Schwerpunktthema | Veröffentlicht in MIZ 3/15 | Geschrieben von Christoph Lammers

Radio Gaga

Kirchenpropaganda im Deutschlandradio

Seit geraumer Zeit stehen die Medien in Deutschland unter Beschuss. Repräsentative Studien aus 2014 und 2015 zeigen,1 dass das Vertrauen der deutschen Bevölkerung in die Berichterstattung stark zurückgegangen ist. Als einer der maßgeblichen Gründe für diese Vertrauenskrise wird die einseitige Berichterstattung angesehen. Welche Rolle dies für die säkulare Szene spielt, lässt
sich am Einfluss der Kirchen und Religionsgemeinschaften auf
das Deutschlandradio exemplifizieren. Durch deren Einwirkmöglichkeiten, durch die Wahl der Interviewten und mit der Besetzung der Redaktion werden kirchennahe Positionen gezielt platziert.

Das Deutschlandradio, mit seinen drei Hörfunkprogrammen Deutschland­funk, Deutschlandradio Kultur und Dradio Wissen, gilt als eine Art Institution des bundesweiten Hörfunks. Rund 10 Millionen Hörer_innen haben der 
Deutschlandfunk und das Deutschland­radio Kultur, und mit rund 1,7 Millio
nen täglichen Hörer_innen trägt der 
Deutschlandfunk maßgeblich zur Mei
nungsbildung in Deutschland bei. Auch 
die Kirchen und Religionsgemein­schaften wissen die Programmvielfalt der Sender zu schätzen und nutzen die ihnen zur Verfügung gestellten Sendezeiten, um ihre Sichtweisen zu platzieren und die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Dies geschieht auf unterschiedlichen Wegen, wie im Folgenden gezeigt werden soll.

Gebührenfinanzierte Missionierung

Der Deutschlandfunk hat es sich zur Aufgabe gemacht, sowohl zur religiösen Erbauung als auch zur Missionierung der Hörer_innen beizutragen. So widmet sich eine Vielzahl an Sendungen religiösen und kirchlichen Themen sowie Inhalten und zeichnet ein positives Bild von Kirche und Religion. Hierzu zählen Verkündigungssendungen, die in der Verantwortung der Kirchen liegen (z.B. Morgenandacht und Am Sonntagmorgen) und katholische und evangelische Gottesdienste, die an Sonn- und Feiertagen übertragen werden. Die eigenverantwortlichen Sendungen (z.B. Tag für Tag und Aus Religion und Gesellschaft) bieten darüber hinaus Platz, um Werbung für kirchliche Belange zu betreiben.2 Auch andere Religionsgemeinschaften haben in den letzten Jahren ihren festen Platz in der Senderstruktur bekommen. Zuletzt wurde die Sendung Koran erklärt eingeführt, wo vermeintliche Expert_innen ausgewählte Suren aus dem Koran deuten.

Die Missionierung im Deutschland­radio macht dabei auch vor Kindern nicht halt, wie die Sendeanstalt erklärt: „Kakadu, die Kindersendung im Deutschlandradio Kultur, ging regelmäßig auf religiöse und weltanschauliche Fragen ein und stellte diese Themen kindgerecht und verständlich dar. Die Wochenendausgabe des Kakadu behandelte auch religiöse Themen in 20-minütigen Features.“3 Die Zielsetzung ist klar. Je früher Kinder mit religiösen Inhalten in Kontakt kommen, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass 
diese ein (zu) positives Bild von Reli­gion vermittelt bekommen. Je früher Kinder mit Moralvorstellungen und ethisch fragwürdigen Weltbildern in Kontakt kommen, umso schwieriger wird es die Wissenschaft haben. Damit wird von vornherein einem naturalistischen Weltverständnis ein Riegel vorgeschoben. Das Deutschlandradio hat somit einen erheblichen Anteil an der Verklärung von Religion.

Kirchliche Informationssendungen

In den Informationssendungen des Deutschlandfunks werden seit geraumer Zeit immer weniger unabhängige Expert_innen und Wissenschaftler_innen zu gesellschaftspolitischen Themen angefragt. Vielmehr kommen immer häufiger diejenigen zu Wort, die ein bestimmtes Interesse in der Sache verfolgen, z.B. Parteipolitiker, Kirchenvertreter etc. Dieses Interesse wird als Fakt bzw. Expertise angekündigt. Fragen, insbesondere kritische Nachfragen, sind dabei die Ausnahme. Bei den Hörer_innen soll der Eindruck erweckt werden, der Interviewte könne einen objektiven Beitrag zur Klärung eines Sachverhaltes leisten. Was aus säkularer Perspektive zunächst als kaum relevant angesehen werden könnte, entpuppt sich jedoch bei näherer Betrachtung als außerordentlich problematisch.

So werden in den Interviews der Nachrichtensendungen kirchennahe 
Positionen präsentiert und damit Ein­fluss auf die Meinungsbildung der Hörer_innen genommen. Ein wiederkehrendes Thema der Informationssendungen ist die aktuelle Christenverfolgung in arabischen Ländern. Aus wissenschaftlicher Perspektive gibt es derzeit keine Veranlassung, um von einer signifikanten Bedrohung für Christ_innen auszugehen. Dennoch ermöglicht es der Deutschlandfunk dem CDU-Politiker Volker Kauder, die Angst vor einer christenfreien Welt zu schüren.4 Der der evangelikalen Szene nahestehende Christ ist einer der Politiker_innen, die die Christenverfolgung in ihren Interviews zum Thema machen. Fakten und Zahlen spielen hierbei offensichtlich keine Rolle. Entscheidend ist, dass die Interessen artikuliert werden. Die Verfolgung von Menschen, die wegen Blasphemie gefoltert und mitunter auch getötet werden, spielt im besten Fall eine untergeordnete Rolle.

Ein weiteres Beispiel für die Plat­zierung kirchennaher Positionen in einer Informationssendung war die Diskussion um den baden-württembergischen Bildungsplan. Die 
grün-rote Landesregierung hatte ein Arbeitspapier veröffentlicht, in dem Schüler_innen mit verschiedenen For
men des Zusammenlebens und sexuellen Identitäten in Berührung kommen sollten. Die Kritiker_innen dieses Papiers schürten die Angst vor dem Untergang der Familie und des Abendlandes. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung um sexuelle Vielfalt und Selbstbestimmung interviewte der Deutschlandfunk in einer Informationssendung den ehemaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse (SPD), der zugleich Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) ist. Thierse warb zwar für Respekt auf beiden Seiten, stellte sich aber auf die Seite der Gegner_innen des Bildungsplans und erklärte. „Die vertraute Ehe, die vertraute Form der Partnerschaft für gut, für gar besser zu halten und sie zu verteidigen, ist das schon Intoleranz, ist das schon Homophobie, ist das schon Pflege von Vorurteilen. Oder sollte das in unserer Gesellschaft nicht eine legitime respektable Position sein, zumal sie sich auch in unserer Verfassung, im Grundgesetz findet?“5 Auch hier mangelte es einmal mehr an einer sachdienlichen Expertise zum Thema. Dass der Katholik Wolfgang Thierse die Ehe zwischen Mann und Frau in den Mittelpunkt seiner Argumentation rücken würde, muss dem Redakteur klar gewesen sein. Den Hörer_innen wurde einmal mehr die Möglichkeit genommen, sich in einer Informationssendung durch objektive Fakten informieren zu lassen. Dass es in einem kirchennahen Sender wie dem Deutschlandfunk schwierig ist, für sexuelle Vielfalt und Selbstbestimmung zu werben, wird mit diesem Interview mehr als deutlich.

Homosexualität als Leitkultur

Neben der Wahl der Interviewten kommt auch der personellen Besetzung eine Rolle zu, die kritisch hinterfragt werden muss. Stellvertretend hierfür steht der langlährige Moderator und Redakteur des Zeitfunks im Deutschlandfunk Jürgen Liminski. Liminski ist Opus dei-Mitglied, Gründer des christlich-konservativen Instituts für Demographie, Allgemeinwohl und Familie e.V. und schreibt u.a. für die rechtsnationale Zeitung Junge Freiheit. Durch die Auswahl der Interviewten,6 aber auch durch das Voranschieben von einleitenden Kommentaren oder seiner Fragestellungen verlässt Liminski immer wieder die Rolle des objektiven Interviewers und versucht, christlich-konservative Positionen zu platzieren.

Anfang 2014 erregte das Interview Jürgen Liminskis mit Tobias Teuscher Aufsehen. Teuscher wurde als EU-Experte und „Sekretär der fraktionsübergreifenden Arbeitsgruppe Familienpolitik und Kinderrecht im europäischen Parlament (...)“ vorgestellt. Was Liminski bewusst den Hörer_innen verschwieg, war die Tatsache, dass Teuscher damals für die Liste Force Vie für das Europaparlament kandidierte. Diese wurde von Christine Boutin gegründet, einer vehementen Gegnerin der Homo-Ehe. Damit war dieses Interview vielmehr ein Gespräch zwischen Gleichgesinnten, ohne dass Liminski dies in irgendeiner Weise kenntlich machte.

In dem Interview, das nicht mehr auf den Seiten des Deutschlandfunks zugänglich ist, wurde von beiden das Recht auf Abtreibung, die so genannte Frühsexualisierung von Kindern und die Diskriminierung der Ehe zwischen Mann und Frau beklagt. Liminski verließ von Anfang an die Rolle des Moderators und äußerte sich kritisch zur EU-Politik. „Nur mit knapper Mehrheit konnte eine Resolution verhindert werden, die Abtreibung als ein Recht und in Kindergärten und Schulen sexuelle Vielfalt als Ziel der Erziehung forderte“, so der Redakteur.7 Teuscher überbot diese Position, indem er davon sprach, dass „Homosexualität als Leitkultur in der europäischen Union errichtet“ werden solle. Teuscher setzte dem sogar noch einen oben drauf, als er, aufgefordert durch die Moderation, sich zur Sexualaufklärung in Schulen äußerte. „Und jetzt sagen Sie mir selber, Herr Liminski, was soll denn bitte sein, wenn man im Kindergarten frühkindliche Masturbation fördert? Das ist für mich und für viele andere Politiker auch die Legitimierung von Pädophilie mit dem Gütesiegel der europäischen oder internationalen Institutionen. Und die Grünen machen das ganz bewusst und treiben diese Agenda ganz bewusst voran.“ Widerspruch oder kritisches Nachfragen blieb aus. Ganz im Gegenteil. Liminski schloss das Interview mit folgenden Worten. „Die Gefahr der Gleichschaltung in sozialen Fragen durch EU-Richtlinien-Resolutionen wird konkreter. Das war aus Brüssel der Sekretär der fraktionsübergreifenden Arbeitsgruppe Familien
­politik im Europaparlament, Tobias Teuscher. [...]“

Zwar wurde Jürgen Liminski danach zum Rapport bestellt, aber Konsequenzen hatte das Interview für den Redakteur nicht, was möglicherweise an der Freundschaft zum Intendanten Willi Steul liegt. Beide kennen sich noch aus Studienzeiten. Bis Anfang 2014 war Willi Steul als Unterstützer des von Liminski initiierten Instituts für Demographie, Allgemeinwohl und Familie e.V. geführt. Nach der Affäre um Tobias Teuscher wurde Steuls Name dort gelöscht. Sowohl Teuscher als auch Liminski wurden in rechtskonservativen und katholischen Foren gefeiert.8

Säkulare Positionen stärken

Diese und einige weitere Beispiele zeigen, dass die öffentlich-rechtlichen Sender ganz explizit für kirchliche Inhalte werben und darüber hinaus mit der Auswahl der Interviewten und der Besetzung ihres Personals eine kirchenfreundliche Meinungsbildung befördern. So ist es nicht verwunderlich, dass der vormalige Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, im Dezember 2014 in einem Gastbeitrag im Programmheft des Deutschlandradios feststellte: „Gute 
politische Sendungen und Kulturpro­gramme, Musik und auch geistliche Worte im Hörfunk sind anregende Impulse, die mein Leben bereichern. Dafür bin ich dankbar.“ Neben den dezidiert kirchlichen Erbauungs- und Mis­sionierungssendungen werden immer öfter Positionen präsentiert, die, wie die Interviews um sexuelle Vielfalt in Deutschland und Europa zeigen, nichts mit Expertise zu tun haben, sondern der Vermittlung eines antiaufkläreri­schen und reaktionären Weltbildes die
nen. Umso dringender ist es, dass es den 
Vertreter_innen eines säkularen, humanistischen Weltbildes gelingt, einerseits fragwürdige Positionen zu identifizieren und zu kritisieren, andererseits eigene Positionen zu artikulieren.

Anmerkungen:

1 Vgl. Leiterer, Annette: ZAPP Studie: Ver­trauen in Medien ist gesunken. http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/zapp/ZAPP-Studie-Vertrauen-in-Medien-gesunken,medienkritik100.html; Huber, Joachim: Mehrheit der Deutschen misstraut politischer Berichterstattung. In:Tagesspiegel online, http://www.tagesspiegel.de/medien/aktuelle-umfrage-mehrheit-der-deutschen-misstraut-politischer-berichterstattung/11961778.html [Zugriff: 5.11.2015].
2 Vgl. Deutschlandradio: Bericht über programmliche Leistungen und Perspektiven des Nationalen Hörfunks 2010-2012, S. 25. http://www.deutschlandradio.de/index.media.6c9a4ac8b5e5dbc801f45a48c563410a.pdf [Zugriff: 5.11.2015].
3 Deutschlandradio: Bericht über programmliche Leistungen und Perspektiven des Nationalen Hörfunks 2014-2016, S. 27. http://www.deutschlandradio.de/index.media.c514b48d2aa028f114198a6a58ee7d64.pdf [Zugriff: 5.11.2015].
4 Vgl. „Die Amerikaner sind jetzt gefordert.“ Interview mit Volker Kauder vom 31.7.2014, http://www.deutschlandfunk.de/christenverfolgung-im-irak-die-amerikaner-sind-jetzt.694.de.html?dram:article_id=293160 [Zugriff: 5.11.2015].
5 „Ängste überwindet man nicht durch Be­schimpfungen.“ Interview mit Wolfgang Thierse vom 10.2.2014, http://www.deutschlandfunk.de/homosexualitaet-in-deutschland-aengste-ueberwindet-man.694.de.html?dram:article_id=277068 [Zugriff: 5.11.2015].
6 Liminski interviewte eine Vielzahl an Perso­nen aus dem rechtskonservativen Spektrum. Hierzu zählen u.a. Dagmar Neubronner und 
Martin Lohmann. Neubronner ist Ikone der 
Home Education-Bewegung in Deutschland. 
Darüber hinaus ist sie Autorin, Heilpraktike
rin und Anhängerin der Neuen Germani­schen Medizin. Martin Lohmann ist ehemaliges CDU-Mitglied und Bundesvorsitzender des Bundesverbands Lebensrecht.
7 Zit. nach Niggemeier, Stefan: Der Deutschlandfunk über „Gleichschaltung“ und „Homosexualität als Leitkultur“. http://www.stefan-niggemeier.de/blog/17010/der-deutschlandfunk-die-gleichschaltung-und-homosexualitaet-als-leitkultur/ [Zugriff: 5.11.2015].
8 Vgl. Experte wirft Grünen Legitimierung von Pädophilie vor. In: Freie Welt vom 13.1.2014, http://www.freiewelt.net/nachricht/experte-wirft-gruenen-foerderung-von-paedophilie-vor-10021058/; Konservativer Journalist für Interview kritisiert. In: Freie Welt vom 20.01.2014, http://www.freiewelt.net/nachricht/konservativer-journalist-fuer-interview-kritisiert-10022158/ [Zugriff: 5.11.2015].