Buchbesprechung | Veröffentlicht in MIZ 4/22 | Geschrieben von Christoph Lammers

Rezension von Mathias Tietke: Yoga Hitler

Mathias Tietke: Yoga Hitler. Der Einfluss von Yoga und indischer Philosophie auf die Ideologie des Nationalsozialismus. Verlag Ludwig, Kiel 2021. 157 Seiten, kartoniert, 17,90 Euro, ISBN 978-3-86935-253-4

Millionen von Menschen teilen seit Jahr-
zehnten weltweit eine Leiden­schaft: das Yoga. Beim Yoga handelt sich um eine indisch-philosophische Lehre, deren Übungen heutzutage den vielleicht profitabelsten Zweig der Wellnessbranche darstellen. Es ist eine dieser mythisch-mystischen Weltsichten, die in den Industriestaaten auf große Begeisterung stößt, weil es einerseits etwas Fremdes und Unnahbares auszudrücken scheint und damit verklärt wird. Andererseits bietet Yoga die Möglichkeit, dem Alltags- und Familienstress zu entfliehen. Gerade diese Mischung aus Romantisierung und Heilssehnsucht hat eine Tradition im deutschen Geist.

Denn nicht nur gestresste und esoterikaffine Menschen wissen etwas mit Yoga anzufangen. Bereits seit den 1920ern gab es einen regelrechten Yoga-Boom in Deutschland. Auch im Nationalsozialismus gab es zahlreiche Personen, die mit der indischen Philosophie vertraut und bemüht waren, Yoga und die indische Philosophie in ihr menschenverachtendes Weltbild zu integrieren.
Der Journalist und Yoga-Lehrer Mathias Tietke beschäftigt sich auch in seinem zweiten Buch mit der Verflechtung von orientalischer Mystik und Nationalsozialismus und spürt so den blinden Flecken des Yoga nach. Dass diese Auseinandersetzung dringend geboten ist, steht außer Frage. Yoga und die indische Philosophie boten sich geradezu an, in den nationalsozialistischen Kanon des neuen arischen Menschen übernommen zu werden. Insofern ist das bis heute in weiten Teilen der Yoga-Bewegung geglaubte Leitbild – etwas, was so (vermeintlich) gut ist, kann nicht mit schlechten Dingen in Verbindung gebracht werden – ein Selbstbetrug.
Tietke widmet sich verschiedenen Personen und deren Affinität zum Yoga und zur indischen Philosophie. Allen voran Adolf Hitler und Heinrich Himmler und deren Yoga-Rezeption stehen dabei im Vordergrund. So kann Tietke nicht nur zeigen, dass Hitler Yogabücher besaß und sich mit der Thematik befasst haben muss. In der seit 1924 verlegten Zeitschrift Die Weiße Fahne der Neugeist-Bewegung wurde über Adolf Hitler gesagt: „Unser Führer ist Yogi“ und dessen Leben und Werk seien „leibgewordener Yoga“.
Tietke formuliert keine prinzipielle Kritik am Yoga. Dennoch sei allen das Buch empfohlen, die einen weiten Blick auf die (Rezeptions)Geschichte des Yoga in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wagen wollen und das reziproke Verhältnis von Yoga und Nationalsozialismus näher in den Blick nehmen möchten. Oder um es mit den Worten des Autors zu sagen: „Der hohe Grad von Anpassungsfähigkeit des Yoga an die jeweiligen Umstände und Verhältnisse ist der Grund für seine weltweite Verbreitung (...). Sein breites Spektrum macht Yoga kompatibel für destruktive Ideologien, aber ebenso für radikale Pazifisten, Eremiten und für therapeutische Ansätze.“