Mathias Tietke: Yoga im Nationalsozialismus. Konzepte, Kontraste, Konsequenzen. Verlag Ludwig, Kiel 2011. 218 Seiten, kartoniert, Euro 24,90, ISBN 978-3-86935-013-4
Was haben Schopenhauer, Nietzsche, Schlegel, Novalis und Millionen von Menschen weltweit gemeinsam? Es ist die Leidenschaft für das Yoga. Eine indisch-philosophische Lehre, deren Übungen heute kaum noch aus dem Wellnessbereich der Fitnessstudios und den Köpfen des Bildungsbürgertums wegzudenken ist. Es ist eine dieser mythisch-mystischen Weltsichten, die in den Industriestaaten auf große Begeisterung stößt.
Bereits in den 1920ern und 30ern gab es einen regelrechten Yoga-Boom. Diese Zeit ist jedoch in Vergessenheit geraten, weil sie an einem wunden Punkt der Yoga-Rezeption rührt. Denn die Vertreter_innen dieser Lehre eint die Vorstellung, dass etwas, was so gut ist, nicht mit schlechten Dingen in Verbindung gebracht werden kann. Damit wurde ein Geschichtsbild konstruiert, welches jetzt das erste Mal kritisch hinterfragt wird. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob die von den Vertreter_innen zugewiesene Rolle Yoga im Nationalsozialismus stimmt oder ob möglicherweise Yoga ein ideologisches Instrument war, welches sich die Nationalsozialisten zu Eigen machten? Der Autor und erfahrene Yogalehrer Mathias Tietke hat sich dieser Frage genähert. Er hat sich intensiv mit der Geschichte des Yoga im Nationalsozialismus beschäftigt und ist in den Archiven fündig geworden. Die Vorstellung, Yoga sei eine verfolgte Philosophie gewesen, ist demnach nicht länger haltbar. Zwar gab es Vertreter_innen des Yoga, die dem Nationalsozialismus kritisch gegenüberstanden, aber es gab auch den „arischen Yoga“. Dennoch wird von offizieller Seite die enge Verquickung mit dem Nationalsozialismus verschwiegen oder, wie im Fall der Yogabuchautorin Anna Trökes, sogar falsch wiedergegeben. Tietke stellt erstmals die, wie er schreibt, „Wirkungen und Wechselwirkungen (...,) wie sich der Nationalsozialismus auf die Entwicklung des Yoga in Deutschland ausgewirkt hat und wie Yoga (...) sich auf die nationalsozialistische Politik auswirkten“, dar.
Tietke zeichnet in den acht Kapiteln seines Buches die Bedeutung des Yoga für deutsche Philosophen, Theosophen und Nationalsozialisten nach. Somit ist sein Buch sicherlich eine Studie, die eine Vorreiterfunktion einnehmen kann und muss. Tietke formuliert, vielleicht auch aufgrund seines eigenen Selbstverständnisses, keine prinzipielle Kritik am Yoga. Dennoch verzerrt er das historische Bild nicht, ebenso wenig die starke Affinität der heutigen Yoga-Bewegung zur Autorität. In einem Interview antwortete Tietke auf die Frage, inwieweit im Yoga eine Sehnsucht nach einem Führer zu finden sei, dass die „Sehnsucht nach einer Autorität und jemandem, der führt (...) auch in der Yoga-Szene stark verbreitet“ sei. Es ist dem Autor zu verdanken, dass hier ein neuer Blick eröffnet wird für das bessere Verständnis des ideologischen Überbaus des Nationalsozialismus. Daher sei das Buch allen empfohlen, die einen anderen Blick auf die (Rezeptions)Geschichte des Yoga in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wagen wollen.