Schwerpunktthema | Veröffentlicht in MIZ 3/18 | Geschrieben von Gisela Notz

Was hat die Novemberrevolution 1918 den Frauen gebracht?

Die Novemberrevolution brachte den Frauen nach langem Kampf das Wahlrecht. Das jedenfalls wird in diesem 100-jährigen Jubiläumsjahr der Novemberrevolution überall gefeiert. In der Erklärung des Rates der Volksbeauftragten, der im Zuge der revolutionären Ereignisse nach dem Ersten Weltkrieg ab 10. November 1918 die höchste Regierungsgewalt inne hatte und zu diesem Zeitpunkt aus Vertretern der Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD) und Mehrheitssozialdemokraten (MSPD) bestand, an das deutsche Volk vom 12. November 1918 hieß es eindeutig: „Alle Wahlen zu öffentlichen Körperschaften sind fortan nach dem gleichen, geheimen, direkten, allgemeinen Wahlrecht (…) für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen zu vollziehen.“

Waren die Frauen nach langem Kampf am Ende ihrer Träume angekommen? Hatte sich ihre Situation verbessert? Im Reichstag waren alle durch die SPD eingebrachten Anträge für das gesetzliche Wahlrecht „ohne Unterschied des Geschlechts“ noch bis Juli 1918 abgelehnt worden. Bei den Arbeiter- und Soldatenräten, die sich im November 1918 überall formierten, hatten die Frauen offene Ohren gefunden. Für die Räte gehörte die Forderung nach dem Frauenstimmrecht zu den Parolen der Revolution.

Der Rat der Volksbeauftragten, dessen Vorsitzender der Mehrheits­sozial­demokrat Friedrich Ebert (MSPD) 
war, bestand ebenso wie das Kabinett ausschließlich aus Männern. Friedrich Ebert hasste die Revolution wie die Sünde, Rosa Luxemburg und ihre Anhängerinnen fanden sie großartig. Für sie war alles andere „Quark“. Die Vertreter der USPD verließen den Rat am 29. Dezember 1918, weil sie Deutschland in Richtung eines Rätestaats verändern wollten. Rosa Luxemburg hatte das schon einige Wochen vorher geraten. Der nun nur noch mehrheitssozialdemokratische Rat setzte sich für baldige ein. Die Wahlen fanden am 19. Januar 1919 statt. Erstmals waren Frauen beteiligt. Alle über 20-Jährigen durften landesweit an die Wahlurnen treten und sich selbst zur Wahl stellen. Während die USPD zu den Wahlen aufrief, nahm die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD), die am 1. Januar 1919 gegründet worden war, nicht an dem Urnengang teil.
Ein Endpunkt der im November 1918 begonnenen Revolution war die Nationalversammlung nicht. Zeitlich lag sie mitten in den Revolutions­ereignissen, die vom Oktober 1918 bis zu ihrem gewaltsamen Ende im Juni 1919 dauerten. Zwar war der Obrigkeitsstaat zusammengebrochen und das allgemeine Wahlrecht durchgesetzt, die Forderung der rebellierenden ArbeiterInnenmassen nach Verbesserung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen waren jedoch noch lange nicht erfüllt; der Traum von der Räterepublik auch für die beteiligten Frauen nicht ausgeträumt. Deshalb hatte sich die KPD nicht an den Wahlen beteiligt. Für viele Linke war der Wahltag überschattet von der Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts vier Tage vor dem Wahltermin: „gemeuchelt unter den grausigsten Umständen“, wie Clara Zetkin später schrieb.
Die Wahlbeteiligung war mit 82,4 % der wahlberechtigten Männer und 82,3 % der Frauen hoch. Es wählten gut zwei Millionen Frauen mehr als Männer, weil sich Männer und Söhne im Krieg gegenseitig totgeschossen hatten.
Obwohl für die Wahl nur wenige geschlechtsdifferenzierte Daten vorliegen, lassen Wahlanalysen vermuten, wenn auch nicht beweisen, dass die absolute Mehrheit der Sozialdemokratie durch die Einführung des Frauen­wahlrechts verhindert wurde. Frauen wählten offenbar mehrheitlich konservative Parteien, die sie zu keiner Zeit bei ihren Anliegen unterstützt hatten. Übereinstimmend stellen die Wahlanalysen der Weimarer Zeit fest, dass das die konservativen Parteien begünstigende Wahlverhalten der Frauen in erster Linie Ausdruck ihrer stärkeren kirchlichen Bindungen war. Schließlich war die „Propaganda der Reaktion“, das heißt der „Geistlichen“, nicht zu übersehen, die vor allem von den Kanzeln der Kirchen bei ihren Gottesdiensten, durch „Beichtstuhl und Aufgebot und alles mögliche (…) die Frauen nach ihrem Willen leiten“ wollten. So geht es aus der Begründung zu einem Antrag von Frauen in den Räten hervor, der am 7. März 1918 auf dem Bayerischen Rätekongress gestellt wurde.

Vergessene Revolutionärinnen

Bei den meisten Texten, die sich mit den Ereignissen der Revolution um 1818/1819 befassen, fehlt der Kampf der Frauen um eine andere Republik. Festgestellt wird oft, dass man nach Frauen in der Rätebewegung suchen müsse, wie nach einer Stecknadel im Heuhaufen, dass Frauen an der Revolution gar nicht beteiligt waren und Frauenthemen für die Rätebewegung keine Rolle gespielt haben. Das lag wohl kaum am mangelnden Interesse der Frauen. Schließlich rebellierten viele Frauen, die in den Rüstungsbetrieben arbeiteten und in den Lebensmittelschlangen standen, schon während der letzten Kriegsjahre. Sie forderten Frieden, Demokratie und Brot für ihre Lieben. Viele Frauen waren bei den revolutionären Aktionen, Demonstrationen und Streiks, zum Beispiel am Generalstreik im März 1919 und sogar an bewaffneten Aufständen beteiligt, etliche sind dabei umgekommen. Dennoch waren die Hauptagenten Soldaten, Matrosen und Arbeiter.

Die wenigen vorhandenen Be­richte über Frauen in den Räten stammen meist aus der bayerischen Räte­regierung und von den beteiligten Frauen selbst. Rosa Kempf, die mit Anita Augspurg und weiteren sechs weiblichen Delegierten in der neuen provisorischen Nationalversammlung mit den Arbeiter- und Soldatenräten saß, kritisierte in ihrer Rede am 18. Dezember 1918 im Plenum des Bayerischen Landtages, dass die Räte ohne die gleichberechtigte Beteiligung der Frauen nicht repräsentativ seien. So konnten viele Forderungen, die sie gestellt hatten, nicht eingelöst werden.
Uneinig waren die Frauen, wie dieses Problem zu lösen sei. Kempf wollte nicht darauf warten, dass Männer die Interessen der Frauen in den Räten vertreten, sondern schlug, wie auch Augspurg und Heymann Frauenräte vor. Tony Sender (USPD), die seit der Novemberrevolution Mitglied und Generalsekretärin der Executive des Arbeiterrats in Frankfurt/Main war, kämpfte dagegen für die Integration von Frauen in die bestehende Arbei­terrätebewegung. Sie schlug eine Quotierung entsprechend dem Anteil an der Anzahl der Beschäftigten Frauen vor. Clara Zetkin, (USPD, später KPD), die die Stuttgarter Räte unterstützte, richtete ihr Augenmerk vor allem auf die Heimarbeiterinnen und Hausangestellten und wandte sich gegen den Ausschluss der Hausfrauen aus der Rätebewegung, weil sie durch ihre wichtige Reproduktionsarbeit erst politische Aktionen ermöglichten. Sie wollte das Problem durch Hausfrauen-Räte lösen, die in die lokalen Räteversammlungen eingebunden waren oder durch die Einbeziehung von Hausfrauen in die Arbeiterräte der Betriebe ihrer Männer. Tony Sender entwarf gleichzeitig Konzepte zur rationellen und gemeinschaftlichen Gestaltung der Hausarbeit, um die Hausfrau zu entlasten und für andere Arbeiten frei zu stellen. Martha Arendsee (USPD, später KPD) machte sich ebenfalls Gedanken um den „zweiten Arbeitsbereich“ der Frauen und konkretisierte die Vorschläge durch Konzepte für Einküchenhäuser, öffentliche Waschanstalten, Kindergärten und andere Gemeinschaftseinrichtungen. Letztlich wäre das Ziel der Haus­frauenräte gewesen, diesen Berufs­stand abzuschaffen. Keines der Konzepte konnte verwirklicht werden. Das galt auch für die Forderungen der Frauen in den Räten nach Quotierung in den Parlamenten, nach Ministerinnen und Bürgermeisterinnen, nach Koedukation in den Schulen, nach Gleichberechtigung in Beruf und Familie, Aufhebung des „Zölibats“ für weibliche Beamte, Gleichstellung von ledigen Müttern und unehelichen Kindern, nach der Streichung des § 218 im Strafgesetzbuch. Das waren 1918 freilich revolutionäre Forderungen, einige sind bis heute nicht durchgesetzt.

Ausgegrenzt?

Waren die revolutionären Zeiten einfach zu wirr und zu kurz, oder waren die Revolutionäre an den Frauen und ihren Fragen nicht interessiert? Tatsächlich waren im November 1918 in den Räten von 28 Städten nur 50 Frauen verzeichnet und nur in wenigen fielen sie überhaupt auf. Offensichtlich wurden sie von den männlich dominierten Gremien ausgegrenzt. Auf dem Allgemeinen Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte vom 16. bis 21. Dezember 1918 in Berlin waren von 496 Delegierten zwei Frauen: Käthe Leu aus Danzig (USPD) und Klara Noack aus Dresden (SPD). Um die geringe Repräsentanz der Frauen deutlich zu machen begann Käthe Leu ihre Rede, mit der Anrede: „Parteigenossen und Parteigenossin“. Die beiden Frauen sind heute vergessen. Schwierig gestaltet sich die Suche nach Redebeiträgen. Von Anna Nemitz (USPD), Mitglied des Großberliner Arbeiter- und Soldatenrats, wissen wir, dass sie sich bei der Vollversammlung der kommunalen Räte Groß-Berlins am 7. Februar 1919 kämpferisch für den Erhalt der kommunalen Räte einsetzte, weil sie die Revolution absichern wollte. Bei den Januarstreiks 1918, als 400.000 RüstungsarbeiterInnen aus Protest gegen den Krieg und die schlechte 
Versorgungslage in den Streik traten, 
war die engagierte Berliner Gewerk­schafterin und Pazifistin Cläre Casper als einzige Frau maßgeblich beteiligt.

Nicht alle überlebten. Mit Sara Sonja Lerch einer russischen Jüdin, die schon 1905 bei der Russischen Revolution dabei war, stand eine Frau an der Seite der Arbeiter an der Spitze im Januarstreik. Als alle Streikenden wegen Landesverrats verhaftet wurden, kam auch sie ins Gefängnis in Isolationshaft. Acht Wochen später, am 29. März 1918, wurde sie in ihrer Zelle in Stadelheim erhängt aufgefunden. Der „Lebenswille einer edlen, aufopferungsbereiten Seele“ (Zetkin) war gebrochen worden, noch bevor die Revolution blutig niedergeschlagen wurde.

Einige der wenigen Frauen, die in den Räten aktiv waren, fanden sich 
in der Nationalversamm­
lung oder später im Reichstag wieder. Sie brachten frischen Wind und neue Themen in das Parlament, denn sie sorgten dafür, dass soziale Probleme, die die unteren Schichten betrafen, zu denen die meisten selbst gehörten, öffentlich diskutiert wurden und dass die Sozialgesetzgebung nach deren Interessen weiterentwickelt wurde. Die liberalen und konservativen Volksvertreterinnen sahen sich dagegen eher als Repräsentantinnen ihres Standes.