MIZ 2/22

Selbstbestimmung am Ende des Lebens

Die Suizidhilfedebatte
Porträt Gunnar Schedel, Foto: privat
Editorial

Ich bin dann mal weg…

Gunnar Schedel

Ich weiß nicht, ob es etwas geändert hätte. Hätte mein Jugendfreund ein Beratungsangebot, wie es nun vorgesehen ist, wahrgenommen? Hätte er seinen Entschluss, das Leben hinter sich zu lassen, das ihm mit den Jahren zu einer Last geworden war, die er nicht mehr tragen konnte, revidiert? Hätte er sich Pentobarbital verschreiben lassen, anstatt von einer 50 Meter hohen Autobahnbrücke zu springen? Ich denke, die bürokratischen Hürden und die Rolle des Bittstellers hätten ihn, einen Mann mit Hochschulabschluss im sechsten Lebensjahrzehnt, abgeschreckt. Aber ich kann mich täuschen.

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Schwerpunktthema

Dieter Birnbacher (DGHS), Ludwig Minelli (dignitas) und Michael Schmidt-Salomon (gbs) nach Verkündung des bahnbrechenden Urteils des Bundesverfassungsgerichts zu § 217 StGB im Februar 2020, Foto: Michael Reich
Schwerpunktthema

Ein neues Suizidhilfe-Gesetz wird 
im Bundestag diskutiert
Welche Positionen vertreten die säkularen Verbände?

Gunnar Schedel

Im Februar 2020 befand das Bundesverfassungsgericht, dass die bestehende Fassung des § 217 StGB, der nahezu jede Unterstützung von Suizidwilligen unter Strafe stellte, gegen das Grundgesetz verstoße. In der Debatte um eine gesetzliche Neuregelung der Suzidhilfe zeigte sich schnell, dass die Konservativen in allen Fraktionen nicht bereit waren, sich einfach damit abzufinden, was Karlsruhe klargestellt hatte: Das Selbstbestimmungsrecht des Menschen gilt auch am Lebensende. Dahinter steht auch eine tiefe Kluft, was das jeweilige Menschenbild angeht.

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Das Universalwerkzeug der Medizinethik: Nicht-Schädigung, Fürsorge, Respektierung der Selbstbestimmung und der Gerechtigkeit, Fotos: LMoonlight / Pixabay
Schwerpunktthema

Selbstbestimmung – vier Missverständnisse

Dieter Birnbacher

1979 haben Tom Beauchamp und James Childress zum ersten Mal für die Medizin ihren Kanon der Vier Prinzipien der Nicht-Schädigung, der Fürsorge, der Respektierung von Selbstbestimmung und der Gerechtigkeit formuliert. Seitdem ist dieses Schema international zu so etwas wie dem Universalwerkzeug der Medizinethik geworden. Eine der eher problematischen Konsequenzen dieses Erfolgs war, dass das dritte Prinzip, im Englischen autonomy genannt, im Deutschen immer wieder unter dem Namen „Autonomie“ geführt wird. Dabei blieb häufig unbeachtet, dass „Autonomie“ im Deutschen durch eine Vielzahl von Bedeutungen belegt ist, die mit der Respektierung des Patientenwillens, um die es bei autonomy geht, allenfalls indirekt zu tun haben.

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Staat und Kirche

Forschende der Universität Münster stellen am 13. Juni 2022 die Ergebnisse ihrer Studie zum Missbrauch im Bistum Münster der Öffentlichkeit vor, Foto: Daniela Wakonigg
Staat und Kirche

Täterorganisation: Katholische Kirche
Studie zum Missbrauch im Bistum Münster

Daniela Wakonigg

Mitte Juni wurde die Studie zum Missbrauch im Bistum Münster 
vorgestellt. Sie offenbart ein erschreckendes Maß an Vertuschung 
auf Gemeindeebene ebenso wie auf Ebene der bischöflichen 
Verwaltung und zeigt spezielle katholische Ermöglichungs­strukturen auf, durch die sexueller Missbrauch an Minderjährigen in der katholischen Kirche über Jahrzehnte befördert wurde.

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Ferda Ataman wurde im Juli 2022 Unabhängige Bundes­beauftragte für Antidiskriminierung, Foto: © Euku on Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en
Staat und Kirche

Was trennt uns wirklich?
Ferda Ataman zeigt ein oberflächliches Verständnis 
von Diskriminierung

Lale Akgün

„Alle brauchen eine Ferda Ataman“, hieß es in der Pressemitteilung der Neuen deutschen Medienmacher*innen. Der Grund für diese euphorische Feststellung: Ferda Ataman, die ehemalige langjährige Vorstandsvorsitzende, war am 7. Juli als neue Unabhängige Bundes­beauftragte für Antidiskriminierung gewählt worden. Nun, wer immer auch mit „alle“ gemeint war, Fakt ist: nicht „alle“ sahen es so. Die journalistische und aktivistische Anti-Diskriminierungspolitik von Ferda Ataman war für mehr als einige polarisierend und einseitig.

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Solidarität mit den Opfern einer politischen Justiz: Aufruf des Zentralrats der Ex-Muslime, den § 166 StGB abzuschaffen.
Staat und Kirche

Auferstanden…
Der § 166 StGB findet jetzt auch Anwendung 
gegen Kritik am Islam

Romo Runt

Als der § 166 StGB, der „Gotteslästerungsparagraph“, noch poli­tisch umkämpft war, wurde als eines der Argumente für seine Abschaffung oft angeführt, dass die Regelung nur zugunsten des Christentums eingesetzt werde; andere Religionen oder Weltanschauuungen seien zwar vom Gesetzestext her inbegriffen, in der Realität der behördlichen Ermittlungen jedoch nicht. Das scheint sich jetzt gerade zu ändern – was aber kein Fortschritt ist, sondern eine Rolle rückwärts in die 1980er Jahre.

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Prisma

Kunstwerk beim Geburtshaus des Erasmus von Rotterdam: „Quaevis terra patria“ – Die ganze Welt ist mein Vaterland, Fotos: Desiré Kranenburg / Unsplash
Prisma

Erasmus von Rotterdam
Humanist, nicht Nationalist

Ralf Schöppner

Seit März dieses Jahres ist es klar: Die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung soll kein Geld aus dem Bundeshaushalt 2022 bekommen. Die Stiftung will deshalb den Haushaltsausschuss des Bundestages verklagen. Zwei Jahre zuvor hatte die Humanistische Akademie Deutschland den Band Erasmus von Rotterdam – Humanist, nicht Nationalist herausgebracht. Die Beiträge zeigten, dass Erasmus denkbar ungeeignet ist für schlichte ideologische Vereinnahmungen durch politische und weltanschauliche Positionen generell, insbesondere aber durch völkischen Nationalismus und Rechtspopulismus.

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Religiöse Wesenheiten können eben nicht 'ganz anders' gedacht werden, sondern allenfalls als so etwas wie Comic-Superhelden, Foto: Pixabay CC0
Prisma

Was genau heißt „übernatürlich“?

Martin Mahner

Naturalisten tun sich zu Recht schwer mit dem Übernatürlichen. Doch was genau ist das eigentlich? Präziser: Was genau würde man darunter verstehen, wenn es denn existierte? Eine kleine philosophische Analyse zeigt, dass ‘übernatürlich’ nicht gleich ‘übernatürlich’ ist.1

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Aus Löwenzahnsamen derselben Pflanze wachsen im Hochland kleine, flache Pflanzen, im Tiefland aber große, hohe Pflanzen, Fotos: © adege / Pixabay
Prisma

Was kann die Erweiterte Evolutionäre Synthese leisten?
Teil 6: Die Erweiterte Evolutionäre Synthese

Thomas Waschke

In den letzten Jahren ist mit der Erweiterten Evolutionären Syn­these (ES) ein Konzept formuliert worden, das aus verschie­denen Gründen das Potenzial hat, die Rolle der Modernen Synthese (MS) zumindest als Standard in dem Sinn, dass mit deren Modellen die gesamte Evolution erklärt werden kann, infrage zu stellen. Die ES ist zwar aktuell noch in der Entwicklung begriffen, aber die wesent­lichen Konturen sind schon deutlich zu erkennen. In diesem Beitrag sollen die vier fachwissenschaftlichen Themenfelder, auf denen diese Theorie basiert, kurz vorgestellt werden.

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Herbert Achternbusch bei der Eröffnung des Filmfestes in München 2015, Foto: © Harald Bischoff, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en
Prisma

„Du hast keine Chance, aber nutze sie“
Nachruf auf Herbert Achternbusch

Assunta Tammello

Herbert Achternbusch, ein bayerisches Original und Ausnahme­künstler, hat sein Publikum für immer verlassen, schon im Januar 2022, im Alter von 83 Jahren. Gestorben ist er in München, also in der Stadt, in der er 1938 – als uneheliches Kind einer Sportlehrerin und eines Zahnarztes – geboren wurde. Und man wagte kaum, seinen Augen und Ohren zu trauen, als nach Bekanntwerden seines Todes sich Teile der bayerischen Politprominenz daran schickten, öffentlich großes Bedauern zu äußern ob dieses Verlustes für die bayerische Kultur!

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