Prisma | Veröffentlicht in MIZ 2/22 | Geschrieben von Assunta Tammello

„Du hast keine Chance, aber nutze sie“

Nachruf auf Herbert Achternbusch

Herbert Achternbusch, ein bayerisches Original und Ausnahme­künstler, hat sein Publikum für immer verlassen, schon im Januar 2022, im Alter von 83 Jahren. Gestorben ist er in München, also in der Stadt, in der er 1938 – als uneheliches Kind einer Sportlehrerin und eines Zahnarztes – geboren wurde. Und man wagte kaum, seinen Augen und Ohren zu trauen, als nach Bekanntwerden seines Todes sich Teile der bayerischen Politprominenz daran schickten, öffentlich großes Bedauern zu äußern ob dieses Verlustes für die bayerische Kultur!

Da waren sich doch ausgerechnet einige aus der „unser’n Partei“ (die CSU, Zitat frei nach der Biermösl Blosn) nicht zu schade dafür, dem verstorbenen Künstler Lob zu zollen. Als hätten sie gänzlich vergessen, dass es im Wesentlichen immer die Vertreter der CSU gewesen sind, die dem anarchistisch, bisweilen unergründlich und unangepasst malenden, schreibenden und Filme schaffenden Universalkünstler Achternbusch das Leben schwer machten. Wenn er diese Lobhudelein zu Lebzeiten noch mitbekommen hätte, es wäre sicherlich mehr als Grund genug für ihn gewesen, die entsprechenden Seiten der Zeitungen mit dergleichen Nachrufen öffentlich zu zerreißen oder zu verbrennen (wie schon 1977 den ihm von Hubert Burda als Preisgeld des Petrarca-Preises übergebenen Scheck über 20.000 DM).

Welcher Künstler möchte denn schon vom ehemaligen bayerischen Kultus­minister Hans Maier oder vom sang- und klanglos – nach gerade einmal vier Jahren im selben Amt – irgendwohin in die Niederungen des bayerischen Politikbetriebs entschwun­denen Bernd Sibler nach dem eigenen Ableben hoch gelobt werden? Wo bestimmt nicht nur Achternbusch selber Grund zur Annahme hätte, dass ersterer sich mit seinem künstlerischen Werk nur beschäftigt hat, um als bekennender bayerischer Katholik dagegen wettern zu können; und letzterer nicht im Verdacht steht, auch nur einen der 30 Achternbusch-Filme oder nur eines von Achternbuschs 20 Theaterstücken angesehen bzw. eines seiner 40 Bücher gelesen zu haben! Wenn er überhaupt schon einmal in den Kammerspielen in München gewesen ist, wo Achtern­buschs Ein-Frau-Stück Susn als Drama einer Vernichtung – gespielt von der großartigen Brigitte Hobmeier – wochenlang für ein volles Haus sorgte. „In Bayern möchte ich nicht einmal begraben sein“, könnte Achternbuschs passender Kommentar auch zu diesem Umstand sein.

Nach Ansicht von Werner Herzog, der früh schon mit Herbert Achtern­busch zusammen gearbeitet hat, wird dieser viel zu sehr von der bayerischen Landeshauptstadt München vereinnahmt. Obwohl der fünfjährige Herbert nach dem Selbstmord seiner Mutter zur Oma in den Bayerischen Wald kommt und dort aufwächst. Seine Oma ist die wesentliche Bezugsgröße in seinem Leben und ist das auch geblieben. Und der Bayerische Wald ist die Gegend – so Werner Herzog –, wo die Wurzeln für das gesamte Schaffen von Achternbusch liegen. Nun, der allerdings macht erst einmal wie so viele Abitur, beginnt ein Studium an der pädagogischen Hochschule, das er abbricht, um dann an den Kunstakademien in Nürnberg und München zu studieren. Und zu schreiben. Schon in den 1960er Jahren wird er vom damaligen Lektor des Suhrkamp-Verlags – Martin Walser – als Autor entdeckt. Bereits 1970 beginnt er, als Produzent, Drehbuchautor, Regisseur und Schauspieler zu arbeiten, auch in Hörspielen wirkt er mit. Sein letzter Film Das Klatschen der einen Hand wird 2002 fertig, danach gibt es keinen weiteren Film mehr von bzw. mit ihm, und es wird auch insgesamt ruhiger um den unangepassten bayerischen Unruhestifter. Gerade auch seine Filme sind samt und sonders sog. „Low-Budget“-Produktionen, genau genommen wohl noch treffender No-Budget-Produktionen. Denn wer würde ihm – so sagt er einmal in einem Interview – irgendein Geld dafür geben, dass er auch mit seinem filmischen Schaffen die Bigottheit und die Obrigkeitshörigkeit der bayerischen Volksseele nachdrücklich zum Thema macht? Aber er hat tatsächlich auch Geld bekommen, und zwar Filmfördergelder für seinen 1982 erschienenen Film Das Gespenst, in dem er selber Jesus darstellt, der vom Kreuz herabsteigt, um mit einer katholischen Nonne (dargestellt von seiner zeitweiligen Lebensgefährtin Annamirl Bierbichler) auf Wanderschaft zu gehen und eine Kneipe zu eröffnen. Nicht weiter verwunderlich wird das Werk vom damaligen Innenminister der Bundesrepublik – dem CSU-Politiker Friedrich Zimmermann, auch bekannt als „Old Schwurhand“ – als „blasphemisch“ eingestuft und die Auszahlung der restlichen Fördergelder daher auf Eis gelegt. Dagegen allerdings geht Achternbusch gerichtlich vor und erreicht nach 10 Jahren Rechtsstreit die Restauszahlung. „Kunst kommt von Kontern“ sagte er einmal, vielleicht sogar aus diesem Anlass.
Achternbusch, dessen großes Vor­bild Karl Valentin gewesen ist, ist – wie auch Valentin – als Universalkünstler so wohl tatsächlich nur in Bayern denkbar! Das Land, das jahrzehntlang der CSU und der katholischen Kirche gehörte (und teilweise noch immer gehört), hat für viele mutige, eigenständige Künstler die ideale Umgebung für ihr die Obrigkeiten herausforderndes künstlerisches Schaffen gebildet wie zum Beispiel auch für den niederbayerischen Kabarettisten Sigi Zimmerschied (um nur einen zu nennen, u.a. Sapio-Preisträger des IBKA).

Achternbusch selber war es darüber hinaus quasi egal, ob seine Kunst beim Publikum angenommen oder gar verstanden wurde. Wie zu seiner Heimat Bayern insgesamt verband ihn mit dem Publikum zeitlebens eine Hassliebe, und nicht selten betonte er seine echte Geringschätzung der bayerischen Menschen wegen fehlender Aufmüpfigkeit. Auch deshalb dürfte er über Bayerns Grenzen hinaus nicht die Anerkennung bekommen haben, die er – der Ausnahme-Künstler – verdient hätte. Lobenswert immerhin, dass für die amtierende Kulturministerin des Bundes – Claudia Roth – der Name Herbert Achternbusch nicht unbekannt ist. Wenn diesem aber – irgendwo im Universum vielleicht – zu Ohren kommen sollte, dass sie ihn als „Heimatkünstler im allerbesten Sinn“ bezeichnet, dann könnte es wohl sein, dass der leidenschaftliche Biertrinker Achternbusch wie Ludwig Thomas „Wachmann Aloisius Hingerl“ wieder herabsteigt ins Weiße Bräuhaus in der Münchner Au, um der Frau Minister mit Sicherheit nicht reinen Wein, sondern reines bayerisches Weißbier einzuschenken, auf dass sie in Bezug auf Achternbusch und seine Kunst klarer sehen möge! Auch wenn er dazu ziemlich sicher keine Chance haben wird, in seinem Sinne wird er sie nutzen!