Allgemeines | Veröffentlicht in MIZ 1/22 | Geschrieben von Frank Welker

Vertrauensverlust

Es sind düstere Zeiten. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine, die immer noch anhaltende Pandemie und die Klimakrise bringen die Menschheit derzeit an den Rand des Abgrunds. Von solch unsicheren Zeiten profitieren normalerweise religiöse Sinnanbieter, da diese einfache Antworten auf schwierige Fragen geben können. Doch anders als die Heilsversprechen der quer denkenden Verschwörungstheoretiker finden die Antworten der beiden großen Kirchen keinerlei Gehör mehr. Insbesondere die katholische Kirche steht derzeit selbst am Abgrund und dafür ist sie in erster Linie selbst verantwortlich.

Rückblende: Rom am 19. April 2005. Habemus papam. Joseph Aloisius Ratzinger betritt als Papst Benedikt XVI. den Balkon. Mit der Amtsübernahme Ratzingers hofften viele in der katholischen Kirche auf eine Zeitenwende, auf eine Rechristianisierung Deutsch­lands. Diese Hoffnung währte nicht lange. Heute haben wir eine solche Zeitenwende, doch anders als von der Kirche erhofft. 2022 sind die Kirchenmitglieder erstmals in Deutschland in der Minderheit. Das teilte die Forschungsgruppe Welt­an­schauungen in Deutschland (Fowid) kürzlich mit. Noch vor 30 Jahren gehörten rund 70% der Menschen einer der beiden großen Kirche an. Dabei hat sich der Abwärtstrend die letzten Jahre beschleunigt. Ein Ende ist derweil nicht abzusehen. Horchrechnungen des Instituts zufolge werden bis 2060 nur noch rund 30 Prozent der Bevölkerung katholisch oder evangelisch sein.

Tatsächlich war das Vertrauen in die beiden großen Kirchen bereits in den 1990er Jahren vergleichsweise gering. In Umfragen zum Vertrauen in Institutionen belegten die beiden Kirchen zumeist hintere Plätze. Das hat sich bis heute auch nicht geändert, im Gegenteil. Gerade wenn es um das Thema Missbrauch in der Kirche geht, dann jagt seit Jahren ein Skandal den nächsten. Besonders beschämend ist dabei, dass die Betroffenen noch immer um ihre Rechte kämpfen müssen.

Welche Prioritäten man in der Kirche dagegen wirklich setzt, zeigt ein Fall, der kürzlich bekannt wurde. Ein Priester hatte Spielschulden in beträchtlicher Höhe angehäuft: eine halbe Million Euro. Diese Schulden beglich das Erzbistum Köln und zwar obendrein ohne diese Bezahlung zu versteuern, so dass nochmals mehrere hunderttausend Euro an weiteren Kosten dazukamen. Und als wäre das alles noch nicht ekelhaft genug, musste das Bistum zugeben, dass ein Teil des Geldes aus dem Topf zur Entschädigung von Missbrauchsopfern entnommen wurde. Noch unter dem inzwischen verstorbenen Kardinal Meisner soll sich das Bistum der finanziellen Schief­lage des Pfarrers angenommen haben, unter Kardinal Woelki soll dies dann fortgesetzt worden sein. Woelki schon wieder, muss man wohl sagen, denn der Kardinal macht seit Jahren eine extrem schlechte Figur. Sein denkbar merkwürdiges Verhalten bezüglich eines Missbrauchsgutachtens ist uns allen ja noch in guter Erinnerung.

Für negative Schlagzeilen sorgte jedoch nicht nur das untergebene Personal. Der Papst in Gestalt des Joseph Aloisius Ratzinger persönlich stand zu Beginn des Jahres im Fokus des Interesses. Im Jahr 2019 hatte das Erzbistum München-Freising eine Anwaltskanzlei beauftragt, mögliche Missbrauchsfälle aus der Zeit zwischen 1945 und 2019 zu untersuchen. Die Ergebnisse der Untersuchung waren für das Bistum und für Joseph Ratzinger persönlich wenig schmeichelhaft. Die Vertuschung lief also auch auf der höchsten Ebene. So war es der ehemalige Papst höchstselbst, der für eine der größten Austrittswellen in der Geschichte der Kirche sorgte. Viele tausend Menschen kehrten in direkter Folge des Skandals der Kirche den Rücken. Allein in München waren es seit Jahresbeginn 10.000 Menschen, fast doppelt so viele als sonst in diesem Zeitraum. Auch in Köln lagen die Austritte weit über dem Durchschnitt. Der dortige Kardinal Woelki vertreibt die Schäfchen mit seinen Skandalen in Scharen aus der Kirche. So viele, dass man in NRW teilweise kaum noch einen Termin für den Austritte bekommen konnte.

Aber auch andernorts ist man fleißig dabei, die Menschen aus der Kirche zu treiben. Im rheinland-pfälzischen Trier war es ausgerechnet der Bischof und Missbrauchsbeauftragte Stephan Ackermann, der in einer Besprechung eine Frau mit Klarnamen outete, die offenbar Opfer sexueller Gewalt durch einen Priester geworden war. Da die Frau im Bistum angestellt ist, wurde sie so vor etwa 40 Kolleginnen und Kollegen geoutet. Bischof Ackermann musste laut der Berichterstattung des Trierischer Volksfreunds sogar eine Unterlassungserklärung abgeben.

Auf eine Zeitenwende hin zu mehr Ehrlichkeit und Verantwortung wird man bei der Katholischen Kirche also noch lange warten müssen. Eine Lernkurve ist schlicht nicht erkennbar und noch immer gibt es keine nennenswerte Wiedergutmachung für die Opfer sexuellen Missbrauchs durch die Kirchen. Damit darf diese natürlich nicht davonkommen und so ist es gut, dass es Menschen wie David Farago und sein Team gibt, die in ganz Deutschland mit Figuren vor Ort immer wieder direkt demonstrieren und der uns durch seinen Bericht mitnimmt auf diesen Weg für ein kleines bisschen mehr Gerechtigkeit.