Ziel der Kommission sollte es sein, so Senator Behrendt nach der konstituierenden Sitzung, „sich intensiv mit antimuslimischem Rassismus als einer spezifischen Form des Rassismus“ auseinanderzusetzen und „eine theoretische Basis für die Entwicklung von Präventions- und Empowerment-Strategien zu erarbeiten“. Bereits damals ließ sich ahnen, dass es sich weniger um ein antirassistisches als um ein identitätspolitisches Projekt handelte, und die „Handlungsempfehlungen“ belegen diese Einschätzung eindrucksvoll.
„Antimuslimischer Rassismus“ ist in den „Handlungsempfehlungen“ definiert als „eine Sonderform des Rassismus, die auf einer Rassifizierung von (tatsächlicher oder zugeschriebener) muslimischer Religionszugehörigkeit basiert. Hierfür wird eine kulturalisierte und biologisierte Differenz zwischen Muslim*innen und nicht-Muslim*innen konstruiert, wodurch Muslim*innen marginalisiert und essenzialisiert und gegenüber nicht-Muslim*innen polarisiert und hierarchisiert werden.“ (S. 3) Wenn Sie nicht genau verstanden haben, was mit dieser Definition gemeint sein könnte, ist alles in Ordnung. Genau das ist eine wichtige Funktion solcher sehr weit von der Alltagssprache entfernter, heideggernder Erklärungen: sie schaffen Unklarheit und immunisieren sich dadurch gegen Kritik.
Denn bereits der Begriff „Antimuslimischer Rassismus“ ist mit Problemen belastet, da eine Religion ein Bekenntnis darstellt, das gewechselt werden kann, und keine unveränderbare Eigenschaft eines Menschen. Der Bezug auf eine islamische Kultur bringt hingegen das Problem mit sich, dass diese nicht ansatzweise einheitlich ist – was angesichts der Verbreitung des Islams von Mauretanien bis Indonesien plus die zahlreichen Diaspora-Gemeinden auch nicht verwunderlich ist. Eine Biologisierung von Differenz, für die der Islam irgendeine Rolle spielt, dürfte deshalb eher schwierig sein. Eine kritische Reflexion des Begriffs findet in den Handlungsempfehlungen aber nicht statt.
Die Existenz eines „Antimuslimischen Rassismus“ ist nicht Ergebnis der Studie, sondern wird vorausgesetzt. Und da der Begriff nicht sauber definiert wird, fällt es der Kommission leicht, das Thema zu wechseln: Ihre Vorschläge werden nicht aus antirassistischer Perspektive formuliert und fassen auch keine Veränderung von Gesellschaft ins Auge. Sie beabsichtigen vor allem eine Privilegierung islamischer Organisationen und vertreten damit die konservative Position des bestehenden Religionsverfassungsrechtes, das religöse Akteure gegenüber anderen zivilgesellschaftlichen Kräften bevorzugt.
Für Subventionen, gegen Neutralität
Gut erkennbar ist das beispielsweise am Abschnitt über die Finanzierung islamischer Organisationen. Die Kommission verweist darauf, dass „fast ausschließlich zeitlich eng befristete Projekte gefördert“ (S. 7) werden, dass teilweise ein Eigenmittelanteil vorausgesetzt wird, dass große Teile der Arbeit ehrenamtlich geleistet werden und Spenden die Haupteinnahmequelle darstellen. All diese Feststellungen sind richtig. Nur zeigt sich darin kein „Rassismus“, da diese Rahmenbedingungen für unzählige Vereine und Initiativen gelten. Die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten für eine „nachhaltige Positionierung in der Gesellschaft“ treffen muslimische Vereinigungen, Frauenzentren, Menschenrechtsvereine, Kulturinitiativen usw. usf. in gleicher Weise. Tatsächlich besteht hier ein gesellschaftliches Problem. Doch wie lautet der Lösungsvorschlag der Kommission: Die fehlende Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts erschwere die finanzielle Förderung... Für alle anderen Akteure außerhalb der Religionsgesellschaften ein ungangbarer Weg, da der Sonderstatus einer Körperschaft des öffentlichen Rechts diesen vorbehalten ist.
Dass die Kommission die Vorstellung, dass alle gleich behandelt werden müssen, ablehnt, zeigt sich auch an ihrer Forderung, das Berliner Neutralitätsgesetz abzuschaffen. Dieses Gesetz, das von allen Beschäftigten des Landes Berlin Zurückhaltung „in ihrem religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnis“ fordert, sehen die Kommissionsmitglieder als „die institutionelle und strukturelle Praxis des antimuslimischen Rassismus“ und eine Mehrheit von ihnen als „systematische und institutionalisierte Diskriminierung gegenüber Frauen mit Kopftuch ohne sachliche Rechtfertigung“ (S. 22). Selbst Richterinnen und Staatsanwältinnen sollen im Gerichtssaal „mit muslimischem Kopftuch“ den säkularen Staat repräsentieren dürfen (der verharmlosende Begriff „Kopftuch“ für die religiös motivierte Verschleierung von Frauen wird in dem Papier übrigens durchgängig verwendet).
Freifahrtschein für die religiöse Rechte
Der religiösen Rechten die Tür zu öffnen, ist ein Anliegen der Kommission; sie weitestgehend vor Kritik zu schützen ein anderes. Dass an der Arbeit von Polizei und Verfassungsschutz einiges auszusetzen ist, kann nicht bestritten werden. Doch diese berechtigte Kritik schlägt in den „Handlungsempfehlungen“ um in einen pauschalen Freifahrtschein für die islamische Rechte. Denn nicht nur den Sicherheitsbehörden wird die Qualifikation, rechte Umtriebe zu erkennen, abgesprochen, auch ansonsten sieht die Kommission „antimuslimisch motivierte Rufmordschädigung“ (S. 26) bis hin zu „Kampagnen“, die offenbar sämtlich keinerlei sachliche Grundlage haben, sondern auf Neid und anderen niederen Motiven basieren, denn „je größer die Fördersumme und der öffentliche Erfolg“ (S. 7), desto drastischer verlaufen die Angriffe, heißt es.
Da der Begriff des „Antimuslimischen Rassismus“ nicht sauber definiert ist, bleibt auch unklar, wo die Grenze zwischen Äußerungen „Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ und berechtigter, ja notwendiger Kritik an den Gesellschaftsvorstellungen der islamischen Rechten verläuft. Wer auf rechte Netzwerke hinweist, könnte sich schnell dem Vorwurf ausgesetzt sehen, „Kontaktschuldvorwürfe“ in die Welt zu setzen.
Wie stark die Kommission selbst die Vorstellungen der religiösen Rechten widergibt, zeigt sich an einer Passage über das schulische Leben: Schülerinnen dürften „nicht durch Schulordnungen zum Ablegen des Kopftuchs gezwungen werden“ (S. 31). Dass eine solche Regelung Kindern ermöglicht, ohne Verschleierung in der Schule zu sein (auch gegen den Willen der Eltern), und somit Freiheit bedeuten kann, kommt der Kommission nicht in den Sinn. Ebensowenig, dass es vielleicht einen Unterschied macht, ob wir von einer religionsmündigen Jugendlichen oder einem Grundschulkind sprechen. Die Kommission setzt in ihrer pauschalen Formulierung die reaktionäre Annahme voraus, dass Kinder ihren Eltern bzw. ihrer Religionsgemeinschaft „gehören“.
Identitäre Denkmuster
Dass die „Handlungsempfehlungen“ völlig durchdrungen von identitären Gedankengut und explizit anti-universalistisch ausgerichtet sind, zeigt sich an einer weiteren, wiederum das schulische Leben betreffenden Stelle: „Die Pädagog*innen in Berlin haben oftmals selbst keine biografischen Anknüpfungspunkte an religiöse Praktiken da viele keiner Glaubensgemeinschaft angehören. Auch unter Fachkräften, die sich einer Religion zugehörig fühlen sind wiederum nur die wenigsten praktizierende Muslime*innen. In der Schüler*innenschaft ist der Anteil der muslimischen Kinder und Jugendlichen hingegen kontinuierlich gewachsen. Diese Kluft gilt es zu schließen.“ (S. 30) Die extrem rechte Idee, dass nur Angehörige der eigenen Gruppe eine angemessene Erziehung gewährleisten können, muss nicht weiter kommentiert werden.
Richtiggehend verräterisch ist eine andere Stelle, an der es vermeintlich um „Antimuslimischen Rassismus“ in medizinischen Einrichtungen geht, wo „Muslim*innen und muslimisch gelesene Menschen ... massive Diskriminierungserfahrungen machen müssen, z.B. durch die unzureichende Berücksichtigung religiöser Besonderheiten in medizinischen Einrichtungen“. Die Einbeziehung „muslimisch gelesener Menschen“ (also von Menschen, die keine Muslime sind, aber trotzdem als solche gesehen und angesprochen werden) ist für die Argumentation des „Antimuslimischen Rassismus“ wichtig, um begründen zu können, dass es bei den beschriebenen Diskriminierungen nicht um Religion geht, sondern Rassismus vorliegt. Doch mit Blick auf die zitierte Stelle stellt sich die Frage, warum ein Mensch, der sich selbst gar nicht muslimisch definiert, sondern nur so „gelesen“ wird, durch „die unzureichende Berücksichtigung religiöser Besonderheiten“ diskriminiert werden könnte – denn solche „Besonderheiten“ liegen bei einem nicht-religiösen Menschen ja gar nicht vor.
Überhaupt stellt sich die Frage, inwiefern die Förderung von islamischen Organisationen dazu beitragen könnte, dass „muslimisch gelesene Menschen“ im Alltag nicht mehr diskriminiert werden. Dazu wird auf den 35 Seiten keine Aussage getroffen. So bleibt der Eindruck, dass diese Bevölkerungsgruppe (deren Größe nicht zu gering angesetzt werden sollte), die Kommission überhaupt nicht interessiert; dass sie vorgeschoben und benutzt wird, um notdürftig zu verbergen, um was es eigentlich geht: die Förderung islamischer Organisationen einschlließlichg der religiösen Rechten unter Beibehaltung des gesellschaftlichen Status quo.
Rassismus bekämpfen
Das Konzept des „Antimuslimischen Rassismus“ findet in den Parteien mittlerweile einige Unterstützung. Doch es bietet keine belastbare Gesellschaftsanalyse, verwechselt eine rhetorische Strategie der rassistischen Rechten mit einem gesellschaftlichen Phänomen. Und das wird an wenigen Abschnitten selbst in den „Handlungsempfehlungen“ erkennbar, etwa wenn zu lesen ist, „dass Kinder mit sogenanntem Migrationshintergrund in vielen Fällen für die gleichen Leistungen schlechter benotet werden. Zivilgesellschaftlichen Akteur*innen zufolge geht die Ungleichbehandlung sogar soweit, dass migrantisch gelesene Schüler*innen seltener eine Empfehlung für das Gymnasium erhalten.“ (S. 30) Hier wird ein reales Problem einer Einwanderungsgesellschaft beschrieben. Aber bezeichnenderweise fehlt in den Sätzen der Begriff „muslimisch“, betroffen sind eben potentiell alle Kinder mit „Migrationshintergrund“.
Vielleicht wäre es einen Gedanken wert, dass es überhaupt keinen „Antimuslimischen Rassismus“ gibt, sondern Rassismus. Dass der sich – wie eh und je – gegen Menschen richtet, die als „fremd“ wahrgenommen werden, „Zugereiste“ quasi. Was erklären würde, warum auch Menschen betroffen sind, die durch nichts als Muslime identifiziert werden können – die aber eine etwas dunklere Haut- oder Haarfarbe haben, einen türkisch oder arabisch klingenden Namen oder einen mehr oder weniger starken Akzent. Und dass die diversen von der rassistischen Rechten initiierten Islamdebatten vor allem den Versuch darstellen, durch eine neue Rhetorik wieder anschlussfähig zu Mitte zu werden.
Rassismus lässt sich nicht durch „Empowerment“ religöser Organisationen bekämpfen, nicht durch die Förderung derer, die selbst massiv zu einer Spaltung der Gesellschaft beitragen. Dazu ist der gemeinsame Kampf gegen die rassistische wie auch die religiöse Rechte notwendig. Und der dürfte auf der Basis des Gleichheitsgedankens und des Bewusstseins, dass die Menschenrechte universalistische Gültigkeit beanspruchen können, besser zu führen sein als mit den Instrumenten der Identitätspolitik.
Informationen: Zwei Kommissionen
Der „Expert*innenkommission zu antimuslimischem Rassismus“ des Landes Berlin gehören an:
Prof. Dr. Zülfukar Çetin, Evangelische Hochschule Berlin
Ozan Zakariya Keskinkılıç, Alice Salomon Hochschule Berlin
Sanem Kleff, Schule ohne Rassismus-Schule mit Courage
Dr. Yasemin Shooman, Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM)
Lydia Nofal, Delegierte des Islamforums
Daneben gibt es auch beim Bund ein ähnliches Gremium: den „Unabhängigen Expertenkreis Muslimfeindlichkeit“. Dessen zwölf Mitglieder wurden im September 2020 vom damaligen Innenminister Horst Seehofer berufen. Auch hier finden sich Personen wie Imam Attia (Alice Salomon Hochschule) oder Mathias Rohe, die seit Jahren die religiöse Rechte verharmlosen bzw. Kritik an dieser abtun. Mit an Bord auch die Bertelsmann Stiftung, die für ihre religionsfreundliche Interpretation von Forschungsergebnissen bekannt ist.
Der „Expertenkreis“ tagt nicht-öffentlich und soll seine Empfehlungen im kommenden Jahr vorlegen. Warten muss darauf aber eigentlilch niemand: Alles andere als Vorschläge, vor allem konservative islamische Verbände zu stärken und ihnen möglichst den Status der Körperschaft des öffentlichen Rechts anzudienen, wäre überraschend.
Dass Attia & Co dem Ruf ausgerechnet jenes Ministers folgten, der sich mit Händen und Füßen gegen eine Studie zu Rassismus in Polizeikreisen sperrte, ist bezeichnend für ihr Verständnis von „Antirassismus“.