John Cornwell: Die Beichte. Eine dunkle Geschichte. Berlin Verlag, Berlin 2014. 320 Seiten, gebunden, 22,99 Euro, ISBN 978-3-8270-1155-8
Die katholische Kirche war von Beginn an darum bemüht, Kontrolle über die Köpfe der Gläubigen auszuüben. Die Beichte (das „Bußsakrament“) steht synonym dafür. Nutzten Christen zunächst die öffentliche Beichte vor der Gemeinde, um ihre Sünden zu bekennen, kam im Mittelalter die Ohrenbeichte immer stärker zum Tragen. Im 16. Jahrhundert wurde schließlich vom italienischen Kardinal und Gegenreformator Carlo Borromeo (1538-1584) der Vorgänger des heutigen Beichtstuhls, die so genannte „Black Box“, erfunden. Erst mit dem 1910 von Papst Pius X. erlassenen Dekret Quam singulari est (dt.: Mit welch einer besonderen [Liebe]) wurde die Kinderbeichte festgeschrieben und stellt, folgt man der Darstellung John Cornwells, eines der dunkelsten Kapitel der jüngsten Kirchengeschichte dar.
Der Journalist und Buchautor John Cornwell hat mit seinem Buch einen kritischen Blick auf diese unheilvolle Geschichte geworfen. Es besticht durch die nüchterne und angenehm sachliche Darstellung und ist zugleich faszinierend wie erschütternd.
Der erste Teil des Buches zeichnet die Geschichte der Beichte nach und zeigt auf, wie sich die Beichte nach und nach zu einem Instrument aus Macht und Unterdrückung entwickeln konnte. Der zweite Teil des Buches ist Pius X. und der Veränderung der Beichtpraxis im 20. Jahrhundert gewidmet. Pius X. galt als Hardliner seiner Zeit, weshalb Cornwell denn auch zu einem wenig schmeichelhaften Urteil kommt: „Das Pontifikat Pius X. [...] war geprägt von einem engstirnigen Klerikalismus, einer ebenso hierarchischen wie autoritären Herrschaft sowie der Entschlossenheit, Gehorsam durch Angst zu erzwingen: schon bei den jüngsten Gläubigen, die am leichtesten zu beeinflussen waren.“ (S. 285f.) Die Mischung aus extremer Körper- und Sexualfeindlichkeit sowie das Heranzüchten autoritärer, weltfremder und sexuell verklemmter Priester ermöglichte es, dass der Beichtstuhl zu einem Ort der physischen wie psychischen Ausbeutung wurde. Für einen nicht geringen Teil von Priestern war der dunkle Raum der ideale Ort, um absolute Macht ausleben zu können. Dies führt Cornwell im zweiten sowie im dritten Teil des Buches weiter aus.
Die Psychoanalytikerin Eveline List bezeichnete die Beichte in ihrem Aufsatz Von der Gottesfurcht zu Gewissenangst: zur Entstehung des modernen Über-Ichs (2009) als „bestimmende ideologische Macht“, die der Kontrolle der einzelnen Menschen und der Etablierung der „Idee der persönlichen Schuld“ diente. Das Charakteristische der Beichte liegt somit in ihrer totalitären Eigenschaft von Kontrolle und Schuld. Dass John Cornwell, trotz seiner Darstellung, an der Beichte als „spiritueller Hilfe“ für Gläubige bzw. als „Versöhnung mit seiner Kirche“, wie er in einem Interview betonte, festhält, hinterlässt einen durchaus fahlen Beigeschmack. Dennoch ist dieses Buch ein durchaus interessanter Beitrag zur Kriminalgeschichte des Christentums.