake News, ohne Vermischung von Tatsachen und Meinungen, ohne Klatsch und Tratsch), wird überhaupt fündig. Aber der Rückgang des Interesses an Religion führt auch zu einem Schattendasein dieses Bereichs in den Medien. Im Prinzip ist die Internationale Rundschau bereits eine Auswahl von Meldungen für Nichtreligiöse, die man in dieser Form sonst nirgends findet. Und sie ist gleichzeitig nach einem halben Jahrhundert auch ein stattliches Archiv.

Daniela Wakonigg gehört der Redak­tion seit 2009 an. Sie hat u.a. die Rubrik Neulich... erfunden.

MIZ: Du arbeitest sowohl im Gutenberg-Universum (MIZ) als auch im Cyber Space (hpd). Was sind – abgesehen von der Bezahlung – die wesentlichen Unterschiede?

Daniela Wakonigg: In Hinblick auf die redaktionelle Arbeit funktionieren die MIZ und der Humanistische Pressedienst komplett anders. Bei der MIZ überlegt sich die Redaktion Wochen, ja teilweise sogar Monate im Voraus, welchen Themenschwerpunkt ein Heft haben soll und mit welchen Autor:innen und Interviewpartner:innen man diesen Schwerpunkt wie genau angehen will, welche analytischen Aspekte es zu berücksichtigen gilt etc.

Beim Humanistischen Pressedienst muss die Redaktion dagegen sehr aktuell, oft auch tagesaktuell arbeiten. Wenn der Bundestag heute über Gesetzentwürfe zur Ablösung der Staatsleistungen abstimmt, sollte ich möglichst auch heute darüber berichten, dass die Abstimmung stattfindet, und die Hintergründe erklären. Und morgen sollte ich dann möglichst einen Kommentar zum Abstimmungsergebnis veröffentlichen und/oder Reaktionen säkularer Organisationen auf das Ab­stimmungsergebnis.

Während es bei solchen Dingen wie Gesetzentwürfen einen gewissen Planungsvorlauf für die Bericht­erstat­tung gibt, gibt es bei anderen Dingen überhaupt keinen Vorlauf. Es kann immer sein, dass von jetzt auf gleich ein kirchlicher Skandal enthüllt wird oder aktuelle Dinge geschehen, die für Säkulare wichtig sind, und auf die man dann sehr schnell reagieren muss.

MIZ: Ist denn die Einschätzung, dass MIZ und hpd in etwa dasselbe politische Spektrum bedienen, richtig?

Daniela Wakonigg: Ja und nein. Mehrere soziologische Untersuchungen haben ja in den vergangenen Jahren gezeigt, dass die Mehrheit der Säkularen, Konfessionslosen etc. politisch eher links der politischen Mitte steht. Das ist sicherlich auch beim Großteil der Leserschaft von MIZ und hpd der Fall. Aber beim hpd gibt es einen speziellen Effekt durch die Präsenz in den Sozialen Medien. In den Sozialen Medien lesen viele Menschen nur die Überschrift und den Teaser, nicht aber den ganzen Artikel. Und die Algorithmen der Sozialen Medien verteilen Texte an Nutzer:innen, bei denen sie davon ausgehen, dass diese Nutzer:innen auf den Text anspringen. Das hat u.a. zur Folge, dass von islamkritischen Texten, die beim hpd erscheinen, sich nicht selten Rechte angezogen fühlen, was man dann deutlich an den Kommentaren in den Sozialen Medien feststellen kann. Ein MIZ-Heft dürfte sich dagegen vermutlich eher selten in die Hände von Rechten verirren. Aber die Rechten bleiben glücklicherweise meistens auch beim hpd nicht lange, wenn sie feststellen, dass die Islamkritik menschenrechtlich und nicht rassistisch begründet ist und dass der hpd auch sonst eher nicht ihrer politischen Ausrichtung entspricht. Aber einige bleiben dann noch eine Weile in den hpd-Kanälen der sozialen Medien, um den hpd zu beschimpfen. Ebenso gibt es evangelikale Trolle, die regelmäßig versuchen, die hpd-Redaktion und die hpd-Leser:innen auf den Weg des Glaubens zurückzuführen. Aber das ist, wie gesagt, der Funktionsweise der Sozialen Medien geschuldet.

MIZ: Die Printmedien verlieren an Reich­weite. Bedient die MIZ ein Segment, in dem es auch zukünftig gedruckte Medien geben wird?

Daniela Wakonigg: Da meine magische Glaskugel gerade defekt ist, fällt mir eine entsprechende Prognose schwer. Aber ich befürchte, dass das eher nicht der Fall sein wird. Da es gerade die junge Generation ist, die zunehmend auf Printmedien verzichtet, fürchte ich fast, dass die MIZ als Printmedium zu wenig Lese-Nachwuchs generieren wird – womit sie in der Medienlandschaft natürlich nicht allein ist.

MIZ: Die MIZ hat eine Webseite mit umfangreichen Archiv- und Such­funk­tionen, stellt dort derzeit aber nur einmal im Vierteljahr das aktuelle Heft sowie einige zusätzliche, im Heft nicht abgedruckte kürzere Beiträge ein. Wäre es mit Blick auf die Mediennutzungsgewohnheiten der Zukunft hier sinnvoll, die Publika­tionsstrategie zu ändern?

Daniela Wakonigg: Definitiv. Ich habe den Eindruck, dass die MIZ gerade den Anschluss an die junge Generation verpasst. Die Online-Präsenz ist unglaublich wichtig, um da am Ball zu bleiben. Und damit meine ich vor allem die permanente Präsenz und den permanenten frischen Input in den Sozialen Medien. Einfach nur alle drei Monate das neue Heft online zu stellen und darüber mit einem kurzen Tweet oder Facebook-Post zu informieren, erreicht nicht zuletzt aufgrund der Verteil-Algorithmen der Sozialen Medien so gut wie keine Leute. Ich denke, die MIZ müsste sich für die digitale Welt komplett neu erfinden. Ich halte das durchaus für möglich. Aber es würde einiges an Arbeit erfordern.

MIZ: Wenn die MIZ im 66. Jahr ihres Erscheinens eingestellt werden wird, welche Textsorten und Rubriken können in den Humanistischen Presse­dienst übernommen werden und welche nicht?

Daniela Wakonigg: Zum einen hoffe ich, dass die MIZ frühestens im 666. Jahr ihres Erscheinens eingestellt werden wird, und zum anderen wage ich keine Aussage darüber, was in zehn, fünfzig oder hundert Jahren sein wird. Vielleicht ist das Säkulare bis dahin so selbstverständlich geworden und hat alle Medien durchdrungen, dass man überhaupt keine eigenständigen dezidiert säkularen Medien mehr braucht.

Ich würde die Frage nach den kompatiblen Rubriken und Textsorten deshalb lieber vom heutigen Standpunkt aus beantworten: Ich halte die meisten Texte, Textsorten und Rubriken der MIZ für hpd-kompatibel. Die Internationale Rundschau gehört nicht dazu, weil der hpd über die in der Rundschau aufgeführten internationalen Ereignisse oft wesentlich aktueller eigenständige Artikel veröffentlicht. Der Blätterwald wäre wahrscheinlich zu wenig ‘cyberspacig’ und Texte, die zu sehr ins Analytische gehen, finden nach meiner Erfahrung im Onlinejournalismus eher nicht so viele Leser:innen. Wobei man überlegen könnte, das als explizite „Analyse“-Rubrik einzuführen, um damit ein spezielles Publikum anzusprechen. Alles andere wäre aus meiner Sicht kein Problem. Aber da diese Fusion ohnehin frühestens in etwas über 600 Jahren stattfindet, müssen wir da ja aktuell noch nicht in die konkrete Planung einsteigen, oder?

Michael Schmidt-Salomon gehörte der MIZ-Redaktion von 1997 bis 2007 an, lange Zeit davon als Chefredakteur.

MIZ: In deiner Zeit als Chefredakteur wurden in der MIZ, die sich ja als politische Zeitschrift definiert, sehr viele grundsätzliche, auch philosophische Fragen erörtert. Lag das an deinen persönlichen Vorlieben oder standen diese Fragen damals einfach an?

MSS: Persönliche Vorlieben haben da sicherlich eine Rolle gespielt, wichtiger aber war, dass die MIZ das Thema „Trennung von Staat und Kirche“ bereits gründlich abgegrast hatte. Es war an der Zeit, die Breite des säkularen Denkens auszuloten und Themen wie „Hedonismus“, „Rationalität“, „Humanismus“, „Aufklärung“ oder „Evolution“ zu behandeln. Zudem machten die Anschläge des 11. September deutlich, dass Religionskritik keineswegs auf Kirchenkritik verengt werden sollte. Aus diesem Grund haben wir den Fundamentalismus in seinen verschiedenen Formen beleuchtet und über Gegenmaßnahmen nachgedacht, weshalb die MIZ die Gründung des „Zentralrats der Ex-Muslime“ eng begleitet hat.

Darüber hinaus zeigte sich schon in den frühen 2000er Jahren, dass sich die Minderheitenposition der Konfes­sionsfreien immer mehr zu einer Mehr­heitsposition entwickeln würde, was eine Neujustierung des säkularen Selbst­verständnisses erforderte. In diesem Zusammenhang diskutierten wir über eine Verbreiterung des Angebots an sozialen Dienstleistungen sowie über den Vorschlag eines „Zentralrats der Konfessionsfreien“. Wichtig war auch die Frage, wodurch sich „säkulare Kräfte“ in einer zunehmend säkularer werdenden Gesellschaft auszeichnen sollten: Reicht dafür die Abkehr von der Religion aus oder benötigen wir ein positives Bekenntnis zu den Prinzipien von Humanismus und Aufklärung? Schön fand ich dazu unser Heft „Sind Atheist*innen die besseren Menschen?“, in dem ich mich über die „Kriminalgeschichte des Atheismus“ ausließ. Das Cover der Ausgabe zeigte Josef Stalin mit einem Heiligenschein. Das hat heftige Kontroversen ausgelöst, aber der säkularen Szene insgesamt gutgetan.

MIZ: Und welche Fragen siehst du heute, an denen sich eine atheistische Vierteljahreszeitschrift abarbeiten müsste?

MSS: Die Themen haben sich nicht groß verändert, wohl aber die Perspektive, die wir einnehmen sollten. Das hat zwei wesentliche Gründe. Erster Punkt: Religionskritik war traditionell ein linkes bzw. liberales Projekt, das sich gegen die politische Rechte richtete, welche die „Vermählung von Thron und Altar“ nicht nur aus weltanschaulichen Gründen, sondern auch zum Machterhalt betrieb. Diese Ausrichtung hat sich inzwischen geändert, denn leider sind viele Linke aus falsch verstandenem „Multikulturalismus“ in die Fänge radikaler Islamisten geraten. Einige von ihnen halten es sogar für eine „antifaschistische Aufgabe“, islamische Faschisten zu verteidigen. Für diese „identitären Linken“ ist Religionskritik kein notwendiger Aspekt der Aufklärung, sondern Ausdruck von „fremdenfeindlicher Hetze“, wenn nicht gar von „Rassismus“, was zeigt, wie weit sie sich bereits vom aufklärerischen Denken verabschiedet haben. Hier für ein Umdenken zu sorgen, halte ich für eine zentrale Aufgabe der MIZ.

Der zweite Punkt ist erfreulicher: Als ich 1994 meinen ersten Text für die MIZ schrieb, lag der Bevölkerungsanteil der Konfessionsfreien bei 20 Prozent, seither hat er sich verdoppelt und wird in absehbarer Zeit die 50-Prozent-Marke überschreiten. Mit dieser gesellschaftlichen Entwicklung gehen politische Veränderungen einher. Wir klagen zwar viel – und mit Recht! – über die „Kirchenrepublik Deutschland“, doch wir sollten nicht übersehen, wie viel sich schon geändert hat – auch weil die säkulare Szene besser aufgestellt ist als vor 20 Jahren. Neu geschaffene Organisationen wie der Humanistische Pressedienst (hpd), die Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid), das Institut für Weltanschauungsrecht (ifw), das Hans-Albert-Institut, der KORSO oder die Säkulare Flüchtlingshilfe tragen dazu bei, dass säkulare Argumente stärker beachtet werden. Sie haben geholfen, den Missbrauchsskandal, die Kirchenfinanzen und die religiöse Diskriminierung am Arbeitsplatz ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Ohne sie hätte die Sterbehilfekampagne „Mein Ende gehört mir!“ kaum einen so triumphalen Erfolg vor dem Bundesverfassungsgericht feiern können. Hier sollten wir aktiv ansetzen – und das würde ich mir auch von der MIZ erhoffen: Weg vom Lamentieren hin zum Gestalten der Verhältnisse!

MIZ: Heute bist du politisch in erster Linie als Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung aktiv, die unter dem Stichwort „Humanismus“ ein wesentlich breiteres Themenfeld bearbeitet als die MIZ. Würdest du der MIZ mittelfristig eine inhaltliche Ausweitung empfehlen oder führt das eher zu einem Profilverlust?

MSS: In meiner Zeit als MIZ-Chef­redakteur haben wir im Grunde schon die gleichen Themen behandelt, die wir heute mit der gbs beackern. Ich habe nicht den Eindruck, dass damals das Profil der MIZ verlorenging, ganz im Gegenteil! Auf längere Sicht sehe ich ohnehin keine vernünftige Alternative zu einer thematischen Öffnung, denn die Menschen in Deutschland interessieren sich immer weniger für die Kirchen – und damit auch immer weniger für Kirchenkritik. Insofern halte ich eine enge Fokussierung auf die Kirchen nicht für zukunftsträchtig – weder für die MIZ noch für die säkularen Verbände: Wer sich an die veränderten sozialen Bedingungen nicht anpasst, wird über kurz oder lang von der Bildfläche verschwinden.