Schwerpunktthema | Veröffentlicht in MIZ 4/21 | Geschrieben von Bernd Vowinkel

Transhumanismus

Mit seinen geistigen Fähigkeiten steht der Mensch auf unserem Planeten an der Spitze der evolutionären Entwicklung. Es gibt aber keinen Grund für die Annahme, dass es darüber hinaus keine Steigerungen geben könnte. Neben den Fortschritten unserer Technik, die uns immer wieder neue Möglichkeiten und Fähigkeiten eröffnet, werden wir in Zukunft auch unsere Körper selbst weiterentwickeln und verbessern können. Erste Ansätze dazu gibt es schon jetzt. Die Verbesserung des menschlichen Körpers über seine normalen Fähigkeiten hinaus wird unter dem Begriff Transhumanismus zusammengefasst.

Ethische Grundlage und Definition des Transhumanismus

Zur ethischen Beurteilung des Trans­humanismus sollte man eine konsequentialistische Ethik, wie z.B. den Utilitarismus bzw. die daraus abgeleiteten Varianten, zugrunde legen. Der Utilitarismus fordert einerseits, das Glück zu maximieren und andererseits das Leid zu minimieren. Während für die Vermehrung des Glücks keine absolut unüberwindlichen Hindernisse zu sehen sind, stoßen wir bei der Minimierung des Leids an Grenzen, die durch die Unzulänglichkeiten unserer Körper gegeben sind, also Krankheiten, Verletzbarkeit und Sterblichkeit. Da die natürliche Evolution des Menschen extrem langsam voranschreitet und die Minimierung von Leid ohnehin kein wesentlicher Selektionsgrund der natürlichen Evolution ist, müssen wir die Sache selbst in die Hand nehmen. Im Klartext heißt das die Veränderung bzw. Vervollkommnung unserer Körper. Dazu bieten sich verschiedene Wege wie z.B. Gentechnik, Prothetik und künstliche Intelligenz an. Der Philosoph John Stuart Mill erhebt sogar die Verbesserung des Menschen in den Rang einer moralischen Verpflichtung. Zu seiner Zeit war an technische und biologische Mittel noch nicht zu denken. Daher sieht er als Mittel hierzu im Wesentlichen Bildung und Erziehung.

Erste Ideen zum Transhumanismus lassen sich auf den Beginn des letzten Jahrhunderts zurückverfolgen. Häufig werden dazu die Werke Daedalus von J.B.S. Haldane (1924) und The World, the Flesh and the Devil von J.D. Bernal (1929) zitiert. Inwieweit man den Transhumanismus mit Nietzsches Idee vom Übermenschen in Verbindung bringen kann, ist Gegenstand philosophischer Diskussionen. Allerdings bezog sich Nietzsche mehr auf die geistige Überhöhung des Übermenschen, während sich der Transhumanismus mit der Verbesserung von Geist und Körper befasst. Dennoch fühlen sich einige Befürworter des Transhumanismus durch die Ideen Nietzsches beeinflusst. Die Bezeichnung Transhumanismus wurde erstmals 1957 vom Biologen Julian Huxley1 geprägt. Er definiert den Transhumanismus als:

Mensch, der Mensch bleibt, aber sich selbst, durch Verwirklichung neuer Möglichkeiten von seiner und für seine menschliche Natur, überwindet.

Diese Definition beschränkt sich auf die medizinischen und technischen Möglichkeiten. Huxley selbst hatte allerdings bezüglich der Eugenik eine Einstellung, die zwar zu seiner Zeit weit verbreitet war, aber aus heutiger Sicht überwiegend als moralisch verwerflich eingestuft wird. Insbesondere die negative Eugenik wird im Rahmen des modernen Transhumanismus abgelehnt und stattdessen eine positive Eugenik unterstützt. Es geht also nicht so sehr darum, die Weiterverbreitung von als schlecht eingestuften Genen zu verhindern, sondern den Genpool generell zu verbessern. Modernere Definitionen beziehen auch noch eine entsprechende weltanschauliche Position und den Posthumanismus mit ein. So z.B. der englische Philosoph Max More2 (Gründer des Extropy Institutes):

Transhumanismus ist eine Kategorie von Anschauungen, die uns in Richtung eines posthumanen Zustands führen. Transhumanismus teilt viele Aspekte mit dem Humanismus, einschließlich eines Respekts vor Vernunft und Wissenschaft, einer Verpflichtung zum Fortschritt und der Anerkennung des Wertes des menschlichen (oder transhumanen) Bestehens in diesem Leben. Transhumanismus unterscheidet sich vom Humanismus im Erkennen und Antizipieren der radikalen Änderungen in Natur und Möglichkeiten unseres Lebens durch verschiedenste wissenschaftliche und technologische Disziplinen.

Mit dieser Definition ist klar, dass nicht jeder Humanist automatisch auch Anhänger des Transhumanismus ist. Insbesondere Vertreter der christlichen Kirchen sehen im Transhumanismus sogar eher eine Perversion des Humanismus. Viele Anhänger des althergebrachten Humanismus sehen die Dinge ähnlich. Der amerikanische Literaturagent John Brockmann3 stuft dagegen den Transhumanismus als unverzichtbaren Bestandteil des neuen Humanismus4 ein. An dieser Stelle sei auch darauf hingewiesen, dass Julian Huxley nicht nur als Begründer des Transhumanismus gilt, sondern auch des evolutionären Humanismus, der letztlich eine Variante bzw. der Vorläufer des neuen Humanismus ist. Offensichtlich sieht er keine Gründe, warum sich diese beiden Positionen gegenseitig ausschließen sollten. Vielmehr ergänzen sie sich. Eine naturalistische Weltsicht kann am Menschsein in seiner jetzigen Form nichts Mystisches und nichts Heiliges finden. Insofern kann es auch keine grundlegenden ethischen Prinzipien geben, die den Transhumanismus von vorneherein als verfehlt einstufen. Stattdessen sollte der Transhumanismus im Einzelfall danach beurteilt werden, ob er in der Lage ist, das Leid zu reduzieren und die Freude zu vermehren. Bei dieser Beurteilung muss man alle Wesen mit einbeziehen, die über ein Ich-Bewusstsein verfügen und leidensfähig sind. Insofern geht der Transhumanismus über den Humanismus hinaus.

Die Bewegung des Transhuma­nis­mus findet zunehmend Beachtung in den Medien. Viele technologische und medizinische Entwicklungen bewegen sich in ihren Anwendungen bereits in Richtung des Transhumanismus. Man könnte sogar schon jetzt von einem Beginn des Zeitalters des Trans­humanismus sprechen. Die Trans­humanisten sind international seit 1998 organisiert in der World Trans­humanist Association (WTA), die später in Humanity+ umbenannt wurde. Daneben gibt es eine ganze Reihe nationaler Vereinigungen bis hin zu politischen Parteien. In Deutschland wurde im Jahr 2015 die Transhumane Partei Deutschlands (TPD) gegründet.

1998 wurde von der WTA eine Deklaration der Werte und Ziele des Transhumanismus verabschiedet. Sie wurde von der Nachfolgeorganisation Humanity+ modifiziert und hat in der Version5 von 2009 folgenden Inhalt:

  1. Die Menschheit wird in der Zukunft durch Technologie grundlegend verändert werden. Voraussichtlich werden sich Möglichkeiten eröffnen, die Bedingungen menschlichen Daseins neu zu gestalten und unter anderem die Unvermeidbarkeit des Alterns, die Grenzen menschlichen Verstandes und künstlicher Intelligenz, eine nicht selbstgewählte Psyche, menschliches Leiden und unser Gebundensein an den Planeten Erde zu überwinden.
  2. Diese zukünftigen Entwicklungen und ihre langfristigen Auswirkungen sollten systematisch erforscht werden.
  3. Transhumanisten vertreten die Ansicht, dass wir bessere Aussichten haben, aus neuen Technologien Nutzen zu ziehen, wenn wir sie begrüßen und ihnen mit Offenheit begegnen, als wenn wir versuchen, sie zu ächten oder zu verbieten.
  4. Transhumanisten treten für das Recht derer ein, die technologische Mittel zur Erweiterung ihrer geistigen und körperlichen Fähigkeiten und zur Verbesserung der Kontrolle über ihr eigenes Leben einzusetzen wünschen. Wir streben nach individuellem Wachstum über unsere gegenwärtigen biologischen Grenzen hinaus.
  5. Bei der Zukunftsplanung muss der zu erwartende gewaltige technische Fortschritt berücksichtigt werden. Es wäre tragisch, wenn potentieller Nutzen wegen abwegiger, grundloser Technikangst und unnötiger Verbote ausbliebe. Ebenso tragisch wäre es andererseits, wenn das intelligente Leben aufgrund einer, durch neue Technologien verursachten Katastrophe oder aufgrund eines Krieges ausgelöscht würde, der mit fortgeschrittener Technologie geführt worden ist.
  6. Wir halten die Schaffung von Foren zum Zwecke rationaler Diskussion über erforderliche Maßnahmen für notwendig, und wir brauchen eine soziale Ordnung, in der verantwortungsvolle Entscheidungen getroffen werden können.
  7. Der Transhumanismus tritt für das Wohl aller fühlenden Lebewesen ein (seien es künstliche Intelligenzen, Menschen, Tiere oder mögliche außerirdische Spezies), und er beinhaltet viele Grundsätze des modernen weltlichen Humanismus. Der Transhumanismus unterstützt keine bestimmte Partei oder politische Richtung und keinen bestimmten Politiker.

Die Technologien des Transhumanis­mus zielen auf eine Verbesserung der Fähigkeiten des menschlichen Geistes und des Köpers über das normale naturgegebene Maß hinaus. Das menschliche Verhalten ist stark durch die genetische Veranlagung und den Hormonhaushalt determiniert. Diese Dinge sind evolutionär bedingt und konnten mit der zivilisatorischen Entwicklung der Menschheit nicht Schritt halten. Dies trifft insbesondere auf die Gewaltbereitschaft und die Entwicklung von Intoleranz und Hass zu. Mit den Technologien des Transhumanismus erlangen wir in absehbarer Zukunft die Möglichkeit, dieses Defizit auszugleichen. Wir haben es damit in der Hand, einen wahrhaft besseren Menschen zu konstruieren.

Technologien des Transhumanismus

1. Prothetik

Prothetik bedeutet zunächst einmal nur „Reparatur“ von Menschen, die Gliedmaßen oder andere Organe durch Unfall oder Krankheit verloren haben oder durch Gendefekte von Geburt an behindert sind. Im Sinne des Transhumanismus wird die Prothetik darüber hinaus so optimiert, dass sie den Menschen mit verbesserten oder sogar neuen Fähigkeiten gegenüber den normalen Menschen ausstattet. Ethisch betrachtet dürfte das eher unkritisch sein.

2. Nanoroboter

Unter Nanoroboter versteht man kleine autonome Maschinen, die in der Lage sind, sich z. B. in Flüssigkeiten selbst fortzubewegen und bestimmte Aufgaben zu erfüllen. Sie selbst haben dabei eine Größe, die kleiner als ein Streichholzkopf ist, in der Regel aber nur Bruchteile eines Millimeters. Interessant sind Nanoroboter für den Einsatz in der Medizin. So hofft man, Nanoroboter entwickeln zu können, die gezielt Tumore angreifen und zerstören. Die Idee, Nanoroboter zum Auslesen der im Gehirn gespeicherten Information nutzen zu können, ist derzeit allerdings reine Spekulation und in den Bereich der Science-Fiction einzuordnen.

3. Kryonik

Kryonik (auch Kryostase, von altgriechisch kryos „kalt“) ist die Kryo­konservierung von kompletten Lebe­wesen oder einzelnen Organen (meist dem Gehirn), um sie – sofern möglich – in der Zukunft wiederzubeleben. Die Hoffnung ist dabei, dass durch die Konservierung nach dem Tod alle wesentlichen im Gehirn gespeicherten Informationen erhalten bleiben. Wenn in einigen Jahrzehnten die Medizin so weit fortgeschritten ist, dass auch nachträglich die Ursachen, die zum Tod führten, beseitigt werden können, so könnte man den Körper wiederbeleben.

Das Hauptproblem beim Einfrieren ist, dass das in den Körperzellen zu einem erheblichen Anteil befindliche Wasser ausfriert und dabei Kristalle bildet, die die Zellwände angreifen und so zu größeren Schäden führen. Als Lösung des Problems wird die so genannte „Vitrifizierung“ weiterentwickelt. Durch Zusätze im Blut, die eine Kristallisation weitgehend verhindern und damit eine schnelle Abkühlung (z. B. mit flüssigem Stickstoff) ermöglichen, hofft man, die Schäden in geringen Grenzen zu halten. Die Lagerung des Organismus erfolgt bei sehr tiefen Temperaturen. Üblich ist bisher die Kühlung mit flüssigem Stickstoff bei minus 196°C. Das Auftauen größerer Organe bis hin zu einem kompletten Körper funktioniert aber derzeit noch nicht. Insofern ist diese Technologie im Moment eher etwas für ausgesprochene Optimisten. Ethisch bedenklich ist, dass diese Technologie auf lange Sicht wohl nur wohlhabenden Menschen zur Verfügung steht.

4. Gentechnik

Bis vor wenigen Jahren galt die gentechnische Heilung von Krankheiten bis hin zu gezielten Veränderungen des menschlichen Genoms (Stichwort: Designerbabys) als reine Science-Fiction. Mit der Entwicklung der CRISPR/CAS9 Technologie hat sich das aber drastisch verändert. Nun sind solche Veränderungen mit relativ einfachen Mitteln und sehr gezielt möglich geworden. Das Einzige was jetzt noch fehlt, ist die Kenntnis, welche Genabschnitte für welche Fähigkeiten zuständig sind. Das ist gegenwärtig nur zu einem geringen Teil bekannt. Wenn dies jedoch vollständig aufgeschlüsselt ist, sollte es im Prinzip längerfristig möglich sein, den Menschen gentechnisch zu optimieren und letztlich sogar völlig neue Lebewesen am Computer zu konstruieren und biotechnisch herzustellen. Man bezeichnet dies als „synthetische Genetik“.

5. Künstliche Intelligenz

Eine enge Verbindung von künstlicher Intelligenz (KI) und dem menschlichen Körper findet jetzt schon in der Medizintechnik statt. So ist bei der neuesten Generation von sog. Cochlea-Implantaten ein Mikroprozessor Teil des Implantats. Gehörlosen kann damit wieder zu fast normalem Hören verholfen werden. In der nahen Zukunft ist die Anwendung von Retina-Implantaten zu erwarten, mit denen man Blinden wieder eine gewisse Sehkraft verschaffen kann. In der ferneren Zukunft können womöglich sogar Neuro-Implantate bei Ausfällen von Teilen des Gehirns implantiert werden. Der Schritt solche Implantate so weiterzuentwickeln, dass sie dem Menschen Fähigkeiten verleihen, die über das normale Maß hinausgehen, ist dann nur ein kleiner.

Reine Science-Fiction ist derzeit noch das als „Upload“ bezeichnete Hochladen eines menschlichen Geistes auf einen Computer. Dennoch wäre das im Rahmen der bekannten Naturgesetze durchaus denkbar. Mit Fliegengehirnen ist das Prinzip dazu jedenfalls schon demonstriert worden.

Eine starke technologische Ver­änderung des menschlichen Körpers sowie die reine künstliche Intelligenz würde man eher dem Posthuma­nis­mus zuordnen und nicht dem Trans­humanismus. Aus dieser Sicht ist der Trans­humanismus ein Zwischenschritt zum Post­humanismus.

Die starke KI

Starke künstliche Intelligenz ist dann realisiert, wenn sie die gleichen intellektuellen und emotionalen Fähigkeiten des Menschen erlangt oder gar übertrifft. Eine starke künstliche Intelligenz handelt nicht mehr nur reaktiv, sondern auch aus eigenem Antrieb, intelligent und flexibel. Dies ist bisher noch nicht gelungen und einige Leute haben erhebliche Zweifel, ob es überhaupt möglich ist. Sollte es dennoch gelingen, so würden solche Maschinen ihre Weiterentwicklung bald selbst in die Hand nehmen können, was zu einer explosionsartigen Steigerung der Fähigkeiten der KI führen würde. Man bezeichnet dies als technologische Singularität. Der amerikanische Futurologe Ray Kurzweil6 schätzt, dass sie um das Jahr 2045 eintreten wird. Der erste der diese Möglichkeit erkannt hat, ist der Statistiker I.J. Good7. Bereits im Jahr 1965 beschrieb er ein Konzept, das der heute vorherrschenden Bedeutung von Singularität nahekam:

Eine ultraintelligente Maschine sei definiert als eine Maschine, die die intellektuellen Fähigkeiten jedes Menschen, und sei er noch so intelligent, bei weitem übertreffen kann. Da der Bau eben solcher Maschinen eine dieser intellektuellen Fähigkeiten ist, kann eine ultraintelligente Maschine noch bessere Maschinen bauen; zweifellos würde es dann zu einer explosionsartigen Entwicklung der Intelligenz kommen, und die menschliche Intelligenz würde weit dahinter zurückbleiben. Die erste ultraintelligente Maschine ist also die letzte Erfindung, die der Mensch zu machen hat.

Sollte die Singularität eintreten, so wäre die Frage dann nicht mehr: Was machen wir mit der KI, sondern: Was macht sie mit uns? Damit würde die Machbarkeit der starken KI zu einer Existenzfrage der gesamten Menschheit werden. Einige Zweifler, wie z.B. der amerikanische Philosoph John Searle8 behaupten, dass die menschlichen Fähigkeiten, wie z.B. Bewusstsein und Gefühle, an die Existenz eines biologischen Körpers gekoppelt sind. Es wird hier also eine Substratabhängigkeit vom Kohlenstoff und der daraus abgeleiteten reichhaltigen organischen Chemie postuliert. Nach Ansicht der meisten Wissenschaftler*innen ist eine solche Substratabhängigkeit im Rahmen des Naturalismus, auf den sich der neue Humanismus stützt, abzulehnen; denn auf der untersten Vollzugsebene sind die besonderen Fähigkeiten des menschlichen Gehirns nichts anderes als Symbolverarbeitung (über elektrische Impulse), und die ist bereits ein abstrakter Vorgang, der nicht an eine bestimmte Materie gebunden ist. Daneben wird die gesamte Materie, aus denen das Gehirn besteht, im Laufe einiger Monate komplett ausgetauscht.

Ein weiteres, häufig vorgebrachtes Argument gegen die Machbarkeit der starken KI ist die Andersartigkeit und Komplexität des Gehirns im Vergleich zu den Bauteilen der KI. Dazu ist zu sagen, dass der genetische Bauplan des Gehirns nur maximal 400 Megabyte (entspricht etwa der Kapazität einer halben Audio-CD) umfasst, wobei man die darin enthaltene Information ohne Verlust auf etwa 25 Megabyte9 komprimieren kann. Dies ist eine ausgesprochen geringe Datenmenge. Die reine Rechenleistung des Gehirns liegt bei etwa 10 Millionen MIPS, was inzwischen von leistungsstarken Mikroprozessoren (z.B. Intel i9-7980) erreicht bzw. übertroffen wird. Die Andersartigkeit des Aufbaus der Hardware im Gehirn ist ebenfalls kein gutes Argument, denn nach der Church-Turing-These spielt das bei universellen Rechenmaschinen (Computern) keine Rolle. Als Beweis dafür, dass das Gehirn mehr kann als ein Computer, müsste man zeigen, dass es im Gehirn nichtalgorithmische Abläufe gibt, die auch nicht mit dem reinen Zufall zu erklären sind. Der britische Physiker Roger Penrose10 hat das versucht. Dazu brauche das Gehirn nach seiner Meinung den Zugriff auf eine nichtalgorithmische Physik, die wir noch nicht kennen. Er verortet sie im Bereich der Quantenphysik. Bisher konnte allerdings niemand überzeugend darstellen, wie quantenmechanische Effekte die Nervenzellen im Gehirn systematisch beeinflussen können. Davon abgesehen hat Penrose selbst zugeben müssen, dass er nicht ausschließen kann, dass solche Effekte in der Zukunft auch mit Maschinen erzeugt werden können. Abschließend zu dem Thema noch ein Wort des genialen Physikers Stephen Hawking11:

Einige Menschen behaupten, Computer würden niemals in der Lage sein, echte Intelligenz zu entwickeln, was auch immer das sein mag. Doch wenn komplizierte chemische Moleküle im Menschen so zusammenwirken können, dass sie diesen mit Intelligenz ausstatten, dann sehe ich nicht ein, was ebenso komplizierte elektronische Schaltkreise daran hindern sollte, Computer zu intelligentem Verhalten zu befähigen.

Auch wenn die aufgeführten Argumente kein Beweis für die Machbarkeit der starken KI sind, so sind sie doch recht überzeugend und nur schwer innerhalb des Naturalismus zu widerlegen.

Die Weiterentwicklung der Techno­logien des Transhumanismus wird sich nicht aufhalten lassen, aber man kann versuchen, sie in vernünftige Bahnen zu lenken.

Anmerkungen

1 Huxley, J.: New Bottles for New Wine, London: Chatto & Windus, 1957
2 https://web.archive.org/web/ 20110216221306/; http://www.maxmore.com/transhum.htm
3 Brockman, J.: Die neuen Humanisten, Wissen­schaft an der Grenze. Ullstein, 2004
4 Vowinkel, B.: Wissen statt Glauben, das Weltbild des neuen Humanismus. lola Books, 2018
5 https://www.humanityplus.org/the-transhumanist-manifesto
6 Kurzweil, R.: Menschheit 2.0: Die Singularität naht. 2. Auflage. Lola Books, 2014
7 https://www.historyofinformation.com/detail.php?id=2142
8 Searle, J. R.: Die Wiederentdeckung des Geistes. Suhrkamp, 1996
9 Kurzweil, R.: Das Geheimnis des menschlichen Denkens. Lola Books, 2014, S 266
10 Penrose, R.: Schatten des Geistes. Spektrum Akademischer Verlag, 1995; Penrose, R.: Das Große, das Kleine und der menschliche Geist. Spektrum Akademischer Verlag, 2002; Penrose, R.: The Emperor’s New Mind. Penguin Books, 1991 (deutsch unter dem Titel Computerdenken, Spektrum Akademischer Verlag, 1991)
11 Hawking, S.: Das Universum in der Nuss­schale. Hoffmann und Campe, 2001, S. 173