Schon zwei Jahre bevor das Thema im Bundestag erstmals ernsthaft diskutiert wurde, gab es auf Landesebene einen Versuch, das Problem in Angriff zu nehmen. Der Linken-Abgeordnete Wulf Gallert brachte im August 2019 einen Antrag zur Ablösung der Staatsleistungen in den Landtag von Sachsen-Anhalt ein und begründete in einer Rede, warum es sinnvoll ist, die Sache anzugehen, ohne auf den Bund zu warten. Die Sache wurde an einen Ausschuss überwiesen und verlief letztlich im Sande. Über die damalige Initiative und die Perspektiven, auf Landesebene Lösungen zu finden, sprach MIZ mit Wulf Gallert.
MIZ: Sie haben 2019 im Landtag von Sachsen-Anhalt einen Antrag mit dem Titel „Verfassungsauftrag wahrnehmen – Staatskirchenleistungen ablösen“ eingebracht. Das war, bevor im Bundestag über ein Rahmengesetz diskutiert wurde. Was hat sie dazu bewogen, die Initiative auf Landesebene zu ergreifen?
Wulf Gallert: Die entsprechenden Rahmenverträge zu den Staatskirchenleistungen wurden Anfang der 1990er Jahre durch das Land Sachsen-Anhalt mit den jeweiligen Kirchengliederungen veranlasst. Die Ausgestaltung dieser Verträge, insbesondere der darin enthaltende Umfang der Staatskirchenleistungen, unterscheidet sich zwischen den verschiedenen Bundesländern erheblich. Sachsen-Anhalt hat im Verhältnis zu seiner Einwohnerzahl den höchsten Leistungsumfang aller Länder gemessen an der Einwohnerzahl. Noch dramatischer ist das Verhältnis von Kirchenmitgliedern und Zahlungsleistungen. Die Dynamisierungsklauseln in den jeweiligen Verträgen bewirken eine erhebliche Belastung des Landeshaushaltes. Der Veränderungsdruck ist in Sachsen-Anhalt am höchsten. Auf der Bundesebene wurde zu diesem Zeitpunkt bereits über ein Rahmengesetz geredet, allerdings war ein entsprechender Beschluss leider nicht absehbar. Ein weiteres Motiv für einen solchen Antrag war zum Teil die Debatte über die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern. Währenddessen insbesondere CDU, SPD und Grüne im Landesparlament auf die Verantwortungsebene Bund zeigten, sprachen sich insbesondere Vertreter von CDU und SPD auf Bundesebene dafür aus, diese Dinge auf Landesebene zu regeln. Diese kollektive Verantwortungslosigkeit bewog die Fraktion zum 100. Jahrestag der Weimarer Reichsverfassung, in der das Ablösegebot enthalten ist, den Antrag im Landtag einzubringen.
MIZ: Der Antrag führte letztlich nicht zu einem Landesgesetz. Was waren die Argumente derjenigen, die sich dagegen aussprachen?
Wulf Gallert: Bei den Koalitionsfraktionen von CDU, SPD und Grünen überwog das Argument der Bundeszuständigkeit für dieses Problem. Teilweise wurden sachfremde Argumente wie das soziale Engagement kirchlicher Träger ins Feld geführt oder die besondere Rolle der Kirchen in der Gesellschaft, die diese Zahlungen berechtigen würden. Seitens der Grünen gab es das Argument, dass die Umsetzung der Forderung im Grundgesetz zur Ablösung der Staatskirchenleistungen Ausdruck einer kirchenfeindlichen Haltung wäre. Die AfD lehnte den Vorstoß ab, weil sie eine entschädigungslose sofortige Einstellung der Staatskirchenleistungen verlangte.
MIZ: Nun ist es ja nicht allzu schwer auszurechnen – und Sie haben in der Landtagsdebatte am 30.8.2019 ja auch darauf hingewiesen –, dass eine Ablösung der Staatsleistungen den Bundesländern mittelfristig finanzielle Entlastung bringen würde. Warum betreiben die Landtagsfraktionen dann nicht die Umsetzung des Verfassungsauftrages?
Wulf Gallert: Der Stillstand auf diesem Gebiet, verursacht durch die Blockade der Koalition, hat eine Reihe von Ursachen. Einerseits gibt es eine Vielzahl von Interessenvertretern der kirchlichen Strukturen in den politischen Ämtern. Das betrifft die Mitglieder der Landesregierung als auch der Fraktionen, insbesondere von CDU und SPD. Andererseits sind die Staatskirchenverträge in Sachsen-Anhalt mit einer Ewigkeitsgarantie ausgestattet und können nur in beiderseitigem Einvernehmen geändert werden. Obwohl es auch in den kirchlichen Gliederungen intern kritische Debatten zur Praxis der staatlichen Finanzierung der Kirchen gegeben hat, war die offizielle Position der Kirchenvertreter, dass sie keinerlei Interesse an der Veränderung der Staatskirchenverträge haben. Daraus ableitend wurde der Versuch der Änderung der Praxis vielfach als wenig erfolgsversprechend eingestuft.
MIZ: Heute mit Blick zurück: Würden Sie Ihren Kolleginnen und Kollegen in den Landesparlamenten (gleich welcher Partei) raten, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, oder soll besser auf das Rahmengesetz des Bundes gewartet werden?
Wulf Gallert: Trotz der negativen Erfahrung halte ich es für notwendig, dieses Problem zumindest in den Landtagen aktiv aufzurufen. Einerseits ist unklar, ob ein solches Rahmengesetz auf Bundesebene in absehbarer Zeit überhaupt beschlossen wird. Andererseits wird es auf der kirchlichen Seite in Erwartung eines solchen Gesetzes eine höhere Bereitschaft zur Verhandlung geben. Darüber hinaus wird das Rahmengesetz nicht alle Fragen der Ablösung klären können. Somit wird eine Behandlung auf Landesebene wohl unabdingbar werden.
MIZ: Vielen Dank!